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SIMULATIONS-VERDACHT: VORTÄUSCHUNG EINER GESUNDHEITSSTÖRUNG

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Jeder hat schon einmal einen solchen Verdacht gehabt: Der / die macht etwas vor, täuscht, lügt, betrügt. Oder vornehmer ausgedrückt: simuliert. Aus Experten-Kreisen hört man dann noch andere Fachbegriffe, die zwar wie eine Simulation aussehen, aber andere Ursachen haben sollen: Aggravation, artifizielle Störung, Dissimulation, vielleicht sogar mit bekannten oder unbekannten Eigennamen: Münchhausen-Syndrom, Ganser-Syndrom usw.

Einzelheiten würden hier zu weit führen. Aber eines würde einen schon interessieren: Kommt man solchen Versuchen auf die Schliche? Und wenn ja, wie? Und wenn nein, warum? Wie versuchen sich „Recht und Ordnung“ dagegen zu schützen.

Hier hilft die so genannte Simulations-Forschung weiter. Sie hat in den angelsächsischen Nationen nicht nur eine ältere Tradition und damit einen entsprechenden Wissens-Vorsprung, dort geht es auch härter zur Sache, z. B. juristisch. Aber da in unseren Breiten so gut wie alles nachgemacht und fortgeführt wird, kann es auch nicht schaden, sich gegen entsprechende Auswüchse rechtzeitig abzusichern. Dazu eine kurz gefasste Übersicht.



Erwähnte Fachbegriffe:

Vortäuschung – vorgetäuschte Gesundheitsstörung – Simulation – negativ verzerrtes Leistungsverhalten – suboptimales Leistungsverhalten – Aggravation – artifizielle Störung – Dissimulation – Ganser-Syndrom – Münchhausen-Syndrom – Pseudologia phantastica – Krankenhaus-Wandern – Nachahmung von Beschwerden – Täuschungs-Versuch – Simulations-Forschung – neuropsychologische Forschung – Simulations-Marker – Aggravations-Marker – Verhaltens-Charakteristika bei Täuschungs-Versuchen – die häufigsten Begutachtungs-Ursachen – Schädel-Hirn-Trauma – Kopf-Unfall – Schleuder-Trauma – Multiple chemische Sensitivität – Umwelt-Krankheit – idiopathische umweltbezogene Unverträglichkeit – Fibromyalgie – Schmerz-Syndrome – Angststörungen – psychosomatische Störungen – Depressionen – Phobien – ältere Erkennungs-Tests – neue Erkennungs-Test – Entwicklung trainings-resistenter Instrumente – u.a.m.

Sind alle Menschen ehrlich? Kaum. Das war so, das ist so (mehr denn je?), das wird immer so bleiben. Es dürfte keinen Menschen geben, der das nicht aus eigener, enttäuschender oder gar bitterer Erfahrung zu bestätigen gezwungen ist.

Das betrifft alle Bereiche und deshalb auch die Medizin. Die Ärzte und Psychologen jeglicher Spezialisierung machen sich darüber auch keine Illusionen. Es ist zwar nicht an der Tages-Ordnung, aber man muss auf der Hut sein vor Verstärkung oder Übertreibung vorhandener Krankheitszeichen (Aggravation), wenn nicht gar zweckgerichteter Vortäuschung bzw. gezielter Nachahmung von Beschwerden, um als krank zu gelten (Simulation). Und natürlich das Gegenteil, wenn es sich aus der Sicht des Betreffenden als notwendig erweist, um ein beschönigendes, wenn auch unlauteres Ziel zu erreichen (Dissimulation). Einzelheiten dazu siehe der Kasten.

Was versteht man unter…

- Aggravation (engl.: aggravation): Verstärkung bzw. Übertreibung tatsächlich vorhandener, aber im Allgemeinen nicht so schwer wiegender Symptome. Im Gegensatz zur Simulation (s. u.) liegen hier jedoch reale Beschwerden (und damit auch krankhafte Befunde) vor.

