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Wo enden normale Alterserscheinungen - wo beginnt eine Alzheimer Krankheit?

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Zwischen Demenz und gutartiger Altersvergesslichkeit unterscheiden lernen

Nicht alles, was ängstlich als krankhaft interpretiert wird, ist tatsächlich Ausdruck einer Störung. So gehört z. B. die Vergesslichkeit, eine lästige, ärgerliche oder gar peinliche Einbuße, zu den häufigsten Phänomenen unseres Lebens - und zwar nicht nur unter Stress oder im höheren Lebensalter. Auch ist ein gewisses Defizit "mit den Jahren" normal, ja die Regel. Völlig verhindern lässt es sich also nicht, aber man kann einiges dagegen tun.

"Alle wollen es werden, keiner will es sein: alt". Man kennt diesen modernisierten Ausspruch des römischen Staatsmannes Cato vor über 2.000 Jahren. Tatsächlich leben wir in einer "alternden Welt".

Zu Cato´s Zeiten hatte man mit 30 die durchschnittliche Lebenserwartung erreicht. Heute sind es 50 Jahre mehr, zumindest für das weibliche Geschlecht. Und auch Männer können sich Hoffnungen machen. Die durchschnittliche Lebenserwartung rückt für beide Geschlechter weiter nach oben (wobei die maximale Überlebenszeit unverändert bei etwa 110 bis 115 Jahren bleibt).

Doch die ersehnte Langlebigkeit hat ihren Preis, und der heißt Multimorbidität, d. h. Krankheit auf verschiedenen Ebenen. Die Vielzahl der Beschwerden wächst mit den Jahren und führt dazu, dass mehr als jeder Dritte mehrfach belastet ist: Gefäßleiden, insbesondere Arteriosklerose der Herz- und Hirngefäße, Krankheiten der Atmungsorgane, rheumatische Leiden der Muskeln und Gelenke sowie Krebs.

Vor allem aber bestimmte seelische Störungen, die mit gestiegener Lebenserwartung deutlich zunehmen. Das sind auf der einen Seite depressive und Angsterkrankungen, auf der anderen hirnorganische Veränderungen im Sinne einer Demenz.

Wer über gewisse Dinge den Verstand nicht verliert, der hat keinen zu verlieren (Gotthold Ephraim Lessing).

Nun ist die entscheidende Phase einer Demenz nicht so sehr der leidvoll bekannte Endzustand, sondern der Beginn, also die sogenannten Vorposten- oder Warn-Symptome - sofern sie registriert, ernst genommen und dann auch konsequent behandelt werden. Nachfolgend eine kurze Übersicht zur Frage: Alzheimer´sche Erkrankung oder normale Alterserscheinung?

Alzheimer oder normale Alterserscheinung?

Schon früher haben die Experten immer wieder darauf hingewiesen, dass es eine "physiologische Altersvergesslichkeit" gibt. Der englische Begriff lautete sogar übersetzt: "gutartige Altersvergesslichkeit". Heute spricht man eher von "alters-assoziierten", also mit dem Alter verknüpften Gedächtnisstörungen. Der Inhalt besagt das Gleiche. Was versteht man darunter?

Alters-assoziierte Gedächtnisstörungen, also "normale" Einbußen äußern sich bei Personen über 50 Jahren in einem langsamen Beginn ohne plötzliche (!) Verschlechterung. In der Regel sind es Gedächtnisstörungen wie ständiges Verlegen von Gegenständen, Schwierigkeiten, sich Namen zu merken, Probleme, wenn mehrere Dinge gleichzeitig zu erledigen sind, erinnern von Telefonnummern usw. All dies ist lästig, hinderlich oder gar peinlich, aber - und das ist das Entscheidende - beeinträchtigt nicht ernsthaft die selbständige Alltagsbewältigung im Beruf und zuhause.

Was kann zu ernsteren Gedächtnisstörungen führen?

Als erstes gilt es die Herkunft bestimmter Symptome abzuklären. Das können organische Leiden sein, die zu einer Verminderung der geistigen Leistungsfähigkeit führen wie Herz-, Leber-, Nieren-, Lungen-, Zucker- und andere Krankheiten sowie die (längerfristige) Einnahme von Medikamenten oder schädlichen Substanzen, die die geistige Leistungsfähigkeit zu beeinträchtigen vermögen.

Oder es können vorausgegangene Krankheiten des Gehirns sein, die jetzt zusammen mit den Folgen des Rückbildungsalters besonders beeinträchtigen: Parkinson´sche Krankheit, Schlaganfall, Hirntumor, Gehirnentzündung, Durchblutungsstörungen, Kopfverletzung, Alkohol-, Nikotin-, Medikamenten- oder Rauschdrogenabhängigkeit u. a.

