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Macht und Machtmissbrauch aus psychologischer Sicht

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Wo die Macht ist, flieht der Geist; wo der Geist ist, fehlt die Macht. Wer kennt ihn nicht, diesen ironischen, aber auch bitteren Spruch aus Volkes Munde, der einem glatt heruntergeht - auch wenn er so natürlich nicht stimmt. Allerdings dürfte den meisten dazu eine Reihe von traurigen Beispielen einfallen.

Und dasselbe gilt für narzisstische Wesenszüge: unkritische Selbsteinschätzung, überhöhte Anspruchshaltung, ausnützerische und egoistische Einstellung, Neid und Überheblichkeit, ja selbstgefällig, aufgeblasen, großspurig, auf jeden Fall unrealistisch überzeugt von den eigenen Eigenschaften wie Erfolg, Scharfsinn, Schönheit und vor allem Macht. Von solchen Mitmenschen hört und liest man täglich und manche müssen sie sogar im eigenen Umfeld ertragen, unmittelbar und gnadenlos.

Dabei denkt man zuerst an die Politik, aber die steht nur besonders im Scheinwerferlicht der Medien und damit der Allgemeinheit. Das Gleiche gilt natürlich auch für Wirtschaft, Kultur, Show-Business, Sport, Bürokratie, ja Religionen, Wissenschaft usw. Wir leben offenbar im "Zeitalter des Narzissmus" (Selbstverliebtheit - Selbstbezogenheit - Selbstbewunderung - Egoismus). Und wenn dann noch Macht-Anspruch oder gar Macht-Missbrauch hinzukommen, dann ist das Problem perfekt.

Selten ist es wohl nicht, aber glücklicherweise nur selten in jenen Macht-Etagen angesiedelt, in denen viel Schaden, Leid oder gar Unheil angerichtet werden könnte. Je weiter oben, desto eher auch unter Beobachtung (wenngleich nicht immer unter Kontrolle).

Auf jeden Fall ist Macht ein schillerndes Phänomen, das höchst zwiespältige Gefühle, Phantasien und Wertungen auslöst, wie die Experten es ausdrücken. Und das, was sie dazu aus ihrer Sicht zu sagen haben, nämlich die Psychologen und Psychiater mit psychotherapeutischen Aufgaben, das soll als Kurzfassung nachfolgend gestreift werden. Vieles hat man geahnt, manches ist bekannt, einiges ist neu und vor allem interessant, eröffnet es doch die psychologischen Hintergründe und damit vielleicht sogar ein entlastendes Verständnis den Mächtigen gegenüber.

Bei dem Begriff Macht beschleicht uns ein ungutes Gefühl. Dabei wissen wir alle, dass Macht im konstruktiven Sinne erst einmal für die Grundlagen eines lebenswerten Miteinanders, also für Recht und Ordnung sorgt. Doch wenn der Begriff Macht fällt, dann meist im negativen Zusammenhang. Macht hat ein schlechtes Image.

"Macht ist offenbar ein schillerndes Phänomen, das höchst ambivalente Gefühle, Phantasien und Wertungen auslöst. Macht wird einerseits entwertet, verdammt, gar verteufelt, und andererseits gilt ihr unsere Faszination. Wir bewundern und beneiden diejenigen, die sie ausüben. Wir träumen heimlich davon, selbst über unendlich viel Macht zu verfügen und beschwichtigen die Schuldgefühle, die dieser Wunsch auslöst, mit der Vorstellung, diese unendliche Macht natürlich zum Wohle der Menschheit einzusetzen". Mit dieser Einführung, die praktisch jeder unterschreiben kann, der über eine ausreichend selbstkritische Einstellung verfügt, mit diesen einleitenden Sätzen beginnt Prof. Dr. H.-J. Wirth vom Psychosozial-Verlag in Gießen seinen Beitrag über den "pathologischen Narzissmus und den Machtmissbrauch in der Politik" in dem empfehlenswerten Buch über Narzissmus (siehe Kasten).

O. F. Kernberg, H.-P. Hartmann (Hrsg.):
NARZISSMUS
Grundlagen - Störungsbilder - Therapie

Schattauer-Verlag, Stuttgart-New York 2006. 766 S., 19 Tab., € 79,00.
ISBN 3-7945-2241-9

Und er belegt diese Einschätzung mit Schlagzeilen, die jeder noch gut in Erinnerung hat: "Keine Macht für niemand!", lautete einst der Slogan der 68er- Bewegung. Aber so ganz auf Macht konnten auch die Studenten nicht verzichten, denn sie formulierten: "Die Phantasie an die Macht!" und "Alle Macht dem Volke!"

Diese Zwiespältigkeit und die sich daraus ergebenden gesellschaftlichen, vor allem aber gesellschafts-politischen Konsequenzen und Forderungen sieht auch die Allgemeinheit nicht wesentlich anders, beispielsweise ausgedrückt in lexikalischer Kürze (siehe Kasten):

Macht, die Summe aller Einflussmöglichkeiten in politischer, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht, aber auch die Chance, in einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durch zu setzen. Grundlagen von Macht können sein: physische oder psychische Überlegenheit, Wissensvorsprung, höhere Organisationsfähigkeit, aber auch das Ausnutzen von Herrschaftsstrukturen und die Angst bei den Unterworfenen.