- Artifizielle Störungen (engl.: artefical disorders): Willentliches, aber nicht nachvollziehbares Erzeugen und damit Vortäuschen von körperlichen (seltener auch seelischen) Beschwerden oder Beeinträchtigungen. Oft sind es selbst zugefügte Verletzungen, die zu einer medizinischen Diagnose oder gar ambulanten bzw. stationären Therapie zwingen – ggf. sogar zu einem Krankenhaus-Wandern führen. Im Gegensatz zur reinen Simulation (s. u.) handelt es sich hier aber um eine unbewusste und damit zumindest nicht ausreichend kontrollierte Zielsetzung. Die bekannteste Unterform der artifiziellen Störung ist das Münchhausen-Syndrom (s. u.).

- Dissimulation (engl.: dissimulation): Verbergen oder zumindest Herunterspielen real vorhandener Krankheitszeichen bis hin zur Vortäuschung nicht bestehender Gesundheit aus bestimmten Gründen (z. B. Bewerbung).

- Ganser-Syndrom (engl.: Ganser-syndrome): Komplexe Wunsch- und Zweck-Reaktion mit auffälligem Daneben-Reden oder gar Vorbei-Handeln. Einzelheiten siehe das spezifische Kapitel in dieser Serie.

- Münchhausen-Syndrom (engl.: Munchhausen-syndrome): Nach dem gleichnamigen Lügen-Baron benanntes Beschwerdebild mit den spezifischen Charakteristika: 1. vorgetäuschte Erkrankung, 2. pathologisches Lügen (Fachbegriff: Pseudologia phantastica) und 3. Umherziehen von Ort zu Ort, meist von Krankenhaus zu Krankenhaus. In der Regel männlich, wenig angepasst, oft vorbestraft, nicht selten aber auch entsprechend vorgebildetes medizinisches Fachpersonal (z. B. Krankenschwestern, Laborantin, Krankenhausverwaltung).

Eine besonders schwer wiegende Unterform ist das „Münchhausen-Syndrom by proxy“, bei dem nicht der Betroffene sich selber, sondern – zumeist die Mutter – ihr Kind „krankenhaus-, untersuchungs- und behandlungs-bedürftig“ manipuliert.

- Simulation (engl.: malingering, feigning, simulation): Bewusste, zweckgerichtete Vortäuschung bzw. gezielte Nachahmung von Beschwerden, um als krank zu gelten. Dahinter steht beispielsweise ein geplanter Versicherungsbetrug u. a.

Wie auch immer, der Versuch, selbst in gesundheitlicher und damit medizinischer Hinsicht an etwas in täuschender Weise heranzukommen, ist nicht selten. Das wissen auch die Experten, nämlich die Ärzte in Klinik und Praxis (vor allem die forensisch-tätigen in den Spezialabteilungen für rechtskräftig verurteilte psychisch Kranke).

Ist der Täuschungsversuch schlicht oder gar plump, macht es keine Mühe. Je raffinierter aber vorbereitet und angelegt, desto schwieriger wird es, besonders für jüngere, unerfahrene und damit unsichere (sinnvollerweise auch vorsichtigere) Ärzte und Psychologen. Auch darf man nicht vergessen, dass es heute eine Reihe von durchaus fundierten Informationen gibt, seien es allgemein verständliche Artikel oder spezifische Fach-Literatur, die es Experten von der „anderen Seite“ erlauben, ihre Klienten nicht nur entsprechend zu beraten, sondern bisweilen sogar regelrecht zu trainieren, so die Klage mancher Psychologen und Psychiater. Ja, die Autoren und Verlage bestimmter Tests im Rahmen der Simulations-Forschung zur Entlarvung von Betrugs-Manövern im Gesundheitswesen bieten ihre Instrumente nicht nur aus wissenschaftlichem Verantwortungsbewusstsein, sondern auch kommerziellem Interesse an. Und damit nicht nur den Fachleuten aus Praxen, Kliniken und Instituten, sondern auch entsprechend tätigen Anwälten oder ihren daran interessierten Klienten selber.