Alt werden ist in! Die tollsten Leute tun es! (Liz Carpenter).

Aus psychiatrischer Sicht müssen vor allem Angststörungen und Depressionen ausgeschlossen werden, die bekanntlich zu erheblichen kognitiven (geistigen) Einbußen führen können.

Was spricht für eine normale Altersvergesslichkeit?

Für eine normale Altersvergesslichkeit spricht beispielsweise ein lediglich vorübergehendes Auftreten oder wenn es sich um eine nur geringfügige Verschlechterung um Monate (oder Jahre?) hinweg handelt. Oder ein gelegentliches Vergessen bzw. das Verlegen von Kleinigkeiten wie Brille, Schlüssel, Handtasche usw., besonders wenn sie rasch wiedergefunden werden.

Normal ist auch das Vergessen von bestimmten Erlebnis- und Gedächtnisinhalten, was nicht auffallen würde, wenn man nicht ausgerechnet daraufhin gezielt angesprochen worden wäre.

Normal ist es auch, wenn man durch Konzentration oder intensives Nachdenken schließlich Erfolg hat: man kommt wieder drauf.

Normal und üblich ist es auch, wenn man sich durch bestimmte Merkhilfen wie Notizzettel u.a. zu helfen weiß bzw. mündlichen oder schriftlichen Anweisungen folgt.

Leidet man darüber hinaus an keinen nennenswerten Störungen, dann handelt es sich um eine physiologische (normale) Altersvergesslichkeit.

Wann ist an eine Alzheimer-Krankheit zu denken?

An eine Alzheimer-Krankheit ist dagegen zu denken, wenn die Vergesslichkeit andauert und im Verlauf von Monaten sogar deutlich stärker wird.

Oder wenn sich das Vergessen oder Verlegen häuft, insbesondere bei wichtigen Gegenständen, auf die man in der Regel besonders achtet wie z. B. Geldbeutel, Scheckheft, Ausweis usw.

Und wenn der Betroffenen große Mühe hat, das Verlegte wiederzufinden (nicht zuletzt deshalb, weil es sich plötzlich an unüblichen Plätzen befindet).

Krankheitsverdächtig ist auch das Vergessen ganzer Erlebnisbereiche und Gedächtnisinhalte, besonders wenn man sich trotz intensiven Nachdenkens auch später nicht mehr daran erinnern kann.

Bedenklich ist auch der Zustand, wenn selbst Notizzettel und Merkhilfen nichts mehr nützen. Das Gleiche gilt für mündliche oder schriftliche Anweisungen.

Und aufhorchen lassen sollten zusätzliche Störungen von Denk- und Urteilsvermögen, von Orientierung, Benennen oder Erkennen, von Geschicklichkeit, Lesen, Schreiben, Rechnen sowie deutliche Defizite im Bezug auf Antrieb, Aufmerksamkeit usw.

Treten ernstere Gedächtnis-, Wortfindungs- und Orientierungsstörungen auf und wird es schwierig, Gegenstände exakt zu benennen, muss man an eine Demenz denken. Die Betroffenen formulieren das meist vage, aber konstant verunsichert: "Irgend etwas stimmt mit mir nicht mehr".

Wie beginnt eine Alzheimer-Krankheit?

Eine Alzheimer-Krankheit beginnt unmerklich. Weder die Betroffenen noch ihre Angehörigen, Mitarbeiter und Freunde können einen genauen Zeitpunkt angeben. Und wenn, dann ist es ein nur scheinbar plötzlicher Beginn, meist unter besonders belastenden Umständen: Krankheit oder Tod eines nahen Angehörigen, Wohnungs- oder Wohnortwechsel, Unfall, Operation, körperliche Erkrankung, Krankenhausaufenthalt oder sonstige Belastungen. Und selbst in diesem Fall handelt es sich wahrscheinlich nicht um einen plötzlichen "Demenz-Ausbruch", sondern um den Wegfall gewohnter und vor allem kompensatorischer Stützen, seien sie zwischenmenschlicher, seien sie organisatorischer Art.

Alt werden ist nach wie vor das einzige Mittel, um lange zu leben (alter Sinnspruch).

Interessanterweise fallen die ersten Symptome dem näheren Umfeld weniger auf als jenen, die den Betroffenen zuletzt vor einiger Zeit gesehen haben. Die einen bagatellisieren die kleineren Ausfälle oder haben sich daran gewöhnt, hilfreich einzuspringen. Den anderen wird der Unterschied dafür um so drastischer vor Augen geführt. Ihr Urteil reicht daher auch von: "Was ist denn mit dem los?" bis zu "Der hat aber abgebaut".