In allen auf Demokratie und bestimmte Grundrechte der Menschen ausgerichteten Gesellschaften wird die politische Macht-Ausübung durch Recht, Gesetz, Verfassung und öffentliche Kontrolle zu institutionalisierter und damit anerkannter und kalkulierbarer Herrschaft. Daneben findet man, vor allem in totalitären Systemen, Mechanismen der Beeinflussung (politische Propaganda, Manipulation), die vom Einzelnen als Macht-Ausübung nicht mehr durchschaut werden können. Kein Gesellschaftssystem mit komplexer Sozialorganisation verzichtet auf Macht-Mittel staatlicher Gewalt (Gerichte, Polizei, Militär, Strafanstalten), um die innere Ordnung und die äußere Sicherheit des politisch-sozialen Systems zu gewährleisten. Neben den politischen und ökonomischen Macht-Strukturen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft bestimmen Macht-Positionen die zwischenmenschlichen Beziehungen in allen Lebensbereichen (in Ehe, Familie, Beruf, Kirche u. a.).

Zur Erklärung der Entstehung von Macht-Strukturen im sozialen (politischen, kulturellen, religiösen) Leben wurde früher ein genereller Macht-Trieb angenommen. Heute diskutiert man komplexere Aspekte. Das Phänomen Macht in seiner strukturellen Vielfalt bleibt aber weiterhin den meisten Menschen schwer durchschaubar.

Nach DIE ZEIT - Lexikon, 2005, modifiziert

Interessanterweise - so der Autor weiter - ergeht es dem Begriff des Narzissmus ähnlich. Auch ihm haftet eine höchst ambivalente Tönung an. Schon der Begründer der Psychoanalyse, Prof. Dr. Sigmund Freud brachte es letztlich mit einem Satz auf den Punkt: Wer in erster Linie an sich selbst denke, dem stünden für den Mitmenschen keine Liebesreserven mehr zur Verfügung.

Der Narzissmus scheint mit dem Egoismus assoziiert und ist demnach eine antisoziale Eigenschaft. Wenn wir einen Menschen als narzisstisch bezeichnen, werten wir ihn ab und charakterisieren ihn als egoistisch, ich-bezogen und in seinen zwischenmenschlichen Beziehungen beeinträchtigt. Ja, narzisstisch gestörte Persönlichkeiten gelten sogar als psychotherapeutisch schwer behandelbar (und werden von einer Adresse an die nächste "empfohlen", so die Klage der Betroffenen). Da hilft es auch nicht, dass manche Experten eine Zunahme narzisstischer Störungen bis hin zum "Zeitalter des Narzissmus" mit den Zeichen eines tiefgreifenden psychosozialen Verfalls festzustellen glauben.

Wer diese Internet-Serie kennt, kann sich auch in Beiträgen verschiedener Länge dazu informieren. Nachfolgend im Kasten eine Kurzfassung vor allem negativer Eigenschaften.

NARZISSMUS

Selbstverliebtheit - Selbstbezogenzeit - Selbstbewunderung - Egoismus

Narzisstische Wesenszüge = überhöhte Anspruchshaltung, unkritische Selbsteinschätzung, ausnützerische und egoistische Einstellung, Neid und Überheblichkeit nehmen offenbar zu.

Noch folgenschwerer wird es, wenn es sich um eine narzisstische Persönlichkeitsstörung handelt: selbstgefällig, dünkelhaft, aufgeblasen, wichtigtuerisch, großspurig. Dabei unrealistisch überzeugt von eigenen Eigenschaften wie Erfolg, Macht, Scharfsinn, Schönheit oder gar idealer Liebe.

Dazu weitere Belastungen wie Gier nach übermäßiger Bewunderung und unbegründete Erwartungen, als etwas Besonderes behandelt zu werden (wenn noch hysterische Züge dazu kommen). Außerdem die Neigung, andere auszubeuten, insbesondere was zwischenmenschliche Beziehungen (Partnerschaft, Familie, Freundeskreis, aber auch Arbeitsplatz), ja selbst Finanzen, Position u. a. anbelangt.

Ggf. sogar ein unverständlicher Mangel an Mitleid, Zuwendung und Hilfsbereitschaft. Dafür neidisch und manchmal sogar bösartig (z. B. bösartig eifersüchtig). Kurz: eine Belastung besonderer Art.

Einleitung des Kurz-Kapitels über Narzissmus in dieser Serie

Das "klassische", d. h. frühere psychoanalytische Bild der Säuglings-Entwicklung ist vor allem eine autistische (extrem selbstbezogene), symbiotische (auf enge zwischenmenschliche Unterstützung angewiesene), passive und "primär-narzisstische" Wesensart. Das ist natürlich keine gute Ausgangslage.

Heute spricht man vom "kompetenten Säugling", der von Anfang an in einem aktiven Austausch mit seiner Umwelt steht. Der von S. Freud in die Diskussion eingeführte "primäre Narzissmus" beschreibt also nicht den normalen und gesunden seelischen Zustand des Neugeborenen, sondern die krankhafte Fehlentwicklung.