Hier findet also wieder einmal ein zwiespältiger Wettlauf statt, wie er allerdings auch in anderen Bereichen üblich ist, d. h. in der Politik, in der Wirtschaft, ja sogar in Sport, Kultur u. Ä. Von privaten Strategien im Alltag ganz zu schweigen.

Aufgabe, Möglichkeiten und Grenzen der Simulations-Forschung

Was die Medizin und die Medizinische Psychologie anbelangt, so sollte man deshalb meinen, dass gerade die Simulations-Forschung und damit -Diagnostik ein wichtiges Anliegen der Wissenschaft und damit eine hilfreiche Unterstützung im Alltag von Klinik und Praxis sein sollten. Das stimmt auch in einem gewissen Grade, aber offensichtlich nur für den angelsächsischen Bereich – bisher. Dort ist die Simulations-Forschung inzwischen zu einem Haupt-Forschungsgebiet der praktisch orientierten klinischen Neuro-Psychologie geworden, beginnt Diplom-Psychologe Dr. Thomas Merten vom Vivantes-Netzwerk für Gesundheit der Klinik für Neurologie in Friedrichshain (Berlin) sein interessantes Kapitel. Thema: „Lässt sich suboptimales Leistungsverhalten messen?“, erschienen in dem Sammelband Grenzwertige psychische Störungen, herausgegeben von Professor Dr. Wolfgang Vollmoeller, Zentrum für Psychiatrie und Psychotherapie der Ruhr-Universität Bochum.

W. Vollmoeller (Hrsg.):
GRENZWERTIGE PSYCHISCHE STÖRUNGEN

Thieme-Verlag, Stuttgart-New York 2004. 118 S., 8 Abb., 19 Tab., € 49,95
ISBN: 3-13-136721-0

Dabei beklagt er aber auch gleich eine Einschränkung, nämlich eine geringe Resonanz im deutschen Sprachraum, weshalb hier bisher nur wenige praktikable Instrumente zur Simulations-Diagnose zur Verfügung stehen.

Als Erstes gilt es drei Bereiche auseinanderzuhalten, nämlich: Handelt es sich

  • bei den geschilderten kognitiven (geistigen) Leistungs-Ausfällen um zerebral (gehirn-funktions-)bedingte neuropsychologische Störungen oder
  • um solche, die primär im Rahmen einer psychischen Störung zu erklären sind (z. B. Depression, Alkoholismus, Schizophrenie, Alzheimer-Demenz). Oder
  • um bewusst und zielgerichtet vorgetäuschte Beeinträchtigungen?

So leicht es sich manche Simulanten machen (und damit auch noch Erfolg haben), so schwer tun sich grundsätzlich die Experten, um ein möglichst valides (auf Deutsch: wissenschaftlich hieb- und stichfestes) Instrumentarium und damit eine möglichst objektive Beurteilung zu schaffen.

Simulations- und Aggravations-Hinweise

Dabei gab es schon früher so genannte Simulations- und Aggravations-Marker. Dazu gehören beispielsweise folgende Verhaltens-Charakteristika und Untersuchungs-Ergebnisse (zitiert von Th. Merten in Anlehnung an O. Spreen und E. Strauss, 1998 in dem hier besprochenen Artikel):

