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ALZHEIMER-PFLEGE

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Belastung von Angehörigen und Pflegepersonal - folgenschwere Entscheidung - Sicherheitshinweise - seelische, geistige, körperliche und psychosoziale Demenz-Symptome - Betreuungs-Empfehlungen

Wir leben in einer "alternden Welt". Jahrtausende hinweg betrug die durchschnittliche Lebenserwartung 30 Jahre oder weniger. Dann stieg die mittlere Lebensdauer in einmaligem Ausmaß, derzeit in Mitteleuropa auf über 74 bei Männern und rund 80 Jahren bei Frauen.

Doch die ersehnte Langlebigkeit hat ihren Preis, und der heißt Krankheit auf verschiedenen Ebenen: Gefäßleiden, insbesondere der Herz- und Hirngefäße, Krankheiten der Atmungsorgane, rheumatische Erkrankungen der Muskeln und Gelenke, Krebs, vor allem aber bestimmte seelische Störungen wie Depressionen, Angsterkrankungen und hirnorganische Veränderungen im Sinne einer Demenz, insbesondere einer Alzheimer-Demenz.

Die meisten dieser Patienten leben (noch immer) zu Hause. Das ist in der Regel auch der beste Platz. Das heißt aber: Auf jeden Demenz-Betroffenen kommt mindestens eine Person, meist aber mehrere, die ihn pflegen müssen. Und dies ohne Aussicht auf Genesung. Das ist eine große Belastung, die nicht ohne Einfluss auf unsere gesellschaftliche Strukturen bleiben wird.

Daher ist es so wichtig, die pflegerischen Erfahrungen zu nutzen, die die medizinischen Disziplinen Geriatrie, Gerontologie und Geronto-Psychiatrie im Laufe der Zeit zusammengetragen haben - zur Entlastung der Pflegenden und damit letztlich auch zugunsten des Patienten.

Nachfolgend deshalb eine umfangreichere Übersicht zum Thema: Alzheimer-Demenz - Hinweise für Angehörige und sonstige Pflegepersonen. Einzelheiten dazu siehe der nachstehende Kasten mit den erwähnten Fachbegriffen und Hinweisen.


Erwähnte Fachbegriffe und Pflege-Hinweise:

Demenz - altersbedingte Geistesschwäche - Alzheimer-Krankheit - Pflege-Belastung

Angehörige/Pflegende: entlastungslose Dauerbelastung - Trauer, Resignation, Schuldgefühle - Rückzug - Isolationsgefahr - Regenerationsunfähigkeit - Missgestimmtheit - Gereiztheit - Wut - Verbitterung - Aggressivität - zornige Übergriffe u.a.

Folgenschwere Einscheidungen: Diagnose mitteilen - Krankheit erläutern - kritische Heilungsaussichten gestehen u.a.

Sicherheitsaspekte: Wohnung - Küche - Bad - Toilette - Treppen - Fußboden - Fenster - Garten - Türen - Helligkeit usw.

Spezielle Aspekte: Wohnung oder Pflegeheim - Führerschein - Versicherung - Vermögensverhältnisse - Testament u.a.

Schwierigkeiten im Alltag: mangelnde Krankheitseinsicht - Eigenständigkeit - Körperpflege - Beweglichkeit - körperliche Aktivität - Mahlzeiten - Ernährungsweise - Kleidung - Toilette usw.

Seelische und psychosoziale Aspekte: Zusammenleben - gereizte Reaktionen - Verständigungsprobleme - Orientierungsstörungen - Leben in der Vergangenheit - das ständige Suchen nach etwas - Niedergeschlagenheit - Traurigkeit - wirklichkeitsfremde Überzeugungen - Sinnestäuschungen - Wahn - Personenverkennung u. a.

Körperliche Beeinträchtigungen: Mattigkeit - Tagesmüdigkeit - Inaktivität - Appetitlosigkeit - mangelhafte Flüssigkeitszufuhr mit Austrocknungsgefahr - Magen-, Darm- und Blasenstörungen - Verstopfung - Schlafstörungen - innere Unruhe - sexuelles (Fehl-)Verhalten - Wundliegen - Zahnprobleme - Beeinträchtigung des Sinnesorgane, insbesondere Sehen und Hören - Schmerzen usw.

Therapie: psychotherapeutische Maßnahmen, z. B. verhaltenstherapeutisch oder psychagogisch orientiert - soziotherapeutische Hilfen - medikamentöse Möglichkeiten, vor allem Psychopharmaka u.a.

Die meisten Patienten mit einer Demenz, seien es eine Alzheimer-Krankheit oder sonstige Formen der erworbenen Geistesschwäche, leben zu Hause. Das ist in der Regel auch der beste Platz: Ihr Heim, an dessen Gestaltung sie beteiligt waren und das ihnen nicht zuletzt in ihrer verunsichernden und demütigenden Erkrankung Schutz, Sicherheit und Wohlgefühl garantiert. Nur der kleinere Teil der Betroffenen muss in ein Alters- oder Pflegeheim, die - so gut sie auch organisiert sein mögen - natürlich nicht das gleiche Zuhause bieten.

Das heißt aber auch: Auf jeden Demenz-Betroffenen kommt mindestens eine Person, meist aber mehrere, die ihn mittragen, wenn nicht gar pflegen müssen. Und dies ohne Aussicht auf Genesung, im Gegenteil. Das ist eine große Belastung, die in der Regel nur diejenigen nachempfinden können, die damit einmal in engere in Berührung kamen, und sei es nur im Bekanntenkreis.

Das heißt, auf einen schmerzlichen, aber zutreffenden Nenner gebracht: Nicht nur die eingeschränkte geistige Leistungsfähigkeit, die wachsende Unselbständigkeit und Hilfsbedürftigkeit, auch die sogenannten Begleitsymptome wie Deprimiertheit, Angst, Schlafstörungen, Unruhe, Aggressivität, Wahngedanken, Sinnestäuschungen usw. belasten schon das Zusammenleben in einer kleinen Partnerschaft, noch mehr in einer größeren Familie mit mehreren Generationen. Es drohen Missverständnisse, Auseinandersetzungen, heftige Gefühlsreaktionen, kurz: Das Leben ist nicht mehr das Gleiche wie zuvor. Die Folgen sind bekannt und können sogar einen bisher intakten Familienverband auseinander sprengen.

Und doch gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, diese Probleme zu mildern. Dies geschieht meist zusammen mit dem Hausarzt und ggf. Psychiater, mit Freunden, Bekannten und Nachbarn (deren Hilfe man nicht gering schätzen sollte, es spricht nur niemand darüber), mit Pflegediensten, Selbsthilfe- und Angehörigengruppen usw.

Ganz wichtig sind die Informationen, die man von den entsprechenden Fachgesellschaften bekommt (z. B. Deutsche Alzheimer Gesellschaft, 10623 Berlin, Kantstraße 152, Tel.: 0 30/31 50 57 33, www.deutsche-alzheimer.de). Dort sind auch die Kontaktadressen der verschiedenen regionalen Alzheimer-Gesellschaften mit ihren Angehörigengruppen zu erfahren.

Nachfolgend nun einige Informationen und konkrete Alltags-Tipps, wie sie gerade von diesen Institutionen angeboten und immer wieder überarbeitet werden.

- WAS DIE ANGEHÖRIGEN BELASTET

Um es noch einmal zu wiederholen: Nichts ist mehr so, wie es war. Und noch schlimmer: Es wird nicht besser, eher schwieriger (wobei die Pflege im Bett bisweilen noch leichter fällt, als das Ertragen eines ansonsten noch rüstigen Dementen, der aber durch ständige Verhaltensstörungen irritiert). Die Alzheimer-Krankheit von Vater, Mutter, Ehemann, Ehefrau oder sonstigen Angehörigen verändert das Leben aller Beteiligten, und zwar entscheidend. Man muss mit völlig neuen Bedingungen zurechtkommen.

Dabei ist die Bürde der körperlichen Pflege noch am ehesten zu ertragen. Viel schlimmer ist der Umstand, dass man Tag für Tag ein Stück vom anderen verliert. Das prägt nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Zukunft bzw. das, was man gemeinsam vorhatte. Darauf war niemand vorbereitet, so hat man es sich nicht vorgestellt.

Das pflegt für alle Beteiligten nicht ohne Folgen zu bleiben: Resignation, Trauer, Gefühle von Hoffnungslosigkeiten, Bitterkeit und Hilflosigkeit, aber auch Unmut, Reizbarkeit, Aggressivität und Wut prägen die Atmosphäre - und zwar immer mehr. Und nicht zuletzt die typische Frage: Warum wir, d. h. vor allem ich. Wie schön könnte man es jetzt haben, nach den vielen Jahren harter Arbeit, nach Mühsal und so mancher Enttäuschung. Und jetzt das. Was wollte man nicht noch alles gemeinsam erleben: Besuche, Reisen, Umzug, endlich dies, endlich das - und nun?

Wichtig ist hier wie bei allen Trauerreaktionen: solche Empfindungen nicht unterdrücken, sondern zulassen, akzeptieren, vor allem herauslassen. Das heißt mit anderen Menschen darüber sprechen (gemäß dem bekannten Spruch des Hippokrates vor mehr als zweieinhalb tausend Jahren: "Für was ich Worte habe, darüber bin ich schon hinweg").

Tatsächlich: Es gibt nicht nur überraschend viel Verständnis sowie allgemeine Tröstungen und konkrete Hilfsangebote, man kommt auch leichter darüber hinweg. Wer es dagegen unausgesprochen und damit letztlich ungelöst mit sich herumschleppt, wirkt zwar auf den ersten Blick stabiler. In Wirklichkeit verschärft er aber seine Situation, insbesondere auf psychosomatischem Gebiet (unverarbeitetes Seelisches, das sich schließlich körperlich äußert). Und zuletzt auch auf psychosozialer Ebene: zwischenmenschlich, d. h. familiär, nachbarschaftlich, beruflich usw.

Deshalb nochmals: Die Alzheimer-Krankheit ist keine Schande. Sie gab es schon immer und gibt es inzwischen immer häufiger. Niemand ist dagegen gefeit, auch nicht die Großen aus Politik, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und Showbusiness, wie man aus bekannten Beispielen weiß (und die dies sogar in z. T. bewundernswerter Weise öffentlich bekennen, was der Sache sehr dienlich ist). Deshalb soll man versuchen, das Leiden anzunehmen und das Beste daraus zu machen. Was heißt das?

Hilfe mobilisieren - Hilfe annehmen

Natürlich irritiert es, besonders wenn plötzlich die Rollen vertauscht sind. Es tut sogar weh. Manche sind überfordert und hilflos, andere fühlen sich verlassen, geraten vielleicht sogar in Panik. Doch man wächst hinein, selbst im höheren Lebensalter. Man wächst nicht nur hinein, man wächst auch generell mit den anfallenden Aufgaben. Und man bekommt - man muss es immer wieder betonen - mehr Hilfe, als man je zu hoffen wagte, sofern man darüber reden, die Hilfe der anderen damit mobilisieren und vor allem auch annehmen kann. Die Demenz ist eine gemeinsame Aufgabe der Zukunft. Man muss diese Gemeinsamkeit nur einfordern, von selber kommt erfahrungsgemäß kaum etwas.