Unter diesem Aspekt muss man auch alle anderen Schlussfolgerungen neu überdenken. Ja, man geht gerade umgekehrt davon aus, dass ein gesunder Narzissmus die inneren Voraussetzungen zur Aufnahme reifer zwischenmenschlicher Beziehungen darstellt. Denn im Grunde - so die modernen Überlegungen - ist der Mensch sein ganzes Leben lang auf die Anerkennung durch andere Menschen angewiesen, also nicht nur, wenn er als völlig hilfloser Säugling auf die Welt kommt. Damit man ein Gefühl seiner Identität entwickeln kann, bedarf es eines Gegenübers, der durch Liebe und Anerkennung das Selbst-Gefühl bestätigt bzw. überhaupt erst möglich macht. Niemand, so die heutigen Psychotherapeuten, kann sich der Abhängigkeit von anderen und dem Wunsch nach Anerkennung entziehen. Die Erfahrung, auf den oder die anderen und sein/ihr Wohlwollen in grundlegender Weise angewiesen zu sein, gehört zwar zu den schmerzlichsten, aber auch beglückendsten Empfindungen.

Macht um der seelischen Abhängigkeit zu entgehen

Nun: Beglückend ist gut, schmerzlich nicht. Wenn es sich also um einen krankhaften Narzissmus handelt, dann ist die Ausübung von Macht eine Strategie, dieser Abhängigkeit zu entgehen. Natürlich, man kann sogar den oder die anderen zu beeinflussen, zu gängeln, gefügig zu machen, wenn nicht gar zu unterjochen oder zu versklaven versuchen. Der andere kann gezwungen werden, seine Anerkennung auszudrücken, ohne selbst Anerkennung zu ernten.

Doch, so H.-J. Wirth, selbst die Anhäufung von noch so viel Macht kann das menschliche "Ur-Bedürfnis" nach Liebe und Anerkennung nicht voll ersetzen, höchstens umformen oder eben ausnützen. Wer die Macht hat, kann sich zwar auch Liebe, Respekt, Anerkennung und Zuwendung erzwingen oder gar erkaufen. Er verschleiert damit aber nur seine fundamentale Abhängigkeit, ohne sie wirklich aufgeben zu können.

Damit beginnt ein Teufelskreis: "Je mehr der andere versklavt wird, desto weniger wird er als menschliches Subjekt erfahren, und desto mehr Distanz oder Gewalt muss das Selbst gegen ihn einsetzen", schreibt die bekannte amerikanische Psychoanalytikerin Jessica Benjamin in ihrem ins Deutsche übersetzten Buch: Die Fesseln der Liebe. Psychoanalyse, Feminismus und das Problem der Macht (1996). Da diese Strategie also keinen Erfolg hat und die Anerkennung (und vor allem Liebe) auch weiterhin fehlt, ggf. mehr denn je, gerät der Mächtige mit dieser narzisstischen Mangelerfahrung in "narzisstische Wut". Und was tut er? Das Falsche: Er reagiert mit einer weiteren Steigerung seiner Macht.

Die narzisstische Wut als politische Gefahr

Aus dieser Psychodynamik leitet sich der suchtartige Charakter von Macht-Entwicklung und -Fortbestand ab. Das sieht man sowohl in den privaten Beziehungen, als auch im beruflichen Bereich und nicht zuletzt in der Politik (wo die Betreffenden durch das scharfe Auge der Medien allerdings auch gleichsam auf dem Präsentierteller stehen, überwiegend allerdings diejenigen "ganz oben").

Die narzisstische Wut ist jedoch weder erfolgreich noch gesundheits-fördernd. Im Extremfall kann sie sogar zur "chronischen narzisstischen Wut" ausufern. Und das kann nicht nur das Seelenleben des einzelnen vergiften, sondern auch ganze Gruppen, ja weite Bevölkerungsanteile infizieren, z. B. durch Verletzung des Nationalstolzes, durch eine militärische Niederlage, eine politische Demütigung, wirtschaftliche Unterdrückung, kulturelle oder gar religiöse Kränkung.

Vor allem Letzteres wird inzwischen zum Problem, wie wir ständig erfahren müssen. Dabei stehen die Auslöser in keinem Verhältnis zur bisweilen weltweiten Reaktion. Das wiederum erzwingt die Erkenntnis, dass es wahrscheinlich die schleichende Zerstörung und Zersetzung von kulturellen und religiösen Wertsystemen ist, beispielsweise als Folge der Globalisierung, die als Erniedrigung empfunden wird und dann gleichsam in einer Art überschießenden Kipp-Reaktion in die chronische narzisstische Wut mündet.

So etwas äußert sich oftmals anfänglich nur in einem "kurzlebigen Wutanfall", kann aber im fortgeschrittenen Stadium in "wohl-organisierten Feldzügen" oder gar endloser Rachsucht enden, wie der berühmte Narzissmus-Forscher Prof. Dr. O. M. Kernberg formulierte. Die Psychotherapeuten erläutern dies sehr detailliert in ihrer eigenen Fachsprache, die leider für den nicht Eingeweihten ohne ausführliche Erklärung mitunter schwer verständlich ist. Weitere Einzelheiten deshalb siehe auch das große Narzissmus-Kapitel in dieser Serie.

Ein bedrohliches Phänomen für unsere Zeit ist jedenfalls diese chronische narzisstische Wut, die derzeit an vielen Orten in der Welt aufflammt und leider eben auch vom Westen nur dann registriert wird, wenn sich etwas im wahrsten Sinne des Wortes "entflammt"; zuvor besteht da weder Interesse noch ausreichende Kenntnis, sehr zum Nachteil für die schließlich ebenfalls Betroffenen, die wir nebenbei alle sein können.

