Prof. Dr. med. Volker Faust Psychosoziale Gesundheit von Angst bis Zwang Seelische Störungen erkennen, verstehen, verhindern, behandeln | ![]() |
Folter
"Wer der Folter erlag, kann nicht mehr heimisch werden in dieser Welt. Die Schmach der Vernichtung läßt sich nicht austilgen. Das zum Teil schon mit dem ersten Schlag, in vollem Umfang aber schließlich in der Tortur völlig eingestürzte Weltvertrauen wird nicht wiedergewonnen", schrieb der bekannte Philosoph und Schriftsteller Jean Améry aus eigener KZ-Erfahrung. Selbst Ende des 20. Jahrhunderts ist die Folter noch immer in einigen Staaten gängige Praxis. Amnesty International zählt mehr als hundert Nationen auf, in denen - trotz zahlreicher Menschenrechtsabkommen - von Polizei, Militär, Geheimdiensten u. a. systematisch nicht nur körperlich, sondern zunehmend auch psychologisch gefoltert wird.
Begriffe Die posttraumatischen Belastungsstörungen sind sinnvollerweise zu unterteilen in - technische Katastrophen: Chemieunfall, Atomkraftwerke, Schiffsuntergang, Flugzeugabsturz u. a. Ziel und VerlaufUm ihr Ziel zu erreichen, gehen die Folterer planmäßig vor. Die psychische Zermürbung muß schrittweise erfolgen. Das ist ein genau kalkulierter Prozeß, der kaltblütig und den individuellen Eigenschaften des jeweiligen Opfers entsprechend durchgeführt wird. Es hätte wenig Sinn, zugleich mit den härtesten Maßnahmen zu beginnen. Dem Opfer muß man genügend Zeit lassen, damit es die Qualen und Erniedrigungen ausgiebig erlebt, sich mit ihnen identifiziert und stückweise den Willen zum Widerstand verliert: "Zuerst dachte ich, sie würden mich totschlagen, darauf war ich gefaßt. Und hätten sie es doch nur getan. Aber das schlimmste waren die Pausen." Der Gefolterte muß völlig hilflos jeden inneren Halt und jedes Selbstbewußtsein verlieren, er muß weinen und um Gnade betteln, er muß in panischer, unkontrollierter Angst Urin und Stuhl lassen, er muß wünschen, endlich getötet zu werden, anstatt so dahinzuvegetieren. Grausamer als der Schmerz ist oft auch das Alleinsein nach der Folter. Dabei wird man fast verrückt. Man fühlt sich wie ein Tier, abhängig von der Gnade seines sadistischen Herrn. So findet sich das Opfer nach seiner Entlassung als körperlich noch irgendwie lebendig wieder - jedoch seelisch zerstört. Das ist der Sinn der modernen Folter. Folter-MethodenDie Folter-Methoden sind einerseits so alt wie die Menschheit und werden andererseits durch "neue" Maßnahmen ergänzt. Was gehörte bzw. gehört noch immer dazu? Neben Unterernährung (Proteinmangel), evtl. verbunden mit Schädelhirn-Verletzungen und damit verstärkter Gehirnquellung, neben extremer körperlicher Ausbeutung (Zwangsarbeit unter jeglichen Witterungsverhältnissen) einschließlich Seuchen u. a., neben den Folgen der Zwangskollektivierung ("hilfs- und beistandsunfähige Masse") waren und sind es besonders die körperlichen Foltermethoden: Schläge (vor allem auf den Kopf - s. o.), ggf. mit ernsteren Auswirkungen wie Bewußtseinsverlust, Knochenbrüche, Blutergüsse, Blut im Urin, offene und damit bald eiternde Wunden bis hin zu raffinierten Fesselungen oder sadistischen Prozeduren: ständiger Aufenthalt unter Scheinwerfern, in ständiger Finsternis oder in eiskalten bzw. überfluteten Zellen über Wochen hin, ferner Metallnadeln unter die Fingernägel, Verbrennungen mittels Zigaretten, Eintauchen in eiskaltes Wasser, Gelenkausrenkungen u. a. Heute dominieren offenbar eher Schläge auf die Fußsohlen mit Peitschen (auch aus Stacheldraht), Herausziehen