Wichtig ist es auch, die "dunkle Brille" der Resignation abzunehmen. Der Patient ist zwar nicht mehr so selbständig wie früher, aber er ist auch nicht in jeder Hinsicht hilfsbedürftig und damit abhängig. Deshalb soll man - am besten zusammen mit Angehörigen, Hausarzt, Angehörigen-Gruppen usw. - eine Liste erstellen von jenen Eigenschaften, die zurückgehen oder schließlich verloren, aber auch von jenen Fähigkeiten, die noch erhalten und damit förderungswürdig sind.

Und man soll die verbleibenden Fähigkeiten nicht gering schätzen. Sie stehen vielleicht im Alltag der Gesunden nicht so sehr im Vordergrund, haben aber durchaus ihren Wert, vor allem als Stabilisierungs-Faktor. Dazu zählen nicht zuletzt die Erinnerungen und sozialen Umgangsformen.

Missgestimmt - gereizt - wütend

Nicht wenige Angehörige belastet nicht nur ihre neue Aufgabe, sondern auch die Art, mit der sie selber zumindest gelegentlich (über)reagieren: missgestimmt, gereizt, mitunter sogar aggressiv, bis hin zu Wutausbrüchen. Das macht sie verlegen, unsicher, ratlos, das beschämt und erfüllt sie mit Schuldgefühlen. Sie sind enttäuscht und verbittert, und zwar nicht nur über ihr Schicksal, sondern auch über sich selber ("dass ich je einmal so die Haltung verlieren würde"). Hier aber ist folgendes zu bedenken:

Kein "normaler Mensch" ist endlos belastbar und dabei ausgeglichen oder gar heiter. Es ist ja nicht nur die äußere Belastung der Pflege, es ist eine ständige seelische und nach und nach auch körperliche Anspannung, die die Reserven aufzehrt und sich irgendwann einmal Luft schaffen muss. Deshalb sollen sich alle Angehörige der vielleicht überraschenden Erkenntnis bedienen:

Es ist nicht üblich und auch nicht "gesund", wenn man ständig einen Großteil seiner Kraft in die zusätzliche Aufgabe investiert, sich zu beherrschen und Haltung zu bewahren. Dagegen ist es normal, nachvollziehbar, einsichtig und innerlich wie äußerlich stabilisierend, hin und wieder einmal die Beherrschung zu verlieren. Jawohl. Das ist ein "Überdruck-Ventil", das verhindert, dass man sich von innen her selber "auffrisst".

Deshalb sollen die Betreffenden stets daran denken: Sie erfüllen eine der schwierigsten Aufgaben, die es zu bewältigen gibt. Kein Mensch ist perfekt, vor allem nicht unter Dauerbelastung bzw. Überlastung. Gerade weil man "Mensch" ist, also Gefühle und auch überschießende Gefühlsreaktionen hat bzw. abführen muss, ist man ja in der Lage, dem Patienten zu helfen, und zwar langfristig, so lange es sein Zustand erfordert. Die meisten Kranken vergessen "unschöne Szenen" ohnehin rasch, viel rascher als die schuldbewussten Angehörigen.

Im Übrigen soll man auch solche "Ausbrüche" mit anderen besprechen, nichts schlucken oder gar in sich hineinfressen. Dann wird man nämlich sehen, dass jeder bestätigt: So etwas ist unvermeidlich, wie anders soll man denn sonst mit einer solchen Aufgabe auf Dauer fertig werden.

Schuldgefühle

Eine der unangenehmsten, vor allem aber kräftezehrendsten Folgen sind Schuldgefühle, die so manche Angehörige entwickeln, entweder im Laufe der Zeit zunehmend, zumindest aber immer mal wieder.

Schuldgefühle sind im normalen Leben keine unnötige Reaktion. Manche kennen überhaupt keine, andere zuviel, je nach Situation und vor allem Wesensart. Während einer Depression gehören Schuldgefühle zum Quälendsten. Im Alltag sind sie eher situationsabhängig. Doch für den Angehörigen eines Demenz-Kranken gibt es zur alltäglichen Belastung noch vielerlei Gründe, Schuldgefühle zu entwickeln.

Die Ursachen sollen nicht weiter diskutiert werden. Am häufigsten ist die Überlegung, man hätte die Krankheit verhindern können, gefolgt von Selbstvorwürfen, weil man wieder einmal die Beherrschung verloren hat und vor allem weil man immer mal wieder daran denkt, den Patienten in ein Pflegeheim zu "stecken". Und natürlich der heimlich und ständig nagende Selbstvorwurf, dass man eigentlich nie genug für den Kranken tue.

Doch das alles ist unbegründet. Eine Demenz im Allgemeinen und eine Alzheimer-Krankheit im Speziellen sind durch äußere Einflüsse nicht zu verhindern oder aufzuhalten. Die meisten Angehörigen leisten ohnehin mehr, als in ihren Kräften steht. Schuldgefühle verzehren die verbliebenen Reserven nur noch schneller. Wichtig auch hier: Mit anderen Menschen darüber reden. Die pflegen das schnell zu korrigieren.

Rückzug und Isolationsgefahr

Natürlich geht es nicht mehr so wie früher. Die Kontakte reduzieren sich von selber, aus vielerlei Gründen. Völlig falsch wäre es aber, dies noch zu fördern, und zwar wegen möglicher Peinlichkeiten durch den Patienten, weil man sich für ihn und für sich selber schämt.

Manche laden niemand mehr zu sich ein, nehmen keine Einladungen mehr an, "gehen überhaupt nicht mehr unter die Leute". Das ist ein Teufelskreis, der Rückzug und Isolationsgefahr nur noch verstärkt. Damit hilft man weder dem Patienten noch sich selber. Denn der Kranke ist damit von wichtigen Erlebensmöglichkeiten abgeschnitten, die den verbliebenen Teil von Geist, Gemüt und sogar körperlicher Aktivität in Gang halten könnten. Und der pflegende Angehörige, der sich schämt und Angst hat vor Peinlichkeiten, Frustrationen, Kränkungen und Demütigungen, verliert langsam selber Kontakt, Aktivität, Routine, kurz: Lebensqualität und vor allem Lebensfähigkeit, von allen anderen Folgen für eine solche letztlich unnötige Isolierung ganz zu schweigen.

Die Demenz bzw. Alzheimer-Krankheit ist inzwischen in aller Munde. Sie macht Angst, da gibt es keine Diskussion. Sie macht aber auch bereit, das Problem zu akzeptieren (vor allem wenn man noch froh sein kann, dass es einen nicht selber trifft). Es gilt also Verwandte, Freunde, sonstige Bekannte, Nachbarn usw., mit denen man weiter Kontakt haben will bzw. muss, über das Krankheitsbild zu informieren. Das ist kein leichter Schritt. Andererseits erleichtert er alles Weitere.

Die Umgebung ist erst einmal irritiert, betroffen, ggf. peinlich berührt oder schockiert, aber dann auch bereit, Verständnis zu zeigen, mitzutragen, zu helfen. Und das wird nötig sein, denn es mangelt nicht an befremdlichen, wenn nicht gar peinlichen Verhaltensweisen, die es jetzt zu tolerieren gilt. Interessanterweise sind die meisten Menschen aber dazu durchaus in der Lage, willens und hilfsbereit. Und dies nicht nur in Erinnerung an früher, auch aus der erwähnten Überlegung heraus, dass es jeden treffen kann. Denn je älter - und wer will das nicht werden - umso größer das statistische Risiko eines solchen Leidens.

Was kann man für sich selber tun?

Leistung braucht Kraft. Nur wer Kraft hat, kann auch etwas leisten. Außerdem: "Kraft ist Zuteilung, nicht Brunnen", d. h. es fließt nicht endlos etwas nach. Man muss mit den Reserven haushalten. Das weiß man schon aus normal schwierigen Zeiten, das gilt umso mehr für eine langfristige und aufzehrende Betreuung, wie sie ein Demenz-Kranker erfordert. Wer sich also verschleißen lässt, weil er seine Kräfte nicht konsequent einteilt, d. h. auch gezielt schont bzw. seine Reserven wieder auffüllt, der wird am Schluss seiner Aufgabe nicht mehr gerecht - von seinem eigenen traurigen Los ganz zu schweigen.

Als erstes müssen die sogenannten vegetativen Funktionen sichergestellt sein. Das ist vor allem ausreichend Schlaf. Hier gilt es alle Möglichkeiten zu nutzen, die sowohl dem nächtlich unruhigen Patienten als auch seinem Betreuer die notwendige Regeneration sichern. Dabei sollte man auch nicht allzu viel Angst vor "Chemie" haben, wenn sich andere, z. B. nichtmedikamentöse Verfahren als nicht mehr ausreichend erweisen.

Dies gilt auch für den Appetit, d. h. Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust. Zwar wird gerade dieses Symptom am wenigsten beklagt, kann aber zu einer Doppelbelastung beitragen: äußerlich wie innerlich. Denn Appetit heißt nicht nur Übergewicht, sondern auch Sicherstellung der vegetativen Funktionen, also der organischen Basis.

Im Weiteren braucht der Mensch einen Freiraum, d. h. eine sogenannte Aus-Zeit, weil er sonst geistig und seelisch verkümmert. Und wer verkümmert, kann wiederum seinem Auftrag nicht gerecht werden. Deshalb müssen die früheren Interessen, Hobbys und Freizeitbeschäftigungen unbedingt (!) beibehalten werden.

Eigentlich sollte man sie unter den neuen Belastungen noch verstärken. Das wird wohl nicht möglich sein, aber den notwendigen Ausgleich gilt es sicherzustellen. Das heißt konkret: regelmäßige, am besten immer zeitgleiche Entlastung vom häuslichen Pflegedienst. Und es heißt vor allem Wohnung oder Haus verlassen können und sich wirklich frei mit dem beschäftigen, was Freude macht(e), was ja wieder zur Regeneration beiträgt. Was immer das ist, es muss erhalten bleiben. Und wenn es bisher kein Thema war, sollte man sich etwas Früheres oder Neues suchen, was einen auch ausfüllt und erfüllt. Wer ein Hobby hat, soll, ja muss es pflegen.

Ansonsten sind erfahrungsgemäß zwei Aspekte von großer Bedeutung:

1. die Musik (selbst wenn man bisher nicht unbedingt musikalisch interessiert war), denn sie gilt auch physiologisch (die natürlichen Funktionsabläufe betreffend) als einer der wichtigsten Erholungs-Faktoren.

2. Die körperliche Aktivität, die gerne übersehen, vergessen oder gar belächelt wird. Doch gerade hier sollte man umdenken. Was heißt das?