Macht als konstruktiver Bestandteil sozialen Lebens

So wird der Narzissmus also heute nicht mehr als "einsame Beschäftigung mit sich selbst" betrachtet, sondern als Ausdruck und sogar Medium (Vermittlung) des Bedürfnisses, von anderen geliebt, anerkannt und angesehen zu werden. Einerseits sind wir bestrebt, uns als Individuum unserer Einzigartigkeit und Individualität zu vergewissern; andererseits sind wir dazu aber - paradoxerweise - auf die Spiegelung der Anerkennung (und Liebe) durch die anderen angewiesen, erläutert H.-J. Wirth. Und hier wird die Verbindung zur Macht interessant. Denn Macht existiert nicht schlechthin, sondern Macht übt man aus über etwas oder über jemanden. Und so wie der Narzissmus ein allgegenwärtiger Teil unseres Seelenlebens ist, so ist die Macht ein unvermeidlicher Bestandteil des sozialen Lebens, und das seit jeher.

Schon die früheren Soziologen, u. a. der berühmte Prof. Dr. Max Weber, definierten Macht als "jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstand durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht".

Das kann akzeptabel, das kann inakzeptabel sein (wie ein neues Modewort der Politiker lautet). Und um bei diesem Berufsstand zu bleiben, so haben schon die früheren Experten der Gesellschaftswissenschaften die negativen Aspekte der Macht mit einem banalen, ja alltäglichen "Feind der Menschheit" erklärt, nämlich der "ganz gemeinen Eitelkeit".

Dabei dürfte sich in den letzten Jahrzehnten nicht viel an dieser Erkenntnis geändert haben, vor allem jener, die die Eitelkeit als eine "Berufskrankheit" der Politiker geißelt (wobei nicht verhehlt werden soll, dass es Kulturträgern, Wirtschaftsbossen, Medien-Vertretern, Sportlern, Funktionären u. a. nicht viel besser zu gehen scheint).

Die Ausübung von Macht wird also dann problematisch, wenn die Leitungsfunktion vom pathologischen Narzissmus der Führungsperson bestimmt wird und wenn der politische Führer seine Macht dazu benützt, seine unbewussten narzisstischen Konflikte auszuagieren oder abzuwehren, erklärt H.-J. Wirth den Kern des Problems in der Fachsprache seiner Disziplin als Psychologe und Psychotherapeut.

Andererseits aber sei es einer Führungsperson durchaus erlaubt, ihre gesunden narzisstischen und auch ihre aggressiven Strebungen in ihre Arbeit einfließen zu lassen - konstruktiv. Denn, so O. F. Kernberg: "Die Machtausübung ist ein wesentlicher, unvermeidbarer Teil der Führung und verlangt von der Führungskraft, dass sie sich die aggressiven Aspekte ihrer eigenen Persönlichkeit problemlos zunutze machen kann." Denn darin besteht ja auch eine gewisse Stimulation, die vor allem die "oberen Etagen" nötig haben, denn "dort ist die Luft dünn" und die Betreffenden sind einsam, was sich nicht zuletzt daraus erklärt, dass auch sie einmal die "Ochsen-Tour" von unten nach oben durchmachen mussten - mit allen Erkenntnissen, die ihnen hoffentlich oben noch zur Verfügung stehen.

Oder konkret: Ein Führer darf stolz auf seine Arbeit und die Erfolge sein, die er für seine Gemeinschaft und für sich erbracht hat. Sein Selbstwertgefühl darf sich durch solche Erfolge steigern, er darf sich dafür anerkennen, feiern ggf. auch wieder wählen lassen. Das ist gesunder, Arbeit und Erfolg fördernder Narzissmus. Und es dient auch der Persönlichkeits-Entwicklung des Betreffenden und letztlich sogar der Weiterentwicklung seiner von ihm repräsentierten Gruppe (z. B. Förderung der Gruppen-Identität).

Pathologischer Narzissmus und Machtmissbrauch

Anders liegen die Dinge beim Macht-Missbrauch, wenn der Betreffende seine Stellung dazu benutzt, Interessen und Bedürfnisse zu befriedigen, die mit der sachlichen Aufgabe seiner sozialen Rolle nichts zu tun haben, die primär oder ausschließlich seiner "persönlichen Selbst-Beweihräucherung" seiner Eitelkeit, also letztlich seinem pathologischen Narzissmus dienen. Oder, um es auf eine einfache Schlussfolgerung zu bringen: Der pathologische Narzissmus ist im Unterschied zum gesunden dadurch gekennzeichnet, dass andere Menschen mit Hilfe von Macht funktionalisiert (also letztlich in eine fremde Aufgabe gezwängt) werden, um das eigene Selbstwertgefühl des Macht-Inhabers zu stabilisieren.

Und weiter, so die Experten mit den Worten von H.-J. Wirth: Besonders problematisch wird der Machtmissbrauch dann, wenn sich die Gemeinschaft in einer existentiellen Krise befindet. Wenn jetzt ein narzisstisch gestörter politischer Führer die Macht erringt, nur weil ein großer Teil der Gemeinschaft sich subjektiv bedroht und ungerecht behandelt fühlt und ein gemeinsames "Trauma" (also eine seelische Verwundung) dazu dienen soll, die gemütsmäßige Krise zu bewältigen, dann sind jene Probleme und Folgen programmiert, die wir aus der Geschichte reichlich zur Kenntnis nehmen müssen.