von Nägeln, Verbrennen von Körperteilen mit Zigarettenglut und Kochplatte, ferner Elektroschocks (Schläfen, Brustwarzen, Penis), Einzelhaft in schall-isolierten Zellen, Vergewaltigung (auch von Männern durch Männer), Vortäuschen von Erschießungen (aber auch stille oder offene Aufforderung zur Flucht, um dann wirklich erschießen zu können) u. a. Darüber hinaus gibt es unendlich viel Variationen: z. B. die eigenen Haare oder Exkremente aufessen, den eigenen Urin trinken, Fixierungen in schmerzhaften Körperhaltungen, stundenlanges Aufhängen an Armen oder Beinen, sonstige Formen der Elektrofolter (s. o.), Einführen von Gegenständen in Harnröhre und Enddarm, Urinieren in den Mund usw. Bemerkenswert auch die sadistische Bezeichnungen der einzelnen Foltermethoden: wiederholte Schläge auf die Ohren ("Telefon"), Untertauchen bis fast zum Ersticken, auch in stinkenden Flüssigkeiten, nicht selten vermischt mit Urin und Exkrementen ("U-Boot"), das Zusammenbinden von Händen und Füßen auf dem Rücken und in dieser Lage dann aufhängen ("Schaukel" oder "Papageienschaukel") usw. Akut zermürbend und nicht selten auch als gezielte Zerstörungswaffe eingesetzt - real oder vorgetäuscht - ist auch das Mithören von Schreien anderer Gefangener ("können sie ihren Freund hören ...?"). Langfristig zermürbend ist die permanente Todesbedrohung und das wehr- und rechtlose Ausgeliefertsein an einen gnadenlosen Vernichtungswillen ohne Rechtfertigung und Verstrickung in Schuld. Besonders peinigend ist der Mangel an einer ideologischen Sinngebung des Leidens, wie er wenigstens bei politischen oder religiösen Opfern etwas Halt vermitteln kann. Qualvoll und lange unfaßbar die Gewißheit, dass das ganze nicht zeitlich begrenzt, sondern nur mit der höchstwahrscheinlichen körperlichen Vernichtung enden wird (entlastungslose Angst), die aber am Schluß auch in eine Todes-Sehnsucht münden kann, wenn nur noch das Ende von der Marter zu befreien vermag. Meist muß man aber noch um die tägliche Qual froh sein, die man wenigstens lebend verbringen darf. Besonders zerstörerisch ist der Umstand, dass sich alles ohne zwischengeschaltete Entlastung abspielt (mit Ausnahme der erwähnten kurzen Pausen, die aber geziel als "Angst-Intervalle" genutzt werden). So haben die Opfer keine Möglichkeit, sich wenigstens auf der untersten vegetativen Stufe wieder zu fangen und etwas zu regenerieren. FoltererZur Motivation und Wesensart der Folterer gibt es über Einzelschilderungen hinaus nicht viel fundierte Untersuchungen, die an einem größeren Täter-Kollektiv gewonnen werden konnten. Viele tauchen unter, andere werden gefaßt und verurteilt, ohne dass darüber groß berichtet wird, nicht wenige bleiben unbehelligt und fallen in keiner Weise, wenn nicht gar positiv auf ("guter Familienvater", "freundlicher Nachbar", "unauffälliger Mitarbeiter" usw.). Einzelheiten dazu würden hier zu weit führen, doch sei wenigstens auf zwei Aspekte hingewiesen: Wichtig zu wissen, dass es nicht nur den brutalen, sondern auch den "freundlichen Folterer" gibt, der scheinbar eingreift, um dem Gefolterten zu helfen, der Verständnis zeigt, sei es durch Worte oder Taten. Doch haben alle das gleiche Ziel: Das Opfer in seiner Integrität zu zerstören, ihn aus der Gemeinschaft auszustoßen, indem man ihm durch verschiedene Foltermethoden sein Grundvertrauen in die Menschheit nimmt und an der Gesellschaft irrewerden läßt. Der Betroffene soll nur noch von Mißtrauen, Angst, dem Gefühl der Erniedrigung, des Ausgestoßenseins