Körperliche Aktivität ist Pflicht, und zwar täglich. Zum einen soll man mit dem Patienten viel spazieren gehen, möglichst bei Tageslicht und im Grünen. Zum anderen sollte man auch für sich selber einen täglichen Spaziergang alleine oder mit jemand anderem als dem Kranken machen. Wiederum bei Tageslicht und im Grünen, weil sie die besten Regenerations-Ergebnisse garantieren.

Natürlich ist auch jede andere körperliche Aktivität möglich (Fahrradfahren, Schwimmen, Gymnastik, Gartenarbeit, die emotional besonders ausgleichend wirkt usw.). Doch am naheliegendsten, am besten praktizierbar und wohl auch am wirkungsvollsten ist der tägliche "Gesundmarsch" (in moderner Form heute als Nordic Walking bezeichnet, d. h. 6 bis 9 km/h und unterstützt durch zwei Teleskop-Wanderstöcke, um nicht nur den unteren, sondern auch oberen Teil aktiv zu halten - und dabei noch den unteren d. h. Hüft-, Knie- und Sprunggelenk deutlich entlastet).

Etwas aufwendiger, aber ebenfalls überaus wirkungsvoll, was die Regeneration und damit Leistungsfähigkeit anbelangt, ist auch das Erlernen von Entspannungsverfahren wie Autogenes Training, Yoga usw. Dass sollte man allerdings trainiert haben, wenn es schließlich (dringlich) gebraucht wird. Unter Stress oder mit schwindenden Reserven wird es immer schwieriger. Also umgehend beim nächsten Kurs (Volkshochschule u.a.) anmelden.

Mit anderen Worten: Man muss sich Zeit für sich selber nehmen, und das regelmäßig und ohne Ausnahme (die sonst die Regel zu werden droht). Wer sich nicht gezielt regeneriert, verschleißt sich, ist plötzlich am Ende mit seinen Kräften und muss zu einer Lösung Zuflucht nehmen (z. B. Pflegeheim), die er unter "normalen Bedingungen" noch nicht in Erwägung gezogen hätte.

Entlastungsprobleme?

Wer bei diesem Freizeit-Programm ein schlechtes Gewissen hat oder gar Schuldgefühle entwickelt, hat nicht nur Unrecht, er macht auch einen strategischen Fehler - letztlich zu Lasten des Patienten. Ein Motor, der viel leisten muss, sollte noch regelmäßiger zur Inspektion als einer, der nur ein durchschnittliches Pensum zu bewältigen hat. Das leuchtet ein. Nur bei Menschen gibt es sonderbarerweise Widerstände. Dann ist es besser, man benützt nicht den Begriff "freinehmen" oder "Freizeit", sondern "aktive Regeneration", um nämlich auch weiterhin die geforderte Leistung erbringen zu können.

Solche Aus-Zeiten sind nicht nur wichtig für das körperliche, sondern auch geistige und vor allem seelische Wohlbefinden. Wer nicht regelmäßig "auftanken" kann, wird bald stehen bleiben. Das heißt in diesem Falle wird er krank werden oder irgendwann einmal in sich zusammenfallen, wenn nicht gar zusammenbrechen. Das war dann keine Pflichterfüllung, sondern ein törichtes, alle Beteiligten schädigendes Verhalten.

Wie kann diese regelmäßige (!) Regenerations-Pause gesichert werden, d. h. wer betreut den Patienten in dieser Zeit? Das wissen vor allem der Hausarzt oder entsprechende Selbsthilfe- und Angehörigen-Gruppen, zumal die Zahl entsprechender Institutionen kontinuierlich zunimmt. So stehen auf der einen Seite Familienmitglieder zur Verfügung (die man allerdings darauf ansprechen und verpflichten sollte), und auf der anderen immer mehr professionelle ambulante Helfer, organisatorische Nachbarschaftshilfen, aber auch Tagesstätten und sogar die Möglichkeit von Kurzzeitpflege in einem Heim. Denn auch regelmäßiger Kurz-Urlaub ist für den Betreuer unerlässlich, will er seiner Aufgabe langfristig gerecht werden.

Nun können es manche Menschen kaum ertragen, "ihren" kranken Angehörigen in anderen Händen zu wissen. Oder sie haben die erwähnten Schuldgefühle bzw. die Angst, er könnte nicht richtig verstanden, betreut oder behandelt werden. Oder sie fürchten, dass ihn das alles nur noch mehr "durcheinanderbringt", was ihnen die eigene Betreuung dann noch schwerer macht. Manche haben sogar Angst, der Patient könnte sich anderenorts wohler fühlen als zu Hause. Die anderen könnten es professioneller machen, mehr bieten, flexibler, toleranter, belastungsfähiger sein. Und genau das würde ihnen dann später zum Vorwurf gemacht.

Das alles sind Aspekte, die man ernstnehmen muss. Sie verlieren aber an Überzeugungskraft, wenn man die Negativ-Folgen eines ausgebrannten, erschöpften, selbst behandlungsbedürftigen Betreuers bedenkt, der seine eigenen Reserven überschätzt und seine Regenerationspflicht vernachlässigt hat.

Natürlich haben die meisten Angehörigen zwiespältige Gefühle, wenn sie einmal weg sind. Sie sollten sie aber nur haben, wenn sie nach dem Raubbau ihrer Kräfte für längere Zeit weg sein müssen. Alles andere regelt sich von selber ein. Kontinuität, auch was die Regenerations-Zeiten des Betreuers anbelangt, wird von Demenz-Kranken am ehesten toleriert.

Und dass professionelle Betreuer manchmal "besser" und damit erfolgreicher sind, ist keine Kunst. Zum einen ist es ihr Beruf, zum anderen sind sie für diesen Patienten nur kurzzeitig gefordert. Und dass manche daraus gewisse Vorwürfe ableiten, kann einerseits berechtigt sein, dann sollte man es ändern, und ist andererseits der Beweis, dass man seine Regenerationsphase braucht, sonst wird es noch enger.

- FOLGENSCHWERE ENTSCHEIDUNGEN

Zu den besonderen Belastungen bzw. schweren Entscheidungen, zu denen eine Demenz oftmals zwingt, gehören laut täglicher Erfahrung: Soll der Patient seine Diagnose wissen? Kann die alte Wohnung beibehalten werden, vor allem wenn er alleinstehend ist? Wie steht es um finanzielle Angelegenheiten und das Testament? Darf der Patient noch Auto fahren? Und schließlich: Muss eine spezielle Versicherung abgeschlossen werden? Ist ein Pflegeheim nötig usw.?

Alle diese Entscheidungen sollte man am besten im Familienverbund treffen, wobei man sich wiederum bei den erwähnten Fachgesellschaften Rat in allgemeiner Hinsicht holen kann (natürlich nicht im speziellen Fall, das muss man selber entscheiden).

Nachfolgend dazu einige Hinweise, wie sie die Gerontopsychiater und ihre MitarbeiterInnen aus verschiedenen Disziplinen in der Regel empfehlen:

Soll der Patient seine Diagnose erfahren?

Keine Krankheit macht Freude, die meisten Diagnosen belasten oder schockieren. An der Spitze dieser unerfreulichen Skala stehen seelische Störungen. Einige von ihnen gehören zu den gefürchtesten Krankheiten.

Das liegt einerseits an ihrem Beschwerdebild und seinen seelischen und vor allem psychosozialen Folgen, andererseits am mangelnden Wissensstand darüber (Unwissen macht Angst). Und nicht zuletzt an der gesellschaftlichen Abwertung dieser Krankheiten. Die Demenz und hier insbesondere die Alzheimer-Krankheit gehören jedenfalls dazu. Und deshalb scheuen sich auch viele Ärzte, den Patienten über seine Krankheit aufzuklären und die Diagnose beim Namen zu nennen. Die Angehörigen sind natürlich noch unsicherer, von ihrer mitunter lähmenden Betroffenheit, Resignation, ja Trauer, Hilflosigkeit oder ohnmächtigen Wut ganz zu schweigen.

Es gibt jedoch kein Krankheitsbild, auch keine seelische Störung, bei der man die Diagnose bzw. Aufklärung den Patienten verschweigen soll. Wissen ist Macht, und zwar einerseits die Macht zu helfen und andererseits die Macht bzw. Kraft, mit seinem Schicksal besser fertig zu werden. Alles andere ist eine zwiespältige Einstellung, die zwar in Einzelfällen nachvollziehbar wirkt, oftmals aber auch nur der Scheu, Angst oder Betretenheit jener entgegenkommt, die sich eigentlich die Mühe der Aufklärung machen und vor allem die Konsequenzen eines solchen Gespräches tragen sollten, um den Betroffenen die nun notwendigen Maßnahmen zu erleichtern.

Und so muss auch ein Alzheimer-Patient über seine Diagnose aufgeklärt werden. Und das auch bzw. gerade bei leichtgradig beeinträchtigten Kranken, damit sie sich rechtzeitig danach richten können: Krankheitsbild, psychosoziale Folgen (Partnerschaft, Familie, Vermögen, Freundeskreis, Beruf), Fortschreiten des Leidens, aber auch heutige Behandlungsmöglichkeiten usw.

Dass so etwas nicht nur für Patient und Angehörige, sondern auch für den Arzt oder wer auch immer die Diagnose erläutern muss, eine große Belastung ist, versteht sich von selber. Eine Alzheimer-Krankheit aber auf sich beruhen zu lassen, aus welchem vorgeschobenen Grund auch immer, ist eine Entscheidung, die man schon nach einiger Zeit kaum mehr begründen kann. Und was dann schon passiert oder an Notwendigem nicht geschehen ist, pflegt der gesamten Entwicklung nicht förderlich zu sein.

Also muss man den Patienten rechtzeitig aufklären, vor allem aber sein Leiden detailliert erläutern. Die Diagnose mitzuteilen, ohne das Krankheitsbild persönlich zu erklären (oder auch nur auf schriftliches Aufklärungsmaterial zu verweisen) ist eine überaus mangelhafte Haltung. Denn mit der Erläuterung geht ja auch der immer wiederholte Hinweis einher, dass die Krankheit zwar fortschreitet, aber einen sehr unterschiedlichen, mitunter auch sehr langsamen Verlauf nehmen kann und dass inzwischen wirksame Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die es zu nutzen gilt.

Vor allem aber muss man dem Patienten (und seinen nächsten Angehörigen) das Gefühl vermitteln, dass er mit dieser Krankheit nicht alleine dasteht. Und dass es inzwischen ein geradezu beeindruckendes Angebot psychosozialer Unterstützungsmaßnahmen gibt, auch in nächster Umgebung.

Danach muss es aber auch möglich sein, alle Befürchtungen zu äußern, d. h. Fragen zu stellen, soviel einem dazu einfallen, und zwar sofort und auch später immer wieder. Und hier lässt sich dann auch gleich das tröstliche Gefühl vermitteln, dass man mit seiner Krankheit nicht alleine dasteht, sondern jederzeit Hilfe suchen und finden kann.