Aber zurück zum narzisstisch gestörten Macht-Inhaber: Nicht zuletzt auf Grund der öffentlichen Beachtung durch die Medien und des dadurch errungenen gesellschaftlichen Ansehens (gefördert durch die üblichen Ranking-Skalen auch und vor allem für Politiker), ist es politischen Amtsträgern häufig möglich ihr übersteigertes Geltungsbedürfnis, ihre Großmannssucht und ihren Ehrgeiz funktional so einzusetzen, dass dies nicht nur den narzisstischen Gewinn bringt, den sie ersehnen, sondern durch die ungezügelte Selbstbezogenheit auch die Voraussetzung für ein ständiges Gewinnen, Siegen, über andere Dominieren schafft. Oder kurz: Das Siegen wird zu einem Merkmal ihres Charakters.

Solche Siegertypen erleben sich in ihrer Phantasie nicht nur als großartig, überdurchschnittlich, erfolgreich und herausragend, sie sind es häufig auch - in speziellen Sparten. Das macht die Situation noch komplizierter. Einerseits kann man ihnen Kenntnis, Durchsetzungswillen und schließlich Erfolg nicht absprechen. Andererseits spürt auch der "kleine Mann" auf seine Weise, dass hier etwas fehlt, was eigentlich den Mensch als Menschen ausmachen sollte. Und das wird bei diesen, vor allem politischen, aber auch wirtschaftlichen, kulturellen, sportlichen u. a. Karrieren oft schon in jungen Jahren unterdrückt - und ist dann in Amt und Würden auch nicht mehr erweckbar.

Solche Beispiele gesunder Wesenszüge, an denen es also dann mangelt, sind realistische Selbstzweifel, Sensibilität und Empathie (Zuwendung) für andere, ferner Introspektionsfähigkeit (die notwendige Innen-Schau, insbesondere was Schwachstellen anbelangt), schließlich keine Nachdenklichkeit (und damit gesunde Distanz zur Entscheidung) und schon gar keine Ängstlichkeit oder ratlose Depressivität.

Und wenn sich das ein oder andere und vor allem Letzteres doch einmal einzustellen droht, dann wird dies nicht zum Nachdenken und zur Selbst-Besinnung genutzt, sondern gilt als Unterhöhlung der bewusst gepflegten Sieger-Mentalität - und damit auch gleich als drohender Verlust von Macht, Einfluss, Geld u. a.

Macht - unerkannt und akzeptiert?

Dabei ist den Mächtigen oft gar nicht bewusst, dass sie so mächtig sind. Es gehört offenbar zu den Merkmalen von Macht-Beziehungen, dass die Macht so weit wie möglich verleugnet wird (häufig auch noch von beiden Seiten, also selbst von den "Beherrschten"). Die Mächtigen verdrängen gerne diese Erkenntnis, sonst müssten sie sich ständig mit der Frage ihrer Legitimität (Rechtmäßigkeit) auseinandersetzen. Und - wie oben angedeutet - auch diejenigen, die sich der Macht unterwerfen oder unterwerfen müssen, neigen häufig dazu, diese Macht-Verhältnisse zu verleugnen, denn das kränkt ihren eigenen Narzissmus, wenn sie sich ständig vorstellen müssen, beherrscht und ohne Einfluss zu sein.

Außerdem kann es riskant sein, auf "schiefe" Machtverhältnisse hinzuweisen. Das will die Allgemeinheit nicht, das stört den sozialen Frieden und natürlich die dahinter stehende unkritische Behäbigkeit. Wer sich gegen die Machtverhältnisse auflehnt, gerät ins Zwielicht und es wird nicht an Vorwürfen mangeln. Beispiele: Er sei ja nur selber auf die Macht aus (psychoanalytisch gesprochen: er projiziere seinen eigenen Machthunger), sei paranoid (wahnhaft) oder wolle einfach das friedliche Einvernehmen in der Gruppe stören, so H.-J. Wirth.

Soweit der Narzissmus im Allgemeinen und die Macht mit ihren narzisstischen Hintergründen im speziellen. Das aber ist Alltag und muss - selbst in grenzwertigen Fällen - noch nicht krankhaft sein. Was aber, wenn es sich um eine narzisstische Persönlichkeitsstörung handelt, also eine seelisch eindeutig kranke Person. Auch dazu Einzelheiten in den beiden Kapiteln über den Narzissmus in dieser Serie und den Beitrag über die Persönlichkeitsstörungen (früher Psychopathien genannt, da wird es manchen gleich klarer, was gemeint ist). Wie steht es nun um diese narzisstisch gestörte Persönlichkeit an der Macht oder im Kampf um die Macht?

Macht und narzisstische Persönlichkeitsstörung

Wieder ist es vor allem der "Altmeister" der Narzissmus-Forschung, der amerikanische Psychiater Prof. Dr. O. F. Kernberg, der die narzisstische Persönlichkeitsstörung wie folgt beschreibt: Extreme Idealisierung des Selbst, die soweit geht, dass die idealen Anteile anderer förmlich inkorporiert (in sich selber aufgenommen, in diesem Falle sich selber zugeschrieben) werden. Mit Hilfe dieser Selbst-Idealisierung vermeidet der Betreffende jegliche Abhängigkeit von anderen, hat er ja alles, was man braucht - scheinbar. Damit versucht er sich auch alle Frustrationen (vom lateinischen: frustra = vergebens) und Aggressionen vom Leib zu halten.