  • Grobe Diskrepanzen (Unterschiede) zwischen Schwere der Krankheit oder Verletzung und angegebenem Ausmaß der Behinderung
  • Neuropsychologisch nicht plausible (einleuchtende, klare, verständliche) Störungs-Profile, Symptome (Krankheitszeichen) oder Beschwerden
  • Anamnestisch (Vorgeschichte) gelieferte Angaben widersprechen den akten-kundlichen Informationen (d. h. was bereits in den Akten früherer Untersuchungen und Erhebungen festgelegt ist)
  • Widersprüche zwischen Beschwerden und beobachtbarem Verhalten im Rahmen und außerhalb der Untersuchung (wofür es eine ganze Reihe von Tipps gibt, beispielsweise für den untersuchenden Neurologen in W. Fröscher (Hrsg.): Lehrbuch der Neurologie, 1991
  • Schilderung von Störungen des Altgedächtnisses (Langzeitgedächtnis, was schon sehr früh gelernt und gespeichert wurde und in der Regel am längsten verfügbar ist)
  • Fehlen bestimmter Positions-Effekte beim Wortlisten-Lernen (spezifische neuropsychologische Unterscheidungs-Merkmale)
  • Ungewöhnlich niedrige Wiedererkennungs-Leistungen (im Rahmen einer neuropsychologischen Untersuchung)
  • Ungewöhnlich hohe Antwort-Verzögerungen (braucht deutlich länger als der durchschnittlich Reagierende)
  • Lösung schwieriger Aufgaben, dafür Versagen bei einfachen Aufgaben
  • Lösung subtiler (verwickelter, eigentlich schwer zu durchschauender) Aufgaben, dafür Versagen bei offenkundig weniger schwierigen Aufgaben
  • Ungewöhnlich niedrige Zahlen-Spanne (neuropsychologische Untersuchungsaspekte)
  • Bizarre (nicht nur ungewöhnliche, sondern skurrile) oder grob unlogische Antworten
  • Gehäufte Lösungen „knapp daneben“
  • Grobe Diskrepanzen (Unterschiede) zwischen verschiedenen Testmaßen, die doch gleiche oder ähnliche Funktionen messen
  • Ungewöhnliche oder widersprüchliche Symptom-Konstellationen (also die Kombination von nun beim besten Willen nicht zusammengehörigen Krankheitszeichen)
  • u.a.m.

Was sich in letzter Zeit häuft

In den letzten Jahren häufen sich offenbar die Begutachtungs-Aufgaben durch eine Reihe bestimmter Ursachen (real oder befürchtet, wenn nicht gar vorgetäuscht). Dazu gehören vor allem

  • Schädel-Hirn-Traumen, also Kopfunfälle jeglicher Art, insbesondere durch Verkehrsunfälle, aber auch
  • das Schleuder-Trauma der Halswirbelsäule,
  • die Multiple chemische Sensitivität, die so genannte Umwelt-Krankheit, heute als „idiopathische umweltbezogene Unverträglichkeit“ bezeichnet mit angstvoll beklagter Stoff- oder Chemikalien-Unverträglichkeit bzw. bei Lösungsmittel-Expositionen,
  • die Fibromyalgie, also ein ursächlich unklares Beschwerdebild mit mehr oder weniger charakteristischem chronischem Schmerz-Syndrom sowie
  • eine Reihe von unspezifischen Beschwerden. Hier spielen dann vor allem Angststörungen, depressive Zustände und somatoforme Störungen (früher als psychosomatische Störungen bezeichnet) eine Rolle.

Die am häufigsten geschilderten unspezifischen Beschwerden ohne nachweisbare Möglichkeit einer exakten Zuordnung zu einem konkreten Krankheitsbild finden sich im nachfolgenden Kasten aufgelistet:

Häufig geschilderte unspezifische kognitive Beschwerden

1. Konzentrations-, Belastbarkeits- und Gedächtnisstörungen

- Kopfschmerzen
- Müdigkeit
- Konzentrationsstörungen
- Gedächtnisstörungen
- rasche Erschöpfbarkeit
- Abgeschlagenheit
- verstärkte Geräusch-Empfindlichkeit
- Reizbarkeit
- Sehstörungen
- Augenbrennen
- Belastbarkeits-Minderung
- vermehrte Irritierbarkeit

2. Andere Symptome, die beispielsweise als Hirnschaden-Folge bekannt sind

- Schwindel
- Schlafstörungen
- Sensibilitätsstörungen (Tastsinn)
- Hörminderung
- Tinnitus (Ohrgeräusche)
- Schmerzen mit unterschiedlicher Lokalisation
- Antriebsmangel
- Doppelbilder

3. Psycho-emotionale Symptome, die auch als Hirnschaden-Folge auftreten können

- depressive Stimmung
- Angst, zumindest Ängstlichkeit
- phobische Symptome (Zwangsbefürchtungen)
- Übelkeit
- weitere depressions-typische Krankheitszeichen

Zitiert nach Th. Merten

Was leisten moderne Erkennungs-Verfahren?

