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St. Jordan, G. Wendt (Hrsg.):
LEXIKON PSYCHOLOGIE
100 Grundbegriffe
Verlag Philipp Reclam jun., Stuttgart 2005, 380 S., € 14,90.
ISBN 3-15-010582-X

"Reclam-Heftle", wer kennt diesen Begriff nicht, vor allem aus der älteren Generation. Das Interessante: eigentlich ein Diminutiv, der nicht allzu viel Respekt signalisiert. In Wirklichkeit war und ist allen klar: Reclam bürgt für Qualität, auch wenn der Preis seit jeher verbraucher-freundlich ist. Und es gibt durchaus ansehnliche Reclam-Bücher, wenn einer sich von größeren Dimensionen beeindrucken lassen sollte.

Das Lexikon Psychologie von Reclam ist wieder so ein Beispiel: kleinstes Taschenbuch-Format (aber solide aufgemacht), preisgünstig, inhaltlich "Spitzenklasse": 100 Grundbegriffe sind ein stattliches Angebot. Kein Wunder, die Zahl der Autoren - ausgewiesene Experten aus Psychiatrie, Psychologie u. a. - geht noch darüber hinaus. Um es kurz zu machen: Ein empfehlenswertes Angebot, inhaltlich fundiert, wissenschaftlich auf dem neuesten Stand und weitgehend lesefreundlich gehalten. Auch eine attraktive Geschenkidee.

Nachfolgend ein Stichwort-Beispiel (modifiziert):

Mobbing*

Der Begriff Mobbing ist ein lateinisch-englisches Mischwort aus mob = Pöbel. Er bezeichnet in Biologie und Verhaltungsforschung das Vorgehen einzelner Mitglieder oder ganzer Gruppen gegen Artgenossen. Dabei gibt es aber einen Unterschied zum Konkurrenzkampf oder Streit. Beim Mobbing geht es um eine unterlegene bzw. schwächere Person. (Wie beim "Handy", das es im englischen Sprachgebrauch auch nicht gibt, ist dort der Begriff "bullying" vom englischen to bully = "schikanieren" oder "fertigmachen" gebräuchlicher.)

In der belletristischen Literatur war dieses Phänomen schon früher Thema (z. B. Robert Musil: Die Verwirrungen des Zöglings Törleß, 1906). Die Wissenschaft beschäftigte sich erst im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts damit ausführlicher, beginnend mit entsprechenden Studien aufgrund anfangs unerklärlicher Schülerselbstmorde in Schweden. Es folgte eine förmliche Lawine von Untersuchungen, vor allem an Schulen, aber auch am Arbeitsplatz (Mobbing - Psychoterror am Arbeitsplatz).

Die Ergebnisse: Man schätzt die Zahl der Opfer auf 3 bis 5%. Entscheidend ist, dass sie systematisch, also wiederholt (= mindestens einmal pro Woche) und lang anhaltend (= mindestens ein halbes Jahr) entsprechenden Belastungen ausgesetzt sind. Entscheidend ist auch die Schädigungsabsicht der "Täter" und ein Ungleichgewicht der Stärke.

Geschlechtsspezifisch gibt es offenbar keine Unterschiede, auch wenn sich Frauen/Mädchen eher als Männer/Jungen als Opfer bekennen. In der Form der Aggressionen zeigen sich aber sehr wohl Schwerpunkte: Frauen und Mädchen sehen sich eher so genannten Beziehungs-Aggressionen ausgesetzt, z. B. Manipulationen von Freundschafts- und Geschäftsbeziehungen. Männer und Jungen erfahren vorwiegend direkte und offene Formen aggressiver Beeinträchtigung.

Die Ursachen lassen sich grob in drei Kategorien einordnen:

1. Unter den Opfer-Merkmalen hat sich folgende Opfer-Persönlichkeit herauskristallisiert: eher (körperlich) schwach, in irgendeiner Form "anders" und unsicherer (weniger Selbstwertgefühl bzw. Selbstbewusstsein). Außerdem Neigung zu übertriebener Unterwürfigkeit. Opfer-Kinder scheinen schon zu Hause weniger gemütsmäßige Unterstützung und Wertschätzung zu erfahren und dafür mehr mit übergriffigen Reaktionen, harscher Zurechtweisung und Ablehnung konfrontiert zu sein. Auch sollen die Mütter von Mobbing-Opfern häufiger fordernder, weniger liebevoll und feindseliger reagieren, besonders bei Mädchen.

2. Die Mobbing-Täter sollen nicht nur in Kindheit und Jugend "Mobber" gewesen sein, sondern auch später ein um das dreifache höheres Vorstrafenregister aufweisen (oder kurz: wer mobbt, sollte auch sonst genau beobachtet werden).

3. Was die situativen (Umfeld-)Faktoren anbelangt, so findet sich in Mobbing-Szenen vor allem eine Unternehmenskultur, bei der weniger Zivilcourage gezeigt wird.

Diese Zivilcourage ist es auch, die dem Mobbing letztlich die Grenzen weist. Zum einen die Kenntnisse über die ja zum Teil subtilen, aber bösartigen Mobbing-Strategien ("die kleine Gemeinheit zwischendurch"), zum anderen der Mut, dann auch konsequent einzuschreiten, um den Mobbern rechtzeitig das Handwerk zu legen. Denn Mobbing zerstört nicht nur einzelne Personen, es frisst auch am Fundament der jeweiligen Institution, von der Schule über sonstige Ausbildungsplätze bis hin zum Arbeits-Alltag in jedem Stockwerk, auch hierarchisch gesehen.

* Kurzfassung des entsprechenden Beitrags von Beate Schuster und D. Frey im Lexikon Psychologie von Reclam

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
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