und der Selbstablehnung vereinnahmt sein - bis ans Ende seines Lebens. Es verdichten sich sogar gewisse Hinweise, dass die Kenntnisse über "moderne Foltermethoden" und ihre Effektivität unter entsprechenden Kreisen regelrecht weitergegeben werden, dass es also eine Art "Internationale der Folterer mit Weiterbildungsmöglichkeiten" gibt. Dies ist weniger für die körperliche Seite der Torturen, mehr für die psychologische Schulung bedeutsam, da ja die Psyche des Opfers zerstört werden soll, um eine Langzeitwirkung zu sichern. Körperliche Folter-FolgenDie körperlichen Folter-Folgen sind entweder eindeutig organisch-traumatischer Natur oder psycho-somatisch interpretierbar, was an Ursache und Konsequenzen nichts ändert. Nicht selten kommt eines zum anderen. Am häufigsten sind ständige Kopfschmerzen sowie meist wechselnde Herzbeschwerden, Atemnot, Schwindel, Schlafstörungen, Alpträume, Überwachheit bis hin zur Übererregbarkeit usw. Die häufigsten objektivierbaren Befunde beziehen sich auf Narben, Bewegungseinschränkungen, Gehbehinderung, Zahnschäden, Trommelfell- und Augenverletzungen, oft auch eine chronisch erhöhte Muskelanspannung mit entsprechenden Schmerzen durch Hartspann der Muskulatur. Häufig finden sich keinerlei Spuren, aber anhaltende Schmerzen. Jetzt ist der Schmerz die "verkörperte Erinnerung" geworden. Im einzelnen:
Objektivierbare FolterfolgenZu den häufigsten noch lange Zeit oder lebenslang objektivierbaren Folgen entsprechender Foltermethoden gehören: charakteristische Narben durch elektrischen Strom; Trommelfell-Perforationen durch die (oft beidhändigen) Schläge auf die Ohren mit typischen Anordnungen der Trommelfell-Löcher wie beim Knalltrauma; entsprechende Narben durch Stichverletzungen, Fesselungen (z. B. am Handgelenk), durch brennende Zigaretten, Kochplatten, heißes Plastik, durch Gegenstände unter Finger- und Fußnägeln schieben, Bewegungseinschränkungen durch Zwangshaltungen in niederen Räumen oder Minikäfigen mit schmerzhaften Veränderungen an Gelenken und Muskulatur; Kopfverletzungen nach Aufhängen (auch Kopf nach unten) mit plötzlichem Fallenlassen sowie wiederholten Schlägen auf den Kopf bis hin zu Einblutungen in die Hirnrinde; Geweberisse des Unterhautgewebes durch Hunger oder Beteiligung an Hungerstreiks; zahlreiche Blutergüsse unterschiedlicher Färbung (und damit Alters), was sogar eine Dialyse (Blutwäsche) notwendig machen kann, weil zuviel Eiweiß in den Nieren anflutet. Charakteristische Narben hinterlassen auch Verbrühungen und Bißwunden (Tier- und sogar Menschenbisse, wobei in die Wunden gerne noch Salz gestreut wird usw.). In manchen Regionen überaus typisch sind Schmerzen der Waden und Füße, brennende Fußsohlen und Beschwerden beim Gehen. Das ist die Folge der Schläge auf die Fußsohlen: Die Gewebestrukturen der Waden, insbesondere der Fußsohlen werden dabei durch die starken Schwellungen in der akuten Phase nach der Folter zerstört. Und auch später sind die Fettpolster unter den Sohlen deutlich reduziert. Die Sehnen der Sohlen lassen sich kaum mehr anspannen, die Großzehen sind überstreckbar. Seelische Folter-FolgenDie seelischen Verletzungen sind meist schwerwiegender und langfristiger als die körperlichen. Sie wirken wie ein "Seelenfremdkörper" ("es ist, als ob ein Fremdkörper in der Seele liegt"). Dieser Fremdkörper absorbiert einen Großteil der psychischen Energie, das heißt vor allem Lebensfreude, Leistungsfähigkeit und vor allem kreative Gestaltungskraft (die in der Regel als erstes