An dieser Aufzählung lässt sich leicht erkennen, wie breit, vielschichtig, ggf. schwer fassbar ein solches Beschwerdebild ist. Zum einen will man den Betreffenden kein Unrecht tun, zum anderen „muss man aber auch die Kirche im Dorf lassen“, d. h. es muss ein Mindestmaß an Übereinstimmung vorliegen, wie sie selbst weniger gut fassbare Krankheitsbilder erfahrungsgemäß mitbringen.

Hier liegt dann auch die Schwierigkeit, bewusste, wenn nicht gar zielgerichtet böswillig bis kriminell vorgehende Betrugs-Manöver zu entlarven, um es einmal ohne Hemmungen auf den Punkt zu bringen. Dafür braucht es dann eben auch qualifizierte neuropsychologische Untersuchungs-Methoden mittels test-diagnostischer und psychometrischer Verfahren, also Instrumente, die die Aufmerksamkeits-Leistungen, Gedächtnis, visuell-räumliche (Gesichtssinn) und exekutive (ausführende) Funktionen messen. Gefordert sind demnach Objektivität (Untersucher-Unabhängigkeit, d. h. bei jedem Untersucher ein vergleichbares Ergebnis), Reliabilität (Mess-Genauigkeit) und Validität (inhaltliche Gültigkeit). Und damit Vergleichbarkeit und Kommunizierbarkeit der Ergebnisse (d. h. sie müssen einleuchtend „rüberkommen“).

Wo liegen nun die Vorteile moderner Verfahren? Eigentlich müsste man einem Simulanten lediglich empfehlen, in Gedächtnis- und Aufmerksamkeits-Tests einfach etwas schlechter abzuschneiden, als dies seinen tatsächlichen Fähigkeiten entspricht. Wenn er dabei das rechte Maß trifft (das kann allerdings schwierig werden) und seine Verhaltens-Kontrolle, seine sozialen und kommunikativen Fähigkeiten gut genug ausgebildet sind (grob gesprochen: wenn Wesensart und Auftreten unauffällig, vielleicht sogar gewinnend sind und keine Skepsis auslösen), dann besteht eine durchaus gute Chance, das Ziel einer (fälschlich) bescheinigten Leistungs-Minderung zu erreichen. Genau an dieser Stelle aber, so der Experte Dr. Th. Merten, setzen nun die neuesten Tests zur Simulations-Erkennung an.

Allerdings sind sie keine aktuelle Erfindung. Verfügbar waren schon vor mehr als einem halben Jahrhundert bestimmte neuro-psychologische Untersuchungen, die sogar heute noch eingesetzt werden. Dabei machen vor allem „untrainierte“ Simulanten den Fehler, dass sie eine ungewöhnlich hohe Fehler- oder Auslassungs-Zahl präsentieren. Deshalb werden diese Verfahren – insbesondere im Wiederholungsfall oder bei entsprechender Anleitung durch „Experten der anderen Seite“ (s. o.) – schließlich vom „Simulations-Willigen“ (auf Deutsch: dem Betrüger) leichter durchschaut.

Darum hat man sie im Laufe der Zeit zwar verbessert, doch inzwischen stehen feinere, schwerer manipulierbare Test-Verfahren zur Verfügung. Einige von ihnen sind schon deshalb nicht vorher-trainierbar, weil ein Teil der Testfragen für den jeweiligen Fall individuell konstruiert wird, z. B. auf der Grundlage der polizeilichen Vor-Ermittlungen. So etwas nennen die Experten eine einzelfall-experimentelle Versuchs-Anordnung, die natürlich den früheren Methoden deutlich überlegen ist.

