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WIE BEGINNT EINE DEPRESSION?

Warnsymptome erkennen und nutzen lernen

Depressionen können auf verschiedene Weise beginnen: Bei manchen schleicht sich das Beschwerdebild langsam ein, andere überfällt es gleichsam über Nacht. In welcher Form auch immer, es gilt die wichtigsten Warn- oder Alarmsymptome zu kennen, um rechtzeitig eingreifen zu können. Denn Depressionen gehören zu jenen Leiden, die am längsten verkannt und damit nicht rechtzeitig diagnostiziert und gezielt behandelt werden.

Leider ist es im Gegensatz zu manchen anderen seelischen und vor allem körperlichen Krankheiten bei der Depression gar nicht so einfach, sogenannte Warn- oder Vorposten-Symptome auszumachen (Fachausdruck: Prodromi). Das liegt zu einen an ihrem vielfältigen Beschwerdebild, das so umfassend bzw. verwirrend ist wie bei kaum einem anderen Leiden. Zum anderen ist es die alte, aber nur selten realisierte Erkenntnis, dass bei der Depression vor allem körperliche oder zwischenmenschliche und berufliche Beeinträchtigungen auffallen, rein seelische hingegen nur selten, zumindest zu Beginn.

Die wichtigsten Warn-Symptome

Welches sind nun aber die wichtigsten Krankheitszeichen, auf die man möglichst früh achten bzw. die man erfragen muss, wollten Internisten und Allgemeinmediziner auf einem Fortbildungsseminar der Weissenau wissen? Meist ist es eine Veränderung des Schlafes. Häufig Ein- und Durchschlafstörungen, auch als "zerhackter Schlaf" bezeichnet, nicht selten mit belastenden Träumen. Und schließlich das gefürchtete Früherwachen mit "Berg auf der Brust und Panik vor dem neuen Tag". Dann lässt auch der Antrieb zu wünschen übrig: müde, matt, ohne Initiative und Schwung, schließlich zunehmend energielos, passiv, zuletzt schwach, kraftlos, vor allem leicht und rasch erschöpfbar. Oft klagen die Betroffenen auch über ein sogenanntes "Morgentief", das sich erst gegen Mittag aufzuhellen beginnt.

Besonders verwirrend und peinigend ist die Kombination aus äußerlich antriebslos, ermattet oder gar völlig "hinfällig", dabei aber innerlich unruhig, nervös, gespannt, vibrierend, gleichsam "wie unter Strom".

Nach und nach kommt es auch zu Appetitstörungen und Gewichtsverlust, wobei letzteres weniger irritiert, weil es die meisten Patienten ihrem "Idealgewicht" zuzuführen scheint. Soweit die Hinweise, die in den Lehrbüchern am häufigsten beschrieben werden.

Häufig, aber kaum erfragt: Freudlosigkeit und Elendigkeitsgefühl

Für viele aber hat sich schon vorher eine gewissen Lustlosigkeit, ja Freudlosigkeit eingeschlichen. Und eine wachsende Unfähigkeit zu genießen. Die Hobbys verblassen, freie Tage oder gar Urlaub werden zur Belastung, die kleinen Freuden des Alltags sind plötzlich ohne Wert, größere Ereignisse fast nicht mehr zu ertragen. Manche klagen auch über ein undefinierbares "Grippegefühl", das später zu einem regelrechten "Elendigkeitsgefühl" auswachsen kann.

Besonders verwirrend, weil nicht nur zermürbend, sondern vor allem kaum begründbar, ist eine zunehmend pessimistische, ja mutlose Einstellung, und das Nachlassen früherer Interessen, zumindest jener, die eine gewisse Mindestaktivität voraussetzen. Sorgenvoll wird auch eine zunehmendes Merk- und Konzentrationsstörung, ja wachsende Vergesslichkeit registriert. Die später so gefürchtete "Leere im Kopf", die besonders geistig Tätige bis in die Selbsttötungsgefahr treiben kann, prägt sich erst nach und nach aus.