Deshalb ist es wichtig, die häufigsten Erst- oder Warnsymptome und ihre Folgen zu kennen. Das sind:

  • Nachlassen von Gedächtnis, Urteilsfähigkeit und Orientierung
  • Störungen von Sprache, Erkennen und Benennen
  • Zunehmende "Ungeschicklichkeit"

Oder auf den Alltag übertragen:

  • Vergessen von kurz zurückliegenden Ereignissen
  • Schwierigkeit, sich in unvertrauter Umgebung zurechtzufinden
  • Probleme bei der Ausführung gewohnter Tätigkeiten
  • Nachlassen des Interesses an Arbeit oder Hobbys
  • Schwierigkeiten bei alltäglichen Entscheidungen

Und die Folgen:

  • Gleichgültigkeit und Trägheit
  • Unruhe, Gespanntheit, Fahrigkeit
  • Unduldsamkeit, Reizbarkeit, Aggressivität
  • Niedergeschlagenheit, Resignation und Hoffnungslosigkeit
  • Wahnhafte Reaktionen
  • Wesensänderung
  • Neigung zu ständigen Wiederholungen von Bemerkungen, Fragen usw.

Dazu kommen als weitere Störungen:

  • die Tag-Nacht-Umkehr (tags dösig, nachts umtriebig)
  • Störungen von Wasserlassen und Stuhlgang

Versucht man das Ganze nach Häufigkeit zu ordnen, dann stehen mit Abstand an erste Stelle Gedächtnis- und Orientierungsstörungen, gefolgt von Problemen bei der Arbeit, einer wachsenden Persönlichkeitsänderung sowie schließlich körperliche Beeinträchtigungen, Leistungsrückgang und vor allem konkrete Probleme mit Geld sowie beim Autofahren.

Schlussfolgerung

Der Begriff "Alzheimer" hat einen beunruhigenden bis erschreckenden Beigeschmack bekommen (was der bayerische Nervenarzt Prof. Dr. Alois Alzheimer bei der Erstbeschreibung dieses Krankheitsbildes vor rund 100 Jahren sicher nicht erwartet und schon gar nicht erhofft hatte). Allein die Art und Weise, wie man versucht diesen Fachbegriff humorvoll um- bzw. in seiner Bedrohlichkeit "abzubiegen", spricht Bände. Der moderne Mensch will schon so alt werden wie möglich und hat auch alle Chancen dazu, aber die Konsequenzen tragen will er nicht - und viele tun auch erstaunlich wenig, um sich in körperlicher und geistiger Hinsicht ein angemessenes Alter zu sichern.

Dabei muss man schon eingestehen: Die Forderung, "auf gute Art und Weise oder gar in Würde alt zu werden", hängt natürlich nicht nur von den erblichen Möglichkeiten und organischen Bedingungen ab, sondern bezieht auch soziokulturelle Aspekte mitein. Gewiss stimmt der Satz: "Man altert, wie man gelebt hat". Er deutet aber auch das Schicksalhafte an, das sich einem Menschen behindernd oder zerstörend in den Lebensweg stellen kann, unbeeindruckt von persönlichem Bemühen, Einsatz, Aufwand und Ausdauer.

Als die wichtigsten sozialen Risikofaktoren oder Chancen, die einen wesentlichen Einfluss auf ein glückliches "drittes Lebensalter" haben, gelten

- Bildungsstand
- Qualifizierungstand
- Informationsstand.

Doch "um seinen Garten im eigentlichen wie im übertragenen Sinne weiterpflegen zu können, muss man erst einmal einen solchen besitzen". Oder kurz: die Voraussetzungen müssen stimmen. Und das ist etwas, dass nicht jedermann gegeben ist, auch wenn er sich noch so bemühen mag.

Einzelheiten dazu siehe die entsprechenden Kapitel, die sich detaillierter mit den Möglichkeiten (und Grenzen) eines halbwegs gesunden und würdevollen Alterns befassen. Zum Abschluss dieses kurzen Beitrags zur Frage: Wo enden normale Alterserscheinungen - wo beginnt eine Alzheimer-Krankheit? sei nur im Sinne der drei oben dargestellten Chancen mit dem Satz des griechischen Philosophen Solon von Athen (ca. 640-560 v. Chr.) geschlossen, der da mahnte:

Ich altere wohl, doch täglich lerne ich etwas dazu.

Literatur

Weiterführende Literaturhinweise siehe das Kapitel Alzheimer-Demenz.

Unter Mitarbeit von Dr. J. Tenter.

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
Beachten Sie deshalb bitte auch unseren Haftungsausschluss (s. Impressum).