schwindet). Deshalb muß ein entsprechend traumatisierter Mensch viel Kraft aufwenden, um diesen "inneren Fremdkörper" aus seinem bewußten Selbstbild fernzuhalten. Die häufigsten Klagen auf seelischem, pychosozialem und psychosomatischem Gebiet sind: Vorschnelle Ermüdung, rasche seelisch-körperliche Erschöpfbarkeit, Merk- und Konzentrationsstörungen, nachlassende Gedächtnisleistung und Aufmerksamkeit, Gemütslabiltiät bis hin zur unkontrollierbaren Rührseligkeit, Zerstreutheit, vorübergehende Benommenheit, ständige Anspannung, Unruhe und Nervosität, dazu Reizbarkeit, ja Aggressivität (s. u.), Angstzustände in jeder Form, frei flottierend oder phobisch, (d. h. zwanghaft auf bestimmte Dinge oder Erinnerungen bezogen s. u.), Ruhelosigkeit, gemütsmäßige Unbeständigkeit, depressiv-mißgestimmte Zustände, hartnäckige Grübelneigung, abnorm gesteigertes Erinnerungsvermögen, aber nur an furchtbare Szenen der Verfolgung usw. Dazu Katastrophenträume, Gefühl des Niedergangs, der Wertlosigkeit und Isolierung. Als relativ typisch gelten Erinnerungsstörungen bzw. konkrete Erinnerungslücken sowie eine Einengung von Vitalität und Antrieb bis hin zur adynamisch-depressiven Dauerverstimmung (auch als "chronische reaktive Depression" bezeichnet - s. Depression). Die verminderte Fähigkeit zur aktiven Lebensgestaltung führt zu schwerwiegenden Irritationen im zwischenmenschlichen und sozialen Bereich. Grundtenor ist eine matte Traurigkeit mit unverrückbarem Verhaftetsein an die erlebten Demütigungen und Schrecken. Hinderlich bis peinlich können situationsgebundene phobische Ängste (Zwangsbefürchtungen) mit einer eigentümlichen Schreckhaftigkeit werden, selbst auf harmlose Ereignisse hin. Im einzelnen:
Besondere AspekteSchließlich seien noch einige besondere Aspekte der Folter kurz gestreift, die immer wieder zur Sprache kommen, aber von Außenstehenden nur schwer verstanden werden können. Im einzelnen:
Was kommt danach?Die Zeit der Folter ist eine Extrem-Belastung, die Zeit danach eine nicht minder schwere, wie die seelischen, psychosozialen, psychosomatisch interpretierbaren und körperlichen Folgen belegen (s. o.). Es gibt aber noch andere Belastungen, Kränkungen, Demütigungen, Frustrationen und damit neue Traumatisierungen. Im einzelnen: Bleibt das Folter-Regime bestehen und kann der Betroffene nicht ins Ausland fliehen, gerät er ohnehin in "Freiheit ohne Freiheit". Er darf nicht anklagen, sich nicht einmal beklagen, muß schweigen und dulden, weil er sonst erneut inhaftiert und gefoltert wird. Auch die Angehörigen und Freunde müssen schweigen und geraten damit in eine seltsame Komplizenschaft mit den Folterern, die sie erheblich belastet. Deshalb reagieren nicht wenige mit Unbehagen, Rückzug, ja versteckten Anklagen oder Aggressivität. Kann das Opfer ins Ausland fliehen, wird es zum Asylanten. Das wirft Probleme eigener Art auf. Aber selbst wenn das Regime stürzt oder abgelöst wird und das Opfer als ehemaliger Widerstandskämpfer zum Helden und Idol emporwachsen könnte, kommen nur wenige auf ihre Kosten. Meist stehen dann andere Probleme im Vordergrund, z. B. Wiederaufbau, Demokratisierung, neue Allianzen. Für eine Reflexion über das Vergangene bleibt oftmals keine Zeit mehr - oder keine Lust. Letztlich betrachten sich jetzt alle Bürger als Opfer. Die Haltung der Bevölkerung gegenüber den Widerstandsopfern ist eher ambivalent. Das scheint in allen Nationen ähnlich zu sein. Schließlich erinnert es an das, was war (und an was man sich angepaßt hat, z. B. aus