Im Alltag fallen diese Personen durch ein übertriebenes Maß an Grandiosität ("ich bin der Größte") und Selbst-Zentriertheit auf ("ich-ich-ich"). Das kann zwar gelegentlich von plötzlichen und dann durchaus heftigen Minderwertigkeitsgefühlen durchbrochen werden, doch das Krankhafte hat in dieser Hinsicht auch einen Lichtblick: Die Betreffenden fangen sich meist wieder und erreichen dann erneut den alten Gipfel selbstherrlicher und unantastbarer Größe, jedenfalls in ihrer eigenen Vorstellung.

Diese abnorme Selbst-Idealisierung entwickelt aber auch konkrete belastende Konsequenzen: Rücksichtslosigkeit, Anspruchsdenken, chronische Neigung zur Entwertung anderer, parasitäres (Parasit = Schmarotzer) und ausbeuterisches Verhalten und das ständige Bedürfnis, von anderen bewundert und als Größter anerkannt zu werden und zumindest im Zentrum des permanenten Interesses zu stehen. Der Kampf um die Selbst-Idealisierung ist nicht einfach.

Bei solchen Menschen fallen einem erst einmal einfach strukturierte Charaktere ein ("aufgestiegen aus dem Nichts..."). Doch das ist ein Irrtum. Narzisstisch gestörte Persönlichkeiten finden sich in allen Schichten, vom Verwahrlosten bis zum Erfolgreichsten. Gerade gesellschaftliche Machtpositionen bieten natürlich seit jeher geradezu ideale Voraussetzungen, diese Seiten auszuleben. Die Geschichte ist voll von solchen Beispielen; manchmal fragt man sich sogar, ob man ohne zumindest grenzwertigen Narzissmus überhaupt etwas werden kann und wie die Geschichte ohne diese Beispiele ausgesehen haben mochte.

Das Risiko: die Verwundbarkeit oder gar Ohnmacht

Allerdings ist die Position des Mächtigen auch dadurch gekennzeichnet, dass es eine rückwärtige Seite gibt, die der Ohnmacht, mahnt H.-J. Wirth. Einerseits machen es die Medien narzisstisch gestörten Aufsteigern leicht, nach oben durchzustoßen. Auch das kann man jeden Tag lesen, sehen, hören. Andererseits ist ein Medien-Begünstigter oder schließlich -Star auch ständig in Gefahr, wieder gekippt zu werden. Die Journalisten geben das ganz offen zu, das sei das Risiko. Wer sich öffnet, ist offen - und zwar für alles und jedes. So fördern sie einerseits den Aufstieg und holen andererseits wieder runter (Journalisten-Kommentar: "Zuerst drängen sie sich uns auf und dann beklagen sie sich darüber, dass wir mehr wissen wollen!"). Das ist nicht neu, auch wenn im Medien-Zeitalter verstärkt, und muss beim Aufstieg einkalkuliert werden.

Wer nun einen natürlichen und noch in tragbaren Grenzen liegenden Narzissmus hat, wird diese sozialen und innerpsychischen Bewegungs-Einschränkungen eher akzeptieren können. Wer aber unter einem gestörten Selbstwertgefühl leidet und das durch ein übersteigertes Selbstbild zu (über-)kompensieren versucht, der wird durch die Erlangung und Ausübung von Macht zwar gestärkt - aber auch verwundbarer, wenn diese Hilfen plötzlich nachgeben. Das beginnt im zwischenmenschlichen Bereich des Alltags, z. B. in Paar-Beziehungen und endet "ganz oben" - wie, wo und in welcher Form auch immer.

Sind Narzissten von ständigen Selbstzweifeln geplagt, versuchen sie umso mehr die anderen zu dominieren und ihnen ihren Willen aufzuzwingen, um sich ständig selbst zu beweisen, dass sie der Wertvollere, Klügere, Überlegene sind. Das ist zwar unangenehm, aber für sich genommen noch tragbar. Verhängnisvoller wird es, wenn solche Machtkämpfe nicht mehr inhaltlich geleitet sind, sondern nur noch das Selbstwertgefühl stabilisieren sollen (den eigenen Willen durchsetzen, gleichgültig in was, durch was und mit welchen Konsequenzen).

Und natürlich wird selbst dem harmlosesten Betrachter klar: Ein Mensch, der extrem darauf angewiesen ist, sein labiles Selbstwertgefühl laufend durch demonstrative Beweise seiner Großartigkeit (und Position!) zu stabilisieren, wird sich an diese einmal erreichte Stellung klammern ("klebt an seinem Stuhl"), denn nur die Ausübung dieser Macht garantiert auch das innerseelische Gleichgewicht.