Schließlich sollte man auch einige gerne übersehene, letztlich aber ungeheuer wichtige Aspekte berücksichtigen, die in der Regel der Aufklärung des Patienten zu folgen pflegen: Dazu gehören

- neben planerischen Aufgaben wie Vorsorgevollmacht beim Notar, Testament (siehe unten) vor allem der Wunsch, wie und wo man versorgt werden will und ob noch einmal eine Reise u.ä. erträumt wird, z. B. an den Geburtsort, an eine ferne Begräbnisstätte u.a.

Und ein letzter Faktor sollte in dieser Hinsicht zu denken geben: das Versöhnen. Es ist unglaublich, wieviel und wie oft Unausgesprochenes in den Familien belastet, was man schon mit einem einzigen Gespräch klären kann.

Eine Alzheimer-Krankheit ist ein schwerer Schicksalsschlag. Das ist keine Frage. Eine Alzheimer-Krankheit, die auf die vielschichtigen Unterstützungsmöglichkeiten unserer Zeit zurückgreifen kann, ist wenigstens ein bewältigbarer Schicksalsschlag, dem man nicht völlig ausgeliefert ist. Das ist ein großer Unterschied.

- SICHERHEITS-EMPFEHLUNGEN

Wohnung als gewohnte Heimstatt

Es sind vor allem die Gedächtnis- und Orientierungsstörungen, die Schwierigkeiten, mit den Gegenständen des Alltags adäquat umzugehen, und eine wachsende Geh-Unsicherheit, die bestimmte bauliche Veränderungen in Wohnung oder Haus erzwingen. Dadurch soll verhindert werden, dass weder der Patient noch andere in Gefahr geraten.

Nun sind aber Haus, Wohnung und Einrichtung ein Faktor, der sich mit wachsendem Alter immer schwerer folgenlos ändern lässt. Darauf beruht beispielsweise eine Sonderform der Depression, die ältere Menschen nicht nur nach Wohnorts-, sondern schon nach Wohnungs- oder Hauswechsel trifft, und sei es noch so lange geplant, befürwortet oder lediglich um die Ecke: die "Umzugs-Depression". Es gibt sogar Menschen, die nach selbst angeordnetem Tapetenwechsel in einem Stimmungstief versinken. Das ist die eine Seite.

Die andere ist der Gewohnheits-Faktor ("was ist wo"), der natürlich umso wichtiger wird, je mehr dementielle Störungen um sich greifen. Deshalb müssen selbst sinnvolle, ja unerlässliche Veränderungen nicht nur behutsam vorbesprochen, schrittweise durchgeführt und immer wieder begründet und "geübt" werden, es können ggf. auch ungehaltene, ja aggressive bis feindselige Reaktionen auszuhalten sein. Dabei geht es - das muss man sich immer wieder vor Augen halten -, nicht nur um Sicherheit und Vernunft, sondern um die Gewohnheit, die umso wichtiger wird, je mehr die Anpassungsfähigkeit schwindet. Was heißt das?

Sicherheits- und Hilfsmaßnahmen in der Wohnung

Die nachfolgend aufgeführten Sicherheits- und Hilfsmaßnahmen in der Wohnung mögen für Gesunde etwas überzogen wirken. Doch hier kann jeder seine eigenen Erfahrungen machen, sofern er das entsprechende Alter erreicht. Auf was ist zu achten?

- In der Küche sind Gas- oder Elektroherd durch automatische Absperrventile, Gasmelder, Leuchtanzeiger, Temperaturmelder usw. zu sichern. Heißes Wasser, woher auch immer, sollte so eingestellt sein, dass sich der Kranke nicht verbrühen kann.

- In Bad und auf der Toilette sollte man die Schlüssel abziehen. Möglicherweise kann der Patient noch die Tür abschließen, aber vielleicht nicht mehr öffnen (wie Kleinkinder ja auch). Auch sollen - wie überall in Wohnung oder Haus - Teppiche oder Läufer, die sich aufrollen, verschieben, falten oder wegrutschen können, entfernt werden. In der Dusche und Badewanne sind nicht nur rutschfeste Matten, sondern auch feste Haltegriffe nützlich (ggf. auch in der Toilette). Ein Stuhl in der Dusche ist oft sicherer als die Badewanne. Dort, wo früher problemlos Wasch-, Pflege- und Putzmittel standen, muss man sich jetzt gut überlegen ob sie evtl. nicht verwechselt werden können, zum Beispiel als Getränke.

- Ausreichende Helligkeit, also starke Lampen sollen nicht nur das nachlassende Augenlicht, sondern auch die wachsenden Orientierungsschwierigkeiten mildern helfen, die durch alles verstärkt werden, was dem Gesunden keine Probleme macht bzw. nicht einmal auffällt. Allerdings dürfen diese Lampen nicht blenden, keine Schatten werfen, die ggf. zu Fehldeutungen Anlass geben könnten.

Nicht zu vergessen: Die Angst vor Fremden oder Eindringlingen, die zwar eine wahnhafte Ursache hat, andererseits auf alles anspringt, was diese furchtsamen Reaktionen verstärken könnte. Ausreichende Helligkeit ist vor allem an Orten mit wenig natürlicher Beleuchtung wichtig, also Flur, Toilette, Bad, Schlafzimmer u. a. Beispiel: Eine nächtliche Beleuchtung, wie sie in Hotel-Gängen zu finden ist, ist auch zweckmäßig für den Weg vom Schlafzimmer über den Flur zu Badezimmer oder Toilette.

- Treppen sind eine ständige Gefahrenquelle. Sie kann man nur einigermaßen neutralisieren mit stabilen Handläufen, rutschfesten Belägen, farbig abgehobenen untersten und obersten Treppenstufen sowie ggf. einer Tür am oberen Treppenende, die allerdings nicht zu niedrig sein darf, also Brusthöhe haben soll, da man sonst - z. B. durch verwirrte Manipulationen am Schloss - darüber stürzen könnte.

- Der Fußboden lässt zwar nicht tief "abstürzen", aber bei einem älteren Menschen mit seinen inzwischen porösen Knochen reicht auch dies schon für verhängnisvolle Unfälle. Also auch hier lose Teppiche oder Läufer entfernen, spiegelnde Flächen vermeiden (man lache nicht: sie können für Wasser oder Eis gehalten werden), Stolperstellen und elektrische Kabel entfernen, Türschwellen neutralisieren (kleine Rampen, farbig abheben) usw.

- Fenster sollten nur kippbar sein, Haustür und Balkontür durch geeignete Schlösser gesichert werden. Überhaupt sollte ein dementer Patient seine Wohnung nicht unbemerkt verlassen können (siehe später).

- Der Garten ist ein wichtiges Erholungsgebiet, das man dem Kranken nicht vorenthalten sollte. Andererseits sind dort die gleichen Vorsichtsmaßnahmen zu treffen wie bei Kleinkindern: sichere Einzäunung, allerdings möglichst in Brusthöhe (s.o.), d.h. der Betroffene muss darüber schauen aber nicht darüber lehnen und damit über den Zaun stürzen können. Vorsicht bei Teichen, Bottichen, Gartenwerkzeugen und Chemikalien, Entschärfung von Treppen sowie rutschigen oder abschüssigen Flächen u. a.

- SPEZIELLE ASPEKTE

Wohnung oder Pflegeheim?

Die Frage, ob der Patient noch in seiner Wohnung verbleiben kann, gehört zur schwerwiegendsten Entscheidung überhaupt. Im Grunde sind die eigenen vier Wände das, was er sich sehnlichst wünscht und was auch die beste Lösung wäre, solange sie sich realisieren lässt.

Lebt er alleine, stellt sich diese Frage natürlich früher als im Familienkreis. Das wird sich auch durch ambulante Dienste nur eine begrenzte Zeit hinausschieben lassen. Dabei sehen manche Patienten solche nützlichen Hilfen nicht einmal ein und lassen - aus den bekannten Gründen - fremde Personen nur ungern in ihre Wohnung. So etwas braucht also eine lange Vorarbeit, die nicht mit der notwendigen Hilfestellung begründet werden soll, sondern mit "netten Bekanntschaften", die auf diese Weise zu machen sind und damit die Langeweile etwas verringern.

Sobald der Patient aber Orientierungsprobleme in der eigenen Wohnung bekommt, ggf. wegläuft und nicht mehr zurückfindet, oder wenn aus anderen Gründen eine durchgehende Versorgung notwendig wird, ist die Unterbringung in einem Heim nicht mehr zu umgehen.

Tatsächlich werden drei Viertel aller Alzheimer-Patienten irgendwann während ihres Krankheitsverlaufs in ein Pflegeheim aufgenommen. Die häufigsten Ursachen sind:

- hochgradige Orientierungsstörungen
- ständige Weglaufgefahr
- zunehmende "Aggressivität" (die aber meist auf missverstandene Situationen zurückzuführen ist)
- körperliche Pflegebedürftigkeit, insbesondere Inkontinenz

Die Frage: Pflegeheim oder nicht und wenn ja, welches? sollten der Patient (sofern er dazu einen Beitrag leisten kann, meist wird er wohl nur energisch dagegen sein), seine Angehörigen, der Hausarzt, ggf. sonstige Verwandte, Bekannte, Freunde, vielleicht sogar in beratender Funktion entsprechende Angehörigen- oder Selbsthilfegruppen entscheiden. Die meisten Betroffenen werden damit nicht gerade glücklich, doch lässt ihr Zustand in der Regel keine Alternative zu. Und man muss noch dankbar sein, ein gut geführtes und zugleich preiswertes Pflegeheim gefunden zu haben.

Ein solches Pflegeheim wird erfahrungsgemäß dann eher akzeptiert, wenn

1. der Patient zuvor vereinsamt ist,

2. sich "mühsam" durchbringen musste und in die Gefahr der Verwahrlosung zu geraten drohte,

3. ein geselliger Mensch ist, der sich in einem Pflegeheim mehr Kontakte verspricht,

4. im Krankenhaus erfahren hat, dass gesellschaftlicher Umgang durchaus anregend sein kann.

Aktive Teilnahme am Verkehr: der Führerschein

Der Anteil der Führerscheinbesitzer über 65 Jahren wächst kontinuierlich. Ein Großteil fährt weiterhin Auto, obgleich das Unfallrisiko mit wachsendem Alter und zunehmender Demenz steigt (was allerdings nur eine, wenn auch nahe liegende Vermutung ist, doch gibt es bisher keine wissenschaftlich befriedigenden Untersuchungen und damit Anhaltszahlen).

Denn Demenz, das heißt nun einmal schwindendes Gedächtnis, reduzierter Antrieb, beeinträchtigte Reaktionsfähigkeit, verringertes Leistungsvermögen, nachlassende Orientierungsfähigkeit, kurz: eine vor allem schleichende Verschlechterung aller wichtigen Faktoren, wobei auch die kritische Selbstkontrolle zu wünschen übrig lässt.

Tatsächlich nimmt die Zahl der Unfälle mit dementen älteren Verkehrsteilnehmern zu (obgleich darüber keine konkrete Unfallstatistik existiert), geringfügig zwar, aber offensichtlich kontinuierlich. Beispiele: falsches Abbiegen oder Einfädeln, nicht zuletzt auf der Autobahn (Geisterfahrer), kleine Rempler bei Parkmanövern, Kollision mit Zäunen oder Verkehrszeichen (ohne es zu merken) usw.