Mangel an Mut). Es scheint ein generelles Phänomen zu sein, dass die Opfer eines autoritären Regimes nicht beliebt sind, da sie das schlechte Gewissen der schweigenden Mehrheit wachhalten. Außerdem spielen hier auch psychologische Faktoren eine Rolle: Als Widerstandskämpfer hebt man sich aus der Masse heraus, wird wegen seines Mutes bewundert, kann sich in einer Tradition von historischen Helden fühlen. Das spendet Kraft und Identität. Wenn nach dem Fall des Regimes die Restauration einsetzt, fällt diese Aura weg und man wird Teil der großen Masse. Danach kommt man in einer - inzwischen pluralistisch gewordenen - Gesellschaft nur noch dann zu seinem Recht, wenn man seine Interessen organisiert und lautstark zur Geltung bringt. Interessanterweise verstehen das die Interessenverbände der ehemaligen Täter in vielen Fällen besser als die der Opfer, die sich bestenfalls in untereinander zerstrittenen Opferverbänden organisieren - und vor allem an Mitgliederschwund leiden. Das verbittert. Das "Danach" ist deshalb oft nicht das, was man sich erhofft hat. Die Nichtanerkennung oder zumindest die "leisen Zweifel" (an) der Folter und ihren Folgen ist eine erneute Kränkung, Demütigung, Frustration, vielleicht sogar Traumatisierung. Damit stellt sich die Gesellschaft (oder ihre Repräsentanten, z. B. bestimmte Behörden) in den Augen des Betroffenen auf die Seite des Täters, indem sie das Vorgefallene einfach leugnet oder wenigstens verharmlost. Vor allem die Straffreiheit für die Täter eines Unrechts-Regimes, d. h. die Nachricht von der Freisprechung ehemaliger Schergen durch die Justiz des inzwischen ggf. wieder demokratisch gewordenen Landes führt deshalb zu heftigen Reaktionen unter den überlebenden Opfern. Verurteilungen sind dafür ein Stück Gerechtigkeit und Genugtuung. Selbst wenn die Straffreiheit juristisch fundiert ist, aus welchen Gründen auch immer, treibt sie die Betroffenen in Unverständnis, Bitterkeit, Resignation und ohnmächtigen Zorn, selbst wenn man es zu verstehen versucht ("wir haben Gerechtigkeit gewollt und den Rechtsstaat bekommen"). Eine absolute Gerechtigkeit kann es offenbar nicht geben. Der Prozeß zur Bewältigung vieler Traumen ist nicht frei von menschlichen Tragödien, wie man sie ansonsten aus jedem Drehbuch streichen würde, "weil es in dieser Form unrealistisch ist ...". Das gesellschaftliche Klima geht in Richtung Verdrängung und Verleugnung," damit wieder Ruhe einkehrt". Für die breite Masse mag es besser sein, was die allgemeine Gemütsruhe anbelangt. Auch werden dadurch - so die gängige Meinung - die Kräfte eher für den so notwendigen Wiederaufbau gebündelt. Für die Betroffenen ist es ein fortwährender Stachel im Fleisch. Therapie und RehabilitationDennoch gilt es eine Basis zu schaffen, die die Opfer davor bewahrt, in jenen Abgrund zu stürzen, in den die Folter sie schon einmal fallen ließ. Dies ist besonders wichtig für jene Betroffenen, die einer anderen Kultur angehören. Hier ist das allgemeine und behördliche Unverständnis auch am größten (und am leichtesten?). Hier wird auch gerne mit schlichten Argumenten pariert, bis hin zur Verdächtigung einer Selbstverstümmelung oder rituell zugefügten Wunde bei Narben, die man sich nicht anders erklären kann oder will. Hier sind auch die "modernen", psychologisch angesetzten Foltermethoden am wirkungsvollsten, weil sie am wenigsten nachempfunden und bewiesen werden können. Hier gilt auch der an sich absurde Satz: Je größer die geschilderte Ungeheuerlichkeit, desto