Nun ist nicht jeder Partner gegen eine solche Dominanz (z. B. in der Paar-Beziehung). Manchmal kommt dem anderen auch die geforderte Anpassung und Unterwerfung durchaus entgegen. Die Psychoanalytiker, besonders der berühmte Prof. Dr. Wilhelm Reich, eine nebenbei schillernde Gestalt im ersten Drittel des vergangenen Jahrhunderts, unterschied zwei narzisstische Typen, die er mit einer hintergründigen Aufforderung charakterisierte:

- Dem Narzissten mit übersteigerter und demonstrativ zur Schau getragenen Selbstsicherheit, der nur sein latentes (verborgenes) Minderwertigkeitsgefühl zu kompensieren versucht, riet er: Mach Dich nicht so groß, so klein bist Du doch gar nicht".

- Dem Narzissten, der unter einem offenen Minderwertigkeitsgefühl leidet, hinter dem sich aber auch verborgene Größenphantasien verbergen, empfiehlt er: "Mach Dich nicht so klein, so groß bist Du doch gar nicht".

Heute spricht man in der psychoanalytischen Fachsprache einerseits vom phallischen Narzissten (siehe oben: übersteigerte und demonstrativ zur Schau getragene Selbstsicherheit gegen heimliche Minderwertigkeitsgefühle) und vom Komplementär-Narzissten. Letzteres wäre jemand, der im unbewussten Zusammenspiel zweier solcher Persönlichkeitsstrukturen ergänzend und damit durchaus tragbar tätig wird. Man nennt dies auch eine Kollusion, also das unbewusste Zusammenspiel zweier sich gegenseitig ergänzender Partner.

Führer und Geführte aus pathologischer Sicht

Das alles ist natürlich auch in jeder anderen Konstellation möglich, einschließlich zwischen einem politischen Führer und "seiner Großgruppe" ("Masse"). So ist der geltungsbedürftige Fanatiker nur dann als politischer Führer erfolgreich, wenn er auf das entsprechende Publikum trifft. Hier gelten dann zwar die gleichen Regeln wie oben, nur gibt es da beim zweiten Pol ein Problem: Den einen, den geltungsbedürftigen Fanatiker wird man zwar leicht als krankhaft abtun; bei der anderen Seite, der "Masse", vielleicht einem großen Bevölkerungsteil aber wird man seine argumentativen Schwierigkeiten haben. Sind die alle ebenfalls krankhaft, zumindest grenzwertig? Die Frage bleibt angesichts früherer und sogar aktueller politischer Geschehnisse offen...

Pathologische Narzissten sind also vor allem dann erfolgreich, wenn ihnen die Ausübung ihrer Macht auch innere Stabilität verleiht. Dadurch sind sie allerdings - vordergründig paradoxerweise - auch von der von ihnen unterdrückten Bevölkerung abhängig. Denn wenn sie auf die narzisstische Zufuhr, auf die Liebe und Anerkennung durch die Beherrschten angewiesen sind, haben diese dann auch eine Menge Möglichkeiten, sie zu manipulieren und auszunützen.

Das starke Bedürfnis des Mächtigen, geliebt und bewundert zu werden, zwingt ihn also schließlich auch, den Wünschen der Gruppe nachzukommen und ihre Erwartungen zu erfüllen. Das gilt erst einmal für den Kontakt der Mächtigen zu ihren engsten Mitarbeitern, dann mit den Mitgliedern ihrer Partei, mit den verschiedenen Lobbyisten bis hin zu den "verehrten Wählerinnen und Wählern", wie es H.-J. Wirth trocken zusammenfasst. Eigentlich, so seine Schlussfolgerung, müsste der Betreffende die Ich-Stärke haben, sich abzugrenzen und seine Entscheidungen unter sachlichen Gesichtspunkten zu treffen, die das Wohl des Ganzen im Auge haben. Aber seine narzisstische Bedürftigkeit hindert ihn häufig daran, macht ihn manchmal sogar zum Sklaven der Beherrschten. Paradoxe Realität.

Gesamthaft gesehen darf man also zusammenfassen: Der krankhafte Narzissmus in den Chefetagen von Politik, Wirtschaft, Finanzen, aber auch Kultur, Medien, Wissenschaft, Sport (Organisation), Militär u. a. und letztlich in jeder Ecke unserer Gesellschaft bis hin zu ihrer kleinsten Keimzelle, wenn zwei Menschen ein Paar bilden, dieser Narzissmus ist so alt wie die Menschheit, allgegenwärtig und wird uns begleiten bis ans Ende unserer Tage. Früher war seine explosible Gefahr allerdings größer. Man denke nur an die damaligen Gesellschaftsformen mit ihren Alleinherrschern. Deutschland hat zwei vernichtende Weltkriege hinter sich, in denen zwei entscheidende Persönlichkeiten mit ihren bekannten Defiziten unseligen Einfluss entwickelten: Wilhelm II. und Hitler. Andere Nationen können mit ähnlichem aufwarten, zu ihrer Zeit und unter den dortigen Bedingungen ähnlich furchtbar.

Dabei ist der Narzissmus - wir haben es mehrfach registriert -, eine Münze mit zwei Seiten: Ein Narziss ohne großes Gegenüber, ob ein einzelner Mensch oder eine Masse bis hin zu einem ganzen Land, ein solcher Narziss ohne ist nichts. Also gehen hier auch historische Entwicklungen mit ein, von der Biographie eines einzelnen Menschen bis hin zur Geschichte einer Nation, eines Kontinents oder gar weltweit.