Den neuesten Stand der Simulations-Forschung repräsentiert eine Reihe von Test-Verfahren, die in Nord-Amerika bereits zum täglichen Standard gehört und vor allem bei der Begutachtung von Unfallfolgen eingesetzt wird. Einige von ihnen wirken verhängnisvoll schlicht (z. B. Strichzeichnungen von Objekten), andere sind z. T. computer-gestützt. Einige sind allerdings auch sprach-bezogen, also nicht ohne weiteres übersetzbar, andere machen in dieser Hinsicht keine Schwierigkeiten (und liegen auch schon in deutschen Versionen vor).

So erfreulich erfolgreich inzwischen dieser Zweig der neuropsychologischen Wissenschaft gediehen ist, für kritische Geister unter den Forschern ist es noch immer nicht optimal genug. Das ist einerseits die Motivation, um hier auch weiterhin wissenschaftlich voranzukommen, zum anderen legt es für die „Praktiker an der Front“ die Empfehlung nahe, mehrere Test einzusetzen, die den jeweiligen Schwachpunkt minimal halten und die Stärken potenzieren. Und so sieht dann auch der Alltag der Fachleute aus – doch die „andere Seite schläft nicht“.

So schreibt der Psychologe Dr. Merten: „Das Problem eines gezielten Trainings von zu Begutachtenden durch ihre Anwälte erfordert die Entwicklung trainings-resistenter Instrumente oder eines ausreichend breiten Inventars einsatzbereiter Verfahren, das eine gezielte Vorbereitung auf die Begutachtungs-Situation erschwert“.

Negativ verzerrtes oder suboptimales Leistungsverhalten?

Diese „moralisch grenzwertige“ gesellschaftliche Entwicklung, über die der einfache Mitbürger schon mal ins Grübeln geraten kann (vielleicht auch nur bis zu jenem Punkt, wo er es dann selber nötig hätte…), scheint aber im deutschsprachigen Bereich noch keine zahlenmäßig ernsteren Probleme aufzuwerfen, d. h. hier wird noch nicht mit so „harten Bandagen“ auf beiden Seiten gefochten. In anderen Kulturkreisen hingegen – so Th. Merten – ist dieses Phänomen schon deutlich stärker verbreitet (man denke nur an so manche gerichtliche Auseinandersetzungen, wie sie „jenseits des großen Teiches“ ablaufen und den einen oder anderen wohl schon an „Recht und Gerechtigkeit“ zweifeln lassen). Umgekehrt – letztlich ruht keine Seite – werden jedoch derartige Trainings-Effekte coachender Anwälte oder entsprechender Spezialisten zunehmend wissenschaftlich untersucht und damit erschwert, so der Psychologe.

Aber auch ohne Unterstützung, mit entsprechender Intelligenz, Energie und ausreichendem Durchhaltevermögen, vor allem gewissen Vorerfahrungen aus eigenen und fremden Untersuchungen, bereits vorliegenden Befunden und Gutachten, kann man sich natürlich nach und nach in das einarbeiten, was die Experten ein „negativ verzerrtes Leistungsverhalten“ oder auch „suboptimales Leistungsverhalten“ nennen.

Das klingt besser als Simulation oder gar Betrugs-Versuch. Es dokumentiert aber auch das beruhigend unaufgeregte, nüchterne, zielgerichtete und konsequente wissenschaftliche Vorgehen der Neuropsychologen und kooperierender Fachleute. Und zwar nicht zuletzt im Interesse derer, die trotz realer Beeinträchtigung aufgrund welcher Konstellation auch immer in einen falschen Verdacht geraten sind. Moderne Verfahren in der Simulations-Forschung helfen nicht nur zu enttarnen, sie verhelfen auch wirklichen Opfern zu ihrem Recht.

Literatur

Auch gesellschaftlich interessantes und in Zukunft an Bedeutung gewinnendes Forschungs-Gebiet mit einer wachsenden Zahl an wissenschaftlichen (allerdings nur wenig populär-medizinischen) Publikationen, vor allem aus den nordamerikanischen Nationen. Einzelheiten siehe das Literaturverzeichnis des besprochenen Kapitels in dem Sammelband:

Vollmoeller, W. (Hrsg.): Grenzwertige psychische Störungen. Thieme-Verlag, Stuttgart-New York 2004

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
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