Natürlich wird vieles ausgeglichen durch die vorsichtigere und weniger aggressive Fahrweise älterer Verkehrsteilnehmer, und weil sie insgesamt auch weniger unterwegs sind als in jüngeren Jahren. Trotzdem können die Folgen sehr unangenehm sein, von der Gefahr für Menschen (Kinder!), Tiere und Sachen ganz zu schweigen.

Spricht man den Patienten auf den Führerschein an, reagiert er entweder betroffenen, resigniert oder niedergeschlagen, noch häufiger aber gekränkt ("Bevormundung", "Degradierung") und wird vor allem das in der Tat wichtige Argument bemühen, so lange wie möglich mobil zu bleiben.

Trotzdem wird irgendwann einmal die Entscheidung unumgänglich. Getroffen werden sollte sie am besten von den Angehörigen mit Unterstützung des Hausarztes (ob er das will oder nicht, meist umgeht er solche heiklen Fragen gerne, weil er sich dafür nicht "direkt" zuständig sieht, was aber nur bedingt stimmt). Die nun folgenden Auseinandersetzungen sind so oder so unangenehm und brauchen viel Überwindung, Geduld, ja Mut und eine gehörige Portion an "Einsteckvermögen".

Denn es ist zwar richtig, dass die meisten und folgenschwersten Unfälle von der jüngeren Generation verursacht werden. Es führt aber auch kein Weg an der Mahnung vorbei, sich die letzten Lebensjahre nicht durch einen Unfall mit vielleicht verhängnisvollen Folgen vergällen zu lassen, nur weil man sich nicht rechtzeitig seine nachlassende Leistungsfähigkeit in einem immer komplexer und dichter werdenden Verkehr eingestehen wollte.

Wenn sich die Situation zuspitzt, bleibt schließlich nichts Anderes mehr übrig, als die Fahrzeugschlüssel in Sicherheit zu bringen und den Pkw durch die Werkstatt stillzulegen. Der nächste Schritt wäre nämlich eine Meldung bei der Führerscheinstelle des Landratsamtes, und das sollte der Patient nun doch selber machen bzw. in die Wege leiten.

Auf jeden Fall muss man eines bedenken (was nebenbei alle seelischen Störungen mit der gleichen Fragestellung betrifft):

Der Führerschein ist mehr als nur eine Fahrerlaubnis. Er ist ein Status-Symbol. Und im Falle einer Erkrankung ist er der Beweis von Gesundheit ("wie alle anderen auch") oder Hinfälligkeit - und damit Ausdruck eines gesellschaftlichen Defizits, was sich bei der Demenz zudem nie mehr ändern wird.

Versicherung, Klärung der Vermögensverhältnisse, Testament

Genauso unangenehm können sich nachfolgende Fragen stellen:

Noch halbwegs harmlos, weil nachvollziehbar, sind entsprechende Versicherungsempfehlungen, in der Regel eine Haftpflichtversicherung (die die meisten aber ohnehin haben). Wenn eine Betreuung besteht (früher Pflegschaft), sollte sich auch der Betreuer durch eine Haftpflichtversicherung vor Schadenersatzforderungen schützen. Allerdings muss man wissen, dass viele Versicherungen Alzheimer-Patienten von verschiedenen Versicherungs-Angeboten ausschließen, z. B. Unfall u.a. Man muss also die (vor allem klein gedruckten) Bedingungen gut durchstudieren.

Deutlich heikler ist die Klärung der Vermögens-Verhältnisse, vor allem das Testament. Das ist schon bei Gesunden eine delikate Angelegenheit, noch mehr, wenn der Betroffene offensichtlich nicht mehr im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist. Trotzdem sollte es so rechtzeitig wie möglich abgefasst werden, um die ansonsten drohenden Erbstreitigkeiten in Grenzen zu halten.

In der Regel ist aber sogar ein Gutachten erforderlich. Die Testierfähigkeit beispielsweise ist im allgemeinen bis zum Beweis des Gegenteils erhalten. Die Gesetzeslage sieht vor, dass derjenige, der zweifelt, es auch beweisen muss.

- SCHWIERIGKEITEN IM ALLTAG

Welches sind die wichtigsten konkreten Probleme im Alltag? Nachfolgend eine kurze Übersicht, die sich allerdings nur mit seelischen und psychosozialen Schwierigkeiten befasst und die die nicht geringen körperlichen Beeinträchtigungen aus Platzgründen ausklammert. Sie finden sich aber ausführlich in allen Informations-Broschüren für Angehörige. Im Einzelnen:

Mangelnde Krankheitseinsicht

Schon in körperlicher Hinsicht braucht es manchmal unerträgliche Schmerzen oder Funktionseinbußen, um den Betroffenen davon zu überzeugen, dass er krank ist und einen Arzt aufsuchen sollte. Krankheiten ohne solche Beeinträchtigungen sind deshalb besonders ungünstig, was rechtzeitiges Erkennen, Akzeptieren und damit Handeln anbelangt.

In seelischer, vor allem aber in geistiger Hinsicht ist es nicht anders. Die meisten psychischen Störungen weisen meistens keine ausreichende Krankheitseinsicht auf und brauchen deshalb Monate, bis sie einem Arzt gestanden werden.

Die Alzheimer-Krankheit zeigt dabei noch eine besondere Komponente: Im frühen Krankheits-Stadium nehmen die meisten Betroffenen ihr zunehmendes Leistungsdefizit durchaus bewusst wahr. Das wäre jetzt ein Vorteil, doch die Reaktion ist nicht die Arzt-Konsultation, sondern lange, viel zu lange Irritation, Verwunderung, schließlich Beschämung, Angst, Resignation, Niedergeschlagenheit, manchmal auch Wut bzw. konkreter: ohnmächtiger Zorn.

Was auf jeden Fall viel zu spät zugegeben wird, sind die Fehlleistungen. Erst wenn sich ernstere Einbußen häufen, denkt man an eine diagnostische Abklärung und entsprechende Therapievorschläge. Das wäre auch höchste Zeit, denn im mittleren Stadium beginnt das Krankheitsbewusstsein zu verblassen. Jetzt kann sich der Patient sogar als besonders gesund, vital, dynamisch und erfolgreich einschätzen, obgleich seine Einbußen inzwischen eine kritische (und mitunter zwischenmenschlich und beruflich) kostspielige Dimension annehmen.

Die Ursache ist nachvollziehbar: Das Selbstgefühl des Demenz-Kranken speist sich weniger aus der Gegenwart, es orientiert sich - wie die Erinnerungen - an zurückliegenden und damit besseren Zeiten. Die Vergangenheit gewinnt an Bedeutung und die damaligen Fähigkeiten und Erfolge werden in die Gegenwart übertragen. Das hat wahrscheinlich eine biologische Ursache, aber auch einen psychologischen Sinn. Man kann es als den Versuch sehen, sich vor der ernüchternden bis deprimierenden Selbsterkenntnis wachsender psychosozialer Defizite zu bewahren.

Deshalb sollte man den Alzheimer-Kranken nicht ständig mit seinen Mängeln konfrontieren, jedenfalls nicht unnötig oft und lang. Die Einsicht in seine Krankheit und die Folgen haben nämlich kaum fruchtbare Konsequenzen. Nur wer Überblick und Einsicht hat, kann auch danach handeln. Der Alzheimer-Patient hat sie in der Regel nicht mehr, weshalb er die Situation auch nicht zu bessern vermag.

So kann es für alle Beteiligten sinnvoller sein, das positive Selbstbild des Patienten, so falsch, ja lächerlich es sein mag, als einen Selbstschutz, eine wichtige Lebenshilfe zu verstehen. Manchmal hat man auch den Eindruck, dass die Patienten weniger ausgeprägt in ihrer illusionären Vergangenheit leben (und danach handeln), wenn sie das Gefühl haben, noch gebraucht zu werden, wenigstens in einem bestimmten Rahmen.

Daraus folgert: Den Krankheitsverlauf kann man nicht ändern, das Selbstwertgefühl aber sehr wohl durch kleine, überschaubare und vor allem leistbare Aufgaben so anheben, dass nicht nur die Phantasie an vergangene Zeiten bemüht werden muss, um den tristen Alltag etwas zu erleichtern.

Eigenständigkeit

Eigenständigkeit ist ein Begriff, den man eigentlich erst so richtig begreift, wenn man diese Fähigkeit zu verlieren beginnt. Die Eigenständigkeit zu bewahren, so lange es geht, ist deshalb eine elementare Voraussetzung für alle Lebensbereiche. Dies ist schwierig im Detail, aber einfach im Grundsatz, der da lautet:

Dem Kranken die täglichen Aufgaben so weit als möglich nicht abnehmen, sondern bei der Bewältigung zu helfen versuchen. Nur dadurch bleibt seine Eigenständigkeit erhalten.

Das heißt: Möglichst nicht korrigieren oder verbessern, auch wenn man sein Handeln für erfolglos, unsinnig oder falsch hält (sofern keine Gefahr droht). Wird der Kranke dauernd gemaßregelt oder fühlt sich so behandelt, so wird er - weil er das alles nicht mehr verstehen kann - mit Erstaunen, Resignation, Hilflosigkeit, Angst oder Unmut sowie Wut reagieren. Die Situation eskaliert.

Dagegen wird es ihm helfen, wenn man ihn lobt und echte Freude zeigt, dass er aktiv und eigenständig bleiben will. Das heißt: zuerst loben, später unter günstigeren Bedingungen ggf. korrigieren. Die Freude am Lob ist ein wichtiges Lebens-Elixier. Lernfähig wird er dagegen kaum mehr sein, selbst wenn man dies durch ständige Korrekturen im Auge haben sollte.

Im fortgeschrittenen Stadium wird sich der Patient schließlich ähnlich einem Kind verhalten aber ohne dessen Lernfähigkeit. Der Unterschied zu den Jüngsten aber ist ein ganz wesentlicher: Der alte Mensch hat das Selbstgefühl eines Erwachsenen, wie nicht anders zu erwarten. Und auf der Basis einer Lebensgeschichte, die mehr als ein halbes Jahrhundert umfasst und durch ein intaktes Altgedächtnis zumindest für die ersten Jahrzehnte durchaus noch gegenwärtig ist. Dies gilt es zu beachten, wenn man diese Patienten nicht in Scham, Resignation, Empörung oder Zorn treiben, d. h. wenn man ihre Würde erhalten will.

So einsichtig diese Empfehlungen auch sein mögen, für den konkreten Tagesablauf gibt es dennoch Grenzen, die es zu beachten gilt. Und hier muss man behutsam, aber konsequent bleiben. Dazu gehören Kauf und Verkauf, insbesondere Bankgeschäfte, die aktive Teilnahme am Verkehr, vor allem mit einem Kraftfahrzeug, sowie jene Aktivitäten zu Hause, die man zwar so lange wie möglich belassen will, die aber auch gewisse Risiken bergen: z. B. Zubereitung von Mahlzeiten und damit der Einsatz elektrischer Geräte, insbesondere des Herdes; öffentliche Verkehrsmittel usw.

Sorgfältig beobachten soll man auch die Orientierungsfähigkeit (und zwar nicht nur in der weiteren und näheren Umgebung, sondern auch in der eigenen Wohnung), die regelmäßige Einnahme von Mahlzeiten, insbesondere eine ausreichende tägliche Trinkmenge, das An- und Auskleiden, Baden/Duschen (mit ihren eigenen Gefahrenquellen, z. B. Sturz) und die Toilettenbenutzung.

Auch ist selbst beim Umgang mit kleineren Geldbeträgen ein Auge auf die alltäglichen finanziellen Aspekte zu werfen.

Körperpflege

Die gewohnte Körperpflege kann im Laufe der Zeit leiden. Das darf man nicht einreißen lassen, denn es ist nicht nur ein deprimierender Anblick für die anderen, es dient auch dem Wohlgefühl des Betroffenen selber, wenn er sich pflegt, gut anzieht und hübsch macht. Zuletzt kann es sein, dass man ihm helfen muss, weil er sich nicht mehr alleine wäscht und in den ersten Ansätzen stecken bleibt.

Über das Helfen oder noch besser ermuntern hinaus, sollte man sich aber so lange wie möglich nicht engagieren, selbst wenn es zeitsparender ist, wenn man alles selber macht. Die Eigen-Aktivität anregen, nichts routinemäßig abnehmen, heißt auch hier die Losung.

Doch sowohl das eine wie das andere kann gelegentlich auf heftigen Widerstand stoßen, wenn sich der Patient zwar nicht mehr selber ausreichend pflegt, aber auch nicht helfen lässt. Dies liegt vor allem daran, dass die Gemüts-Seite länger erhalten bleibt als die geistige Leistungsfähigkeit, d. h. zur Eigen-Aktivität reicht es nicht mehr, aber Schamgefühl und Stolz lassen es auch nicht zu, "wie ein Kind gewaschen und gefüttert zu werden".

Also helfen, ohne zu kränken, beispielsweise: "Möchtest du dich frisch machen?" oder "begleitest du mich ins Bad?" anstatt dem demütigenden: Ich muss dich nun waschen oder baden".

Das können zermürbende Auseinandersetzungen werden, und zwar täglich. Manchmal hilft es dabei, die Situation so angenehm wie möglich zu gestalten, z. B. durch besonders kuschelige Handtücher und wohlriechende Badezusätze bzw. sonstige Essenzen. Manchmal aber kann man den Widerstand nur umgehen, indem man einen Pflegedienst heranzieht, der für den Patienten weniger beschämend ist.

Beweglichkeit und körperliche Aktivität

Schon im mittleren Krankheitsstadium einer Alzheimer-Demenz drohen Bewegungsstörungen, die sich beispielsweise in einem kleinschrittigen, fast schlurfenden, auf jeden Fall unsicheren Gang äußern: zittrig, schwach, vorn übergebeugt usw.

Dazu kommt eine wachsende Fehleinschätzung der räumlichen Verhältnisse, vor allem der Entfernungen, eine verlangsamte Reaktionsweise und damit die Unfähigkeit, sich rechtzeitig abzustützen, aufzufangen usw. Im fortgeschrittenen Stadium geht schließlich die Fähigkeit verloren, die Körperhaltung als Ganzes zu kontrollieren. Das heißt (siehe oben): durchgehende Geländer, rutschsichere Treppen, Stolperschwellen und lose Teppiche entfernen, Hindernisse markieren, Haltegriffe montieren, überall gute Beleuchtung, dazu Kleidung und Schuhe anpassen usw.

Auch das Bett muss so gebaut sein, dass man ohne fremde Hilfe heraus oder hereinkommt, so lange wie möglich (nicht zu hoch, später vielleicht sogar für die Krankenpflege geeignet). Dazu bequeme, in diesem Fall jetzt ausreichend hohe Sessel mit stabilen Armlehnen, möglichst schon neben dem Bett usw.

Wichtig ist auch die Krankengymnastik, die das Gehen übt, die Körperhaltung korrigiert, Gelenkversteifungen vermeiden hilft sowie technische Unterstützungsmaßnahmen nützt (der Dreipunktstock, der den einfachen Gehstock ersetzt hatte, wird inzwischen nicht mehr als das Optimum angesehen; günstiger sind Gehwagen sowie in großen Räumen Handläufe, da wirkungsvoller und vor allem die Eigenständigkeit besser bewahrend).

Und am allerwichtigsten sind Geduld und eine dem reduzierten Tempo des Kranken angepasste Hilfestellung durch Angehörige und Pflegekräfte.

Mahlzeiten

Alzheimer-Kranke haben bisweilen aus verschiedenen Gründen die Kontrolle über ihr Nahrungsverhalten verloren: Manche essen zuviel, andere zuwenig. In jedem Fall soll man korrigierend eingreifen.

Beim "Zuviel" (insbesondere Süßigkeiten, Kuchen, Kekse) muss man allerdings auch daran denken, dass das Essen noch eine der wenigen verbliebenen Freuden sein kann. Im fortgeschrittenen Stadium braucht es dann auch Hilfe beim Essen, doch bleibt die bestmögliche Eigenständigkeit ein vorrangiges Ziel, selbst wenn es etwas mehr Aufwand bedeutet (Anleitung braucht mehr Einsatz als reines Füttern). Deshalb kommt es in den eigenen vier Wänden am Schluss auch weniger darauf an, dass "gepflegt gegessen wird", sondern dass der Betreffende es selber tut, selbst mit den Fingern.

Wichtig sind noch zwei Aspekte: Ein zu großes oder auch nur unübersichtliches Angebot an verschiedenen Speisen irritiert den geistig beeinträchtigten Patienten, weshalb manche schon deshalb weniger essen. Zudem ist bei vielen älteren Menschen die Schluck-Funktion gestört, d. h. sie schlucken mühsamer, sind eher auf leicht Durchgängiges oder Kleingeschnittenes angewiesen. Schließlich verschlucken sie sich häufiger und können dadurch eine Aspirations-Pneumonie (Lungenentzündung durch Verschlucken) bekommen, von der Erstickungsgefahr ganz zu schweigen. Deshalb folgende Tipps:

- Mahlzeiten immer im gleichen Umfeld (Raum, Mobiliar) und zur selben Zeit. Sich nicht neben oder hinter den Patienten, sondern vor ihn setzen, damit er alles sehen und nachahmen kann. Speisen-Auswahl beschränken und mundfertig anbieten.

- Ausreichend Ballaststoffe, Gemüse und Obst. Besteht dauernd Appetit, dann kalorien-günstigeres Obst bevorzugen. Kleine Portionen, appetitlich aufgemacht (das Auge isst mit). Selbständigkeit ist wichtiger als Konventionen (notfalls lieber Finger als Füttern - siehe oben). Bei Schluckstörungen das Essen pürieren und/oder flüssige Nahrung ("Astronautenkost", sogar auf Rezept) bevorzugen.

- Viel trinken lassen: Der ältere Mensch vergisst vor allem das Trinken und trocknet regelrecht aus. Warnhinweise: trockener Mund und Zunge, Hautfalte auf dem Handrücken bleibt lange stehen, wenn man sie abhebt (siehe später). Regelmäßige Flüssigkeitskontrolle.

- Alle Sinnesempfindungen sind im Alter herabgesetzt, wobei der Patient die schwindende Empfindung für kalt und vor allem heiß manchmal erst schmerzhaft registriert (Verbrennungsgefahr).

- Bei Alleinlebenden regelmäßig Lebensmittel und Kühlschrank kontrollieren: Vergiftungsgefahr durch verdorbene Lebensmittel.

- Bei ausgeprägten Schluckstörungen mit dem Arzt sprechen. Ggf. Ernährung über einen dünnen Schlauch, der über die Nase direkt in den Magen führt; es gibt sogar Magensonden durch die Bauchdecke. Die Bedienung ist leichter als man denkt (Fertigpackungen mit einer Spritze).

Kleidung

Auch bei der Kleidung gilt die alte Erkenntnis: Selbständigkeit ist wichtiger als adrettes Aussehen (wobei letzteres natürlich Stimmung und Selbstwertgefühl stabilisieren hilft). Deshalb möglichst lange das An- und Auskleiden in eigener Hand belassen, auch wenn es mehr Aufwand erfordert. Dasselbe gilt für den Wechsel der Unterwäsche. Dabei die Kleidung so weit als möglich vereinfachen.

Ansonsten empfiehlt sich: Kleidungsstücke in der entsprechenden Reihenfolge zurechtlegen. Vereinfachungen bevorzugen (Reiß- oder Klettverschlüsse sind günstiger als Knöpfe). Schuhe müssen nicht nur bequem, sondern auch rutschfest, einfach an- und ausziehbar sein. Helfen, aber nicht völlig entlasten, am besten spielerisch unterstützen.

Gerade die Kleidung kann vor ungeahnte Probleme stellen, wenn sich der Patient in seinem Selbstwertgefühl oder gar Stolz beeinträchtigt sieht ("Anziehen wie ein Kleinkind"). Das braucht viel Einfühlungsvermögen oder noch besser: Erfindungsreichtum - und kostet viel Kraft, die allerdings nicht verschwendet ist.

Besonders problematisch wird es bei Unterkleidung und Wäsche, die der Betroffene immer wieder anziehen will. Hier muss man das potentielle Streit-Objekt möglichst unauffällig entfernen, durch ein sauberes (vielleicht ähnliches) ersetzen und das alte im gewaschenen Zustand rasch wieder verfügbar halten.

Toilette

Der Toilettengang wird für viele Patienten ein Problem - und im Laufe der Zeit immer mühseliger. Schon im mittleren Demenz-Stadium kann es sein, dass man sie kaum mehr findet, vor allem nicht mehr rechtzeitig. Außerdem überfordert die selbst einfache Technik (Spülung, Toilettendeckel usw.).

Auch die Kleidung danach wird immer öfter kontrollbedürftig (verknöpft, verschmutzt). Dabei muss der Patient ggf. immer häufiger zur Toilette (z. B. Harnwegsinfekt mit scheinbar ständigem Harndrang). Ein völliger Kontrollverlust über Blase und Darm droht allerdings erst im fortgeschrittenen Krankheitsstadium.

Deshalb den Toilettengang soweit erleichtern wie möglich (siehe oben): offene Türen, rutschfeste Teppiche, wenig Stufen, nächtliche Beleuchtung, Schilder oder Pfeile (manche nutzen sogar ein Führungsseil, das nebenbei sogar der berühmte Philosoph Immanuel Kant dafür gebraucht haben soll ...).

Im Weiteren entsprechende Kleidung, die sich leicht öffnen und verschließen lässt. Auch sollte man auf die Körpersprache achten, in der sich mitunter (und dann immer gleich) ein Toiletten-Gang ankündigt. Vorsicht vor Harnwegsinfekten. Falls notwendig Inkontinenzvorlagen (auch auf Rezept). Blasenkatheter so lange wie möglich vermeiden (bequem für die Angehörigen, auf Dauer aber Entzündungsneigung). Gegen Abend die Flüssigkeitszufuhr begrenzen (nächtliche Toilettengänge mit vermehrter Sturzgefahr).

Darm- und Blasenstörungen

Störungen von Stuhlgang und Blasenentleerung sind nach einiger Zeit nicht ungewöhnlich und gehören ab dem mittleren, spätestens aber im fortgeschrittenen Krankheitsstadium zur Norm. Die Harninkontinenz ist dabei häufiger und geht in der Regel der Stuhlinkontinenz voraus.

Bei Harninkontinenz sind z. B. Harnwegsinfektionen, bestimmte Frauenleiden und bei Männern die Vergrößerung der Prostata, bei Stuhlinkontinenz Verstopfung, Darminfektionen u. a. abzuklären.

Aber auch auf Verwirrtheitszustände achten (nicht zuletzt durch Überdosierung, Neben- oder Wechselwirkungen bestimmter Medikamente).

Bei Darmverstopfung grundsätzlich den Arzt konsultieren und nicht Abführmittel in eigener Regie einsetzen, die - gerade im höheren Lebensalter - zu ernsteren Stoffwechselstörungen und zuletzt zu einer anhaltenden Darmträgheit führen können.

- DAS ERSCHWERTE MITEINANDER

Die wichtigsten Symptome der Alzheimer´schen Krankheit wurden bereits aufgeführt. Das liest sich leicht - und lebt sich mühsam. So hört man von geistigen Leistungseinbußen, vor allem Störungen von Gedächtnis, Denken und Sprache, was sich vielleicht noch am ehesten ertragen lässt. Noch zermürbender sind bisher ungewohnte Veränderungen des Verhaltens, die das Zusammenleben z. T. unendlich erschweren. Denn Argwohn, Misstrauen, Niedergeschlagenheit, Unsicherheit, Minderwertigkeitsgefühle, schließlich Unruhe, Reizbarkeit, Aggressivität, am Schluss Schlafstörungen mit nächtlichem Umhergeistern, Sinnestäuschungen und wahnhaften Reaktionen, das alles will ertragen sein, Tag für Tag, Nacht für Nacht, für viele Angehörige ohne entlastende Pausen. Was heißt das im einzelnen:

Miss-Stimmung, Reizbarkeit, Aggressivität

Wenn sich manche fragen, warum der Kranke ausgerechnet ihnen gegenüber so gereizt oder gar aggressiv reagiert, und zwar ohne ersichtlichen Grund, obwohl sie sich doch so bemühen, dann ist die Antwort einfach: Sie sind der Nächste. Es trifft meist den engsten Angehörigen, der es zudem am wenigsten verdient hat, zumal er sich am stärksten engagiert. Und der ist dann natürlich besonders bestürzt, frustriert, gekränkt oder wütend.

Eine der in letzter Zeit am häufigsten gebrauchten Fachbegriffe ist das so genannte Burnout-Syndrom (Stichworte: erschöpft - verbittert - ausgebrannt). Zwar ist es noch nicht in die Klassifikationen der medizinisch weltweit tonangebenden Institutionen eingegangen (z. B. Weltgesundheitsorganisation - WHO), zermürbt aber dafür einen wachsenden Bevölkerungsanteil ("Schwelbrand der modernen Zivilisation").

Früher meinte man die am häufigsten betroffenen Berufe von "Anwalt bis Zahnarzt" identifizieren zu können, merkte aber auch sehr rasch, dass es vor allem die "helfenden Berufe" waren, die einer besonderen Zermürbung ausgesetzt sind, also beispielsweise Schwestern, Pfleger u.a. Dies ist sicher richtig, doch einen helfenden und pflegenden Beruf hat man bis heute vergessen in die Statistik einzubeziehen: die Töchter und Schwiegertöchter und anderen Familien-Angehörigen, die einen alten, ggf. dementen Patienten zu Hause (!) pflegen müssen.

Oder kurz: Das Burnout-Syndrom ist zwar den Betroffenen als Leidensbild meist nicht bekannt, dürfte aber gerade in diesen Kreisen am Folgeschwersten wüten.

Hier gilt es sich selber rechtzeitig zu "retten", d. h. man muss sich vor allem vor Augen halten:

Die meisten dieser unangenehmen Emotionen oder überschießenden Affekthandlungen resultieren aus einem Konflikt zwischen dem, was der Patient überblicken kann und den realen Verhältnissen, die er einfach nicht mehr zu erfassen vermag. Er ist also dauernd überfordert, irritiert oder bedrängt von Situationen, die nur den anderen alltäglich erscheinen. Oder er fühlt sich durch irgendeine Bemerkung, Handlung oder Situation bevormundet, gedemütigt, beeinträchtigt - und setzt sich zur Wehr. An Auslösern mangelt es nicht: Wecken, An- und Auskleiden, Bad, Toilette, Essen, Trinken, Spaziergänge, Besuche, Fernsehen usw.

Manchmal fühlt sich der Kranke in eine frühere Zeit zurückversetzt und reagiert fassungslos, traurig oder zornig, wenn man ihn korrigieren muss. Problematisch ist auch die Reizüberflutung, die junge Menschen am besten, Erwachsene schon nicht mehr so locker, Ältere am wenigsten tolerieren: Licht, Gerüche, vor allem aber Geräusche, was zu überschiessenden Reaktionen führen kann, bis hin zu plötzlicher (Angst-)Aggressivität. Auch ständige Anweisungen und Forderungen, selbst lediglich notwendige Erklärungen bringen sie rasch an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit. Was muss man wissen, was gilt es zu tun?

Als erstes soll man - so gut es geht, da muss man realistisch bleiben -, nicht betroffen, frustriert, gekränkt, resigniert oder wütend reagieren. Denn die unverständliche Wesensart des Patienten richtet sich nicht gegen diesen oder jenen, auch wenn es so aussieht, sondern ist die generelle Folge von Verunsicherung, Hilflosigkeit und damit Deprimiertheit, Resignation, ohnmächtigem Zorn oder ängstlich-aggressiven Reaktionen. Hinter allem steckt viel mehr Verzweiflung, als der Ausbruch ahnen lässt. Der Patient ist nicht nur der Schwächere (auch wenn er sich bisweilen tyrannisch aufführt), er ist sogar verloren, wenn sein Betreuer ihn nicht mehr umsorgen will oder kann. Das ahnt selbst ein Alzheimer-Kranker, was seine Situation noch verschärft.

Natürlich muss man für ein Mindestmaß an Dialog, Korrektur und auch Konsequenz sorgen, aber ständige Vorhaltungen führen zu nichts. Der Patient vergisst ja alles schnell und versteht schon kurz danach nicht mehr, warum sich die anderen so verdrossen verhalten. Da ist es besser, man versucht ihn abzulenken und verzichtet auf alle Argumente, die zwar stichhaltig sind, aber nichts nützen, weil er es nicht mehr begreifen kann (trotz vielleicht guter Fassade). Ablenken heißt Musik hören oder Fernsehen schauen lassen, im Garten sitzen u. a.

Wenn sich die Aggressionen aber häufen und damit die Atmosphäre langsam vergiften, soll man nicht auf medikamentöse Hilfe verzichten. Das sind vor allem die beruhigenden, angstlösenden und sogar ein wenig stimmungsstabilisierenden Tranquilizer vom Typ der Benzodiazepine, die - am besten in Tropfenform und damit in niedrigster Dosierungsmöglichkeit - für eine Entspannung sorgen - chemisch zwar, aber allseits entlastend. Benzodiazepin-Tranquilizer wirken ja auch gelegentlich anti-aggressiv.

Aber, so geben die Experten, also die Geronto-Psychiater zu bedenken:

1. Beruhigungsmittel vom Typ der Benzodiazepine nur kurzfristig wegen ihrer meist langen Halbwertszeit, d.h. das Medikament wird nur langsam im Organismus abgebaut und kann, wenn die Halbwertszeit länger als 24 Stunden dauert, und das ist bei vielen Präparaten der Fall, zur Kumulation führen, d.h. es erhöht sich unmerklich der Wirkspiegel im Blut, ohne dass der Patient die Dosis erhöht hat.

2. Bevor man deshalb Medikamente, insbesondere Beruhigungsmittel verordnet, sollten grundsätzlich folgende Fragen geklärt werden:

- In welcher Situation tritt die Aggression auf?
- Handelt es sich beispielsweise um Verkennungen von Personen, Gegenständen oder Situationen, entweder durch wahnhaftes Verkennen oder einfach durch Nicht-Erkennen der an sich vertrauten Person oder Situation.
- Viele, selbst objektiv schwer dementiell Erkrankte fühlen sich subjektiv nicht krank, ja sogar leistungsfähig, kontaktfreudig, ohne ernstere Beschwerden, vor allem aber selbstständig und keinesfalls hilfsbedürftig. Deshalb werden - aus der Sicht des Patienten nachvollziehbar, für das Umfeld aber mitunter überaus erschwerend - jegliche pflegerische Maßnahmen abgelehnt, was natürlich vor allem Medikamente betrifft. Das aber ist dann auch oft die Hauptsache der vor allem für alle Uneingeweihten irritierenden-aggressiven Reaktionen oder gar Durchbrüche.

Das sind die wichtigsten Aspekte im Vorfeld einer Tranquilizer-Behandlung. Dazu kommt ein Argument, das am häufigsten bemüht wird und natürlich auch etwas für sich hat: Es ist die auch im höheren Lebensalter und selbst durch gleichbleibend geringe Dosierung drohende seelische und körperliche Abhängigkeit von diesen Beruhigungsmitteln (Stichwort: Niedrig-Dosis-Abhängigkeit). Sie ist allerdings dann in Kauf zu nehmen, wenn es nicht anders geht.

Eine Alternative sind beruhigende Pflanzenheilmittel, vor allem Baldrian, Hopfen, Melisse und Passionsblume (meist als Kombinationspräparat) sowie angepasst, d. h. in der Regel ebenfalls niedrig dosierende niederpotente Neuroleptika (Antipsychotika). Beide führen zu keiner Abhängigkeit, haben aber ihre eigenen Nebenwirkungen (sogar die Pflanzenmittel) und wirken gerade, was die angstlösende Sofort-Wirkung anbelangt oft nicht so befriedigend, wie die gerne gescholtenen aber bei vernünftigem Einsatz nach wie vor unverzichtbaren Beruhigungsmittel.

Und sollte dem einen oder anderen Angehörigen einmal der Kragen platzen, dann ist es besser, man führt diese sicher begründeten Gefühlwallungen außerhalb der Wohnung ab, sei es durch einen Spaziergang, eine Radtour, den Besuch bei guten Freunden usw. Körperliche Aktivität ist hier am hilfreichsten, weil sie seelisch und körperlich entkrampft und entlastet.