Zwischenmenschlich und beruflich

In zwischenmenschlicher und vor allem beruflicher Hinsicht fällt auf, dass zuerst intensive, später sogar alltägliche Kontakte immer belastender und dadurch kaum mehr durchgestanden, ja überhaupt ertragen werden. Der Betroffene zieht sich zurück und gerät damit unbemerkt in eine Isolation (die es wiederum der Umgebung schwer macht, rechtzeitig auf diese negative Entwicklung aufmerksam zu werden). Und die Leistung wird immer schwieriger erbringbar, vor allem unter Druck und bei mehrschichtigen, komplexen Aufgaben (Klage der Betroffenen: "doppelter Einsatz bei halbem Ertrag").

Natürlich sind das alles erst einmal "allgemeine Stress-Reaktionen", oder "Befindlichkeitsstörungen", wie das so schön heißt. Sie können in der Tat jeden und zu jeder Zeit treffen, deshalb muss man noch keine Depressionen befürchten. Entscheidend ist jedoch die Art und Weise, wie die Betroffenen und ihre Angehörigen das Ganze darstellen und durch ihre Schilderung bewusst oder unbewusst interpretieren - und damit den Arzt nicht selten auf eine falsche Fährte locken. So muss man sich nicht wundern, dass die häufigste Diagnose, die zu Beginn einer erst einmal verkannten Depression gestellt wird, eine Fehldiagnose ist, meist als "vegetative Dystonie" oder "Labilität" oder als "psychovegetativer Erschöpfungszustand" bezeichnet.

Falsche Diagnose, falsche Therapie

Und entsprechend sehen auch die Therapievorschläge aus: Ausspannen, Kürzer-Treten und dann "einmal so richtig ausschlafen", endlich die überfälligen Restferien des Jahres nachholen usw. Und wenn es Medikamente sind, dann vor allem Schlaf- und Beruhigungsmittel, die in der Regel als erste eingesetzt werden - aber letztlich ohne den erwarteten Erfolg.

Deshalb muss eine nicht erkannte und unzureichend behandelte Depression oft genug erst einmal so richtig "durchbrechen", d.h. seelisch zermürben, körperlich belasten, zwischenmenschlich bzw. beruflich irritieren oder gar Schaden anrichten - bevor man auf die richtige Ursache kommt. Das ist das Los der überwiegenden Zahl von Betroffenen. Man spricht von mehr als jedem Zweiten. Eine gezielte antidepressive Therapie soll nur jeden Fünften erreichen.

Warum man seine eigene Depression nicht erkennt

Dabei gilt die alte Regel: Je früher erkannt, desto schneller gezielt behandelt, um so wirkungsvoller abgemildert und rascher ausgestanden. Der umgehende Gang zum Arzt lohnt sich also allemal, auch wenn man sich vielleicht "hypochondrisch" oder "überängstlich" vorkommt. Noch verhängnisvoller ist die Einstellung: Nur nicht zum Arzt, er könnte etwas finden, vielleicht sogar eine "Geisteskrankheit" (was eine Depression aber nicht ist, hier handelt es sich um ein Gemütsleiden, das inzwischen 10 bis 15 % der Bevölkerung betrifft, man ist also wahrhaftig nicht allein betroffen).

Und der Arzt muss dann gezielt nachfragen. Dafür gibt es Symptom-Listen, die in kurzer Zeit einen relativ guten Überblick verschaffen. Wer aber nicht fragt, bekommt auch nicht die richtigen Hinweise, wenigstens vom Patienten selber. Denn der hat zum einen Angst und hält mit vielem hinter dem Berg. Vor allem aber ist er inzwischen geistig so absorbiert oder gar benommen, dass er die meisten Symptome gar nicht mehr richtig auseinanderhalten und vor allem exakt schildern kann, auch wenn er noch so heftig darunter leidet. Das ist die eigentliche "diagnostische Gefahr" einer Depression.

Denn wie lautet der bezeichnende Dialog in einer berühmten Biographie: "Herr Professor, Sie sind Psychiater, warum haben Sie nicht erkannt, dass Sie eine Depression hatten, dazu noch eine so schwere?" Antwort: "Weil ich eine Depression hatte...".

(Prof. Dr. med. Volker Faust)

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
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