stärker der Eindruck der Unglaubwürdigkeit. Das ist die Tragik vieler Opfer und darauf spekulieren auch die Folterer ("Man wird sie für verrückt halten ..."). Je vielfältiger das Beschwerdebild und seine Ursachen, desto schwieriger gestaltet sich auch die Behandlung. Viele (die meisten?) Betroffenen suchen überhaupt keine Behandlung auf, weil sie fürchten, mit der Wiederbelebung der früheren Erlebnisse nicht fertigzuwerden. Andere wären zwar für eine Therapie dankbar, doch finden sie niemand, der dafür ausgebildet ist und sich dieser schweren Aufgabe stellt. Auch darf man ja nicht vergessen, dass eine Heilung praktisch unmöglich ist. Das Optimum ist eine Linderung der seelischen, körperlichen und psychosozialen Probleme, um wieder ein halbwegs lebenswertes Leben aufnehmen zu können. Die vielfach geübte Behandlung mit psychotropen Pharmaka (meist Beruhigungs-, Schlaf- und Schmerzmittel) führt - für sich alleine praktiziert - auf Dauer nur zu unbefriedigenden Ergebnissen. Sie ist aber auch nicht völlig falsch, besonders wenn sonst keine Therapiemöglichkeiten zur Verfügung stehen und auch in begründeten Fällen als zweite Behandlungssäule. Wichtig ist vor allem eine spezifische Psychotherapie sowie entsprechende soziotherapeutische Korrekturen und Unterstützungsmaßnahmen. Einzelheiten würden hier zu weit führen, doch gelten als Grundzüge der Behandlung: 1. Wissendes Zuhören, was die individuellen Probleme anbelangt;
Allerdings gibt es nur wenige Aus-, Weiter- und Fortbildungsmöglichkeiten und vor allem Behandlungszentren für die dafür erforderlichen Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter, Schwestern, Pfleger, Krankengymnasten, Ergotherapeuten usw. In Deutschland haben erst wenige Behandlungszentren für Folteropfer ihre Arbeit aufgenommen, z. B. in Berlin, München und Ulm. Daneben gibt es eine Reihe von Experten, die an Universitäts- und sonstigen Kliniken arbeiten, dafür aber nicht hauptamtlich eingesetzt werden. Die voll dafür verfügbaren Behandlungszentren wiederum müssen meist ständig um ihre Existenz bangen, auch wenn sie von Ministerien, UNO, EU, vom Roten Kreuz, von Firmen, Stiftungen, Privatpersonen usw. unterstützt werden. Zwar ist seitens entsprechender Institutionen (UNO, Europäisches Parlament, Bundesärztekammer, Deutsches Rotes Kreuz usw.) einiges in Bewegung geraten, doch hat das Problem eben nicht nur humanitäre, sondern auch politische Dimensionen, die sich bekanntermaßen nicht immer ideal ergänzen. So ist und bleibt die Betreuung von Folter-Opfern vor allem eine menschliche Aufgabe jedes einzelnen von uns. Bedarf besteht. LiteraturInzwischen wachsende Zahl von wissenschaftlichen Publikationen und Fachbüchern, aber auch allgemeinverständlichen Artikeln und Sachbüchern. Drei Beispiele als Grundlage vorliegender Ausführungen: Graessner, S., N. Gurris, C. Pross (Hrsg.): Folter. An der Seite der Überlebenden - Unterstützung und Therapien. Verlag C. H. Beck, München 1996 Peters, U.-H., V. Faust: Das Überlebenden-Syndrom. Gesundheitsschäden nach Verfolgung, Gefangenschaft und Folter. In: V. Faust (Hrsg.): Psychiatrie. Ein Lehrbuch für Klinik, Praxis und Beratung. Gustav Fischer-Verlag, Stuttgart-Jena-New York 1996 Peters, U.-H.: Der Verfolgten-Syndrom. In: V. Faust (Hrsg.): Psychiatrie. Ein Lehrbuch für Klinik, Praxis und Beratung. Gustav Fischer-Verlag, Stuttgart-Jena-New York 1996 |
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Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise. |