Wenn man zurückkommt, stellt man dann meist fest, dass der Patient schon alles wieder vergessen hat, womit eine Szene zu Hause noch sinnloser gewesen wäre. Dafür kann man dann gezielter herauszufinden suchen, was seinen Zorn provoziert hat: Wurden Gefühle von Scham, Ehre oder Stolz verletzt? Fühlte er sich überfordert und damit gereizt-hilflos? War die Situation zu komplex für ihn, so dass er nur noch in unkontrollierbare Gefühlsreaktionen ausbrechen konnte?

Verständigungs-Probleme?

Unsere zwischenmenschlichen Kontakte laufen auf verschiedenen Ebenen ab. Das wichtigste aber ist zum einen unser Sprachverständnis (was sagt und meint der andere), zum anderen unser sprachliches Ausdrucksvermögen. Beides leidet im Rahmen einer Alzheimer-Krankheit immer stärker. Die Folge: Verständigungs-Probleme. Die Konsequenz sind aber nicht nur Verständigungs-Schwierigkeiten, sondern etwas, das noch viel schlimmer ist, nämlich eine drohende Entfremdung. Man darf nicht vergessen: Selbst die Sprache ist nur zum kleineren Teil Information, zum größeren zwischenmenschliche Beziehung. Wer also den sprachlichen Kontakt einbüßt, verliert auch nach und nach den zwischenmenschlichen - und damit letztlich alles.

Im frühen Demenz-Stadium sind es "lediglich" kleine Äußerlichkeiten: Die Sprache wird ungenauer und umständlicher. Manchmal findet man nicht mehr die treffenden Wörter. Am Anfang kann man diesen Mangel noch umschreiben ("na, das Dingsda"), später lässt auch das nach.

Besonders zu Beginn sind solche Sprachschwierigkeiten natürlich peinlich. Der Patient zieht sich zurück, vor allem außerhalb der eigenen vier Wände. In der Familie weiß man ohnehin noch lange, was der Kranke selbst im fortgeschrittenen Stadium eigentlich aussagen will; man ist auch nonverbal (ohne Worte) aufeinander gut eingestellt.

Was man aber nicht soll, wie bei anderen Aktivitäten auch: sofort einspringen, wenn einmal das richtige Wort fehlt. Zum einen ist es natürlich die schmerzliche Bestätigung der Unfähigkeit. Zum anderen kann man sich daran gewöhnen und verliert durch mangelndes Training immer mehr an Kondition, wie im Sport.

Dafür soll man im Umgang mit Alzheimer-Kranken die alte Erkenntnis nutzen, dass nur etwa die Hälfte der Mitteilungen rein sprachlicher Natur sind, der Rest durch Mimik, Gestik und die Körpersprache vermittelt wird. Also muss man immer stärker diese nicht-sprachlichen Formen nutzen, was auch den anderen Sinnesfunktionen zugute kommt.

Im Übrigen gilt es wieder die bekannten Erfahrungen zu beherzigen:

Deutlich und langsam sprechen. Einfache und kurze Sätze bilden. Keine Schachtelsätze und komplizierte Wendungen. Nicht zuviel Informationen auf einmal. Mimik, Gestik und Körpersprache einsetzen.

Das ist vor allem im Anfangsstadium wichtig, im fortgeschrittenen Krankenverlauf reicht es vielleicht schon nicht mehr. Jetzt drohen Wortverdrehungen, falscher Satzbau, unvollständige Sätze, d. h. vermehrte Unverständlichkeit. Die Konsequenz: verstärkt nicht-sprachliche Formen nutzen (siehe oben).

Jetzt kann es sogar notwendig werden, die nicht (mehr) korrekt ausdrückbaren Äußerungen oder Wünsche mit wenigen eigenen Wörtern zu rekapitulieren. Damit kann man dem Kranken gezielt helfen, seine Wünsche zu kontrollieren und ggf. zu korrigieren, was ihn bewegt.

Im Endstadium verliert die Sprache dann aber ihre verbindende Kraft. Allerdings - und das soll man nie vergessen - bleibt der Patient nach wie vor für Gefühlsäußerungen empfänglich. Zwar kann er sich nicht mehr korrekt ausdrücken, ist aber deshalb noch lange keine "leere Gemüts-Hülse", im Gegenteil. Sprachlich gleichsam abgeschnitten sein und schließlich am Schluss aus Scham und Resignation zu verstummen, ist eine schwere Bürde, zumal man auch diesen Kummer nicht adäquat äußern kann.

Im Übrigen soll man im Laufe dieser fortschreitenden Kontakt-Einbußen noch auf folgendes achten: störende Hintergrundsgeräusche (Radio, Fernseher, Gespräche, Straßenlärm usw.) ausschalten. Fenster oder Türen schließen. Sich noch einfacher ausdrücken als zuvor. Und sich trotz aller Verständigungsprobleme immer vor Augen halten, dass es kein Kind ist, mit dem man spricht. Und insbesondere nicht in Gegenwart von Dritten so tun, als wäre der Betroffene gar nicht vorhanden (wie das ja mit Kindern gerne gemacht wird, woran man sich später als Erwachsener mit Befremden erinnert).

Schlafstörungen

Schlafstörungen nehmen mit dem Alter zu. Mindestens die Hälfte, wahrscheinlich zwei Drittel aller Senioren klagen auf direktes Befragen über Ein- und vor allem Durchschlafstörungen bzw. den unbefriedigenden "dünnen" oder "oberflächlichen" Schlaf. Spätestens im mittleren Krankheitsstadium einer Demenz kommt es dazu noch zu Verschiebungen, manchmal zu einer völligen Umkehr des Tag-Nacht-Rhythmus. Dafür gibt es verschiedene Gründe:

- Zum einen ist es die so genannte "innere Uhr", die sich verschoben hat (wie z. B. bei Depressionen und manischen Zuständen auch).

- Zum anderen ist es der Verlust der "äußeren Zeitgeber": Das sind nichts anderes als die natürlichen, alltäglichen Hinweise, Regeln, Gewohnheiten und sogar Belastungen, die einen an die Tages- und nahende Nachtzeit erinnern: Glockenschlag, Armbanduhr, Tageslicht, zeitgebundene Aktivitäten wie Frühstück, Mittag- und Abendessen, Spaziergänge, Einkaufen usw. (der wichtigste Rahmen: der Berufsalltag, ist ja schon entfallen).

Während einer Demenz aber gilt oft: tagsüber oft dösig, nachts nicht selten wach, bisweilen sogar hellwach, was dann dazu führt, dass in der Wohnung "herumgegeistert" oder im Kühlschrank nach etwas Essbarem gesucht wird. Auf was soll man achten?

Tagesablauf strukturieren. Leistungsermüdung (täglicher "Gesundmarsch") in Gang halten. Geistige Aktivierung (Besuch, Lesen, Radio, Fernsehen) und zwischenmenschliche Kontakte fördern (Einsamkeit). Auf ausreichende Trinkmenge achten. Mehrfache Nickerchen am Tag berücksichtigen (führt mit dem manchmal als unzureichend empfundenen Nachtschlaf zu mehr Schlafzeit als früher!). Kreislauf stabilisieren (ggf. die berühmte, "paradox" wirkende Tasse Kaffee vor dem Schlafengehen?) usw.

Innere Unruhe

Viele Alzheimer-Patienten gehen rastlos auf und ab, rütteln an den Türklinken, wandern von Zimmer zu Zimmer, verirren sich in den Gängen, versuchen die Wohnung oder Krankenstation zu verlassen usw.

Die Ursachen sind mehrschichtig: Zum einen ist die innere Unruhe ein Teil der krankhaften Getriebenheit, zum anderen Ausdruck der Orientierungslosigkeit (und zwar nicht nur durch die beeinträchtigten Sinnesorgane, auch seelisch, geistig und körperlich). Und schließlich weil zielgerichtete Handlungsabläufe nicht mehr möglich sind. Da aber der Impuls, noch irgendetwas zu tun, weiter umtreibt, kommt es zu der bekannten ziellosen Unruhe.

Manche Wiederholungen sind auch den Gedächtnisstörungen anzulasten. Wenn man nach wenigen Minuten vergessen musste, was man gerade zuvor gemacht hat, dann ist die Wiederholung unumgänglich, denn sie ist nur nach außen, also für den Uneingeweihten sinnlos.

Natürlich kann das auch Ausdruck einer Unterbeschäftigung sein. Deshalb gilt es möglichst früh herauszufinden, ob eine vermehrte Beschäftigung solche Unruhe-Zustände zu reduzieren vermag. Das hat natürlich seine Grenzen, weshalb man den Patienten am besten in die ohnehin gewohnten Alltagabläufe einbinden sollte.

Das Gleiche gilt für eine kontinuierliche Ablenkung. Günstig sind auf jeden Fall ausgedehnte Spaziergänge, weil sie zu einer natürlichen Ermüdung führen und die innere Unruhe oder gar Getriebenheit auf direktem Wege abführen.

Vor allem empfehlen die Experten angesichts eines zunehmenden Angebots den Erkrankten nicht nur rechtzeitig, sondern später auch regelmäßig in spezielle Tagesbetreuungen zu vermitteln. Denn dort genießt er ein adäquates Betreuungs-Angebot unter anderen Kranken und ist vor allem nicht alleine (Ablenkung, Anregung, Spaß).

Orientierungs-Störungen

Orientierungs-Störungen zu Zeit, Ort und schließlich sogar zur eigenen Person sind - je nach Krankheitsstadium - die Regel.

Das ist vor allem für Störungen der örtlichen Orientierung ein zuerst peinliches, später deprimierendes Phänomen. Meist fällt es zuerst in unvertrauter Umgebung auf, d. h. auf Reisen, im Hotel, selbst am alten Urlaubsort: Stadtviertel, Straßen, Gebäude, schließlich Hotel, Stockwerke, Zimmer.

Später häuft sich dies auch in vertrauter Umgebung, schließlich am Wohnort, zuletzt sogar in den eigenen vier Wänden. Was kann man tun?

Im Vorfeld der Orientierungsstörung gilt es allseits selbstkritisch zu fragen: Sind Geschäfts- oder Urlaubsreisen, Kuraufenthalte oder sonstige Fahrten zu Verwandten allein (!) noch sinnvoll bzw. verantwortbar? Können Sinn oder Genuss durch solch ängstigende, ratlos machende oder auch einmal folgenschwere Desorientierungen nicht ins Gegenteil verkehrt werden?

Natürlich soll man trainieren, so lange und so gut es geht. Aber Training mit Absicherung ist nach einiger Zeit sinnvoller als allzu unkritisches oder selbstherrliches Vorgehen.

Vor allem aber gilt eines, auf das die Experten immer wieder hinweisen: Wenn das Training zur ständigen Überforderung zu werden droht und damit zum zermürbenden Erleben des unaufhörlichen Versagens, dann sollte man besser darauf verzichten oder noch günstiger: Das Anforderungs-Niveau anpassen.

Ansonsten gilt es sich so viele Orientierungs-Stützen zu schaffen, wie irgend möglich: Fixpunkte, die man sich nachhaltig einzuprägen versucht, notfalls