Dass die Medien hier einen prägenden Einfluss haben, ist allgemein anerkannt. Das ließe hoffen, wenn man nicht wüsste, dass es noch immer Nationen gibt, in denen sie als aufmerksame Beobachter aus- (oder gleich-) geschaltet werden können (auch in gewissem Rahmen in den westlichen Demokratien?). Es gilt also aufmerksam zu sein - jeder.

Hat die Psychotherapie eine Chance?

So drängt sich zum Schluss die Frage auf: Lässt sich ein pathologischer Narzissmus psychotherapeutisch behandeln? Einzelheiten dazu siehe den zweiten Teil des größeren Kapitels über den Narzissmus in dieser Serie. Nach dessen Lektüre wird man in diesem Punkt zwar nicht gerade optimistisch sein, doch es gibt schon Möglichkeiten, vor allem, wenn der Therapeut sich auf diese Klientel einzustellen vermag. Das ist allerdings eine Aufgabe besonderer Art, die nicht jedem liegt. Es wurde bereits angedeutet. Außerdem: Welcher Narziss geht freiwillig zum Therapeuten, um sich "gewaltsam umerziehen zu lassen, denn darauf läuft es doch wohl hinaus..." (Zitat).

In der Tat: Was die psychoanalytische Behandlung der Reichen und der Mächtigen anbelangt, so haben schon früher erfahrene und berühmte Psychotherapeuten wie beispielsweise Prof. Dr. J. Cremerius ihre Zweifel angemeldet. Denn es ist kein Geheimnis, dass "Patienten in hohen politischen und wirtschaftlichen Machtpositionen sich nur ganz ausnahmsweise einer psychoanalytischen Behandlung unterziehen". Und warum?

J. Cremerius kommt zu dem Ergebnis, dass es den Reichen und Mächtigen aufgrund ihrer privilegierten Lage und ihres gesellschaftlichen Einflusses möglich ist, "ihre Neurosen derart in gesellschaftlicher Form" unterzubringen, so dass sie nicht als krankhafte Störung bemerkt werden und nicht an ihnen leiden müssen. Der Mächtige lebt seine neurotischen Bedürfnisse ungehindert in der Realität aus. Er agiert, anstatt (konstruktiven) Leidensdruck zu entwickeln. (Unter Agieren bzw. Ausagieren versteht die Psychoanalyse ein oft impulsives Verhalten, bei dem versucht wird, die ggf. bittere Selbsterfahrung durch Aktionen auf ganz anderen Gebieten erträglich oder gar ungeschehen zu machen.)

Aber auch das hat seine Grenzen, wie man aus der Geschichte und u. U. aus dem näheren oder weiteren Umfeld weiß. Grenzenlos lässt sich eine narzisstische Machtstruktur nicht durchhalten. Besonders kritisch für die Beherrschten wird es dann, wenn beispielsweise der politische Narzissmus bis zur Selbst-Vergötterung ausufert.

Das hört sich vielleicht ein wenig unzeitgemäß an, ist es aber nicht, und zwar weder für die deutsche Geschichte vor wenig mehr als einem halben Jahrhundert und auch nicht für noch immer erschreckend viele Beispiele auf unserem Globus heute. Die Psychotherapeuten nennen so etwas gar einen "Gottes-Komplex": gottes-ähnliche Macht über Leben und Tod ausüben, ein durch die Natur über alle Menschen erhobenes Wesen zu sein, Allmachtsphantasien in jeder Richtung bis hin zu mörderischem Sadismus u. a.

Ganz besonders hartnäckig wird ein solcher Macht-Narzissmus, wenn er schließlich mit unkorrigierbarem Realitätsverlust einhergeht, wie sich das beispielsweise vor noch nicht allzu langer Zeit in der (oft vergreisenden) Führungs-Riege des Ostblocks zeigte. Und wenn dann noch paranoide (wahnhafte) Momente hinzukommen, dann brechen alle Dämme, wie man von den großen Diktatoren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weiß - und an neuen mangelt es nicht.

Ein Buch für unsere Zeit?

"Das schlechte Image von Macht und Narzissmus" war der Untertitel dieses Kapitels von H.-J. Wirth in dem Narzissmus-Buch des Schattauer-Verlags, der auf diesem Gebiet eine ganze Reihe von empfehlenswerten Sammelbänden herausgegeben hat. Das Buch, in dem 34 zum Teil international renommierte Autoren mitgewirkt haben, behandelt entsprechend viele und breite Themenfelder, die in dieser Form durchaus lesefreundlich zusammengefasst in deutscher Sprache bisher nicht vorliegen. Dass einige dieser Arbeiten schon anderenorts eingesehen werden konnten, tut ihm keinen Abbruch, auch wenn sie bereits zwei Jahrzehnte zurückliegen. Es hat seine Vorteile, eine große Übersicht in einem Band zur Hand zu haben. Vor allem, weil das Thema plötzlich so an Bedeutung gewinnt. Und die einzelnen Kapitel einen immer wieder erstaunen lassen, welch immense Breite und Tiefenwirkung die menschliche Seele bietet. Und dies besonders dann, wenn es sich um krankhafte Entwicklungen handelt, die ggf. auch noch unser aller Leben mitbestimmen - bisweilen ohne dass es die meisten merken, zumindest lange Zeit...

LITERATUR

In dem besprochenen Sammelband am Schluss jeden Kapitels. Eine Übersicht siehe auch in dem Beitrag "Narzissmus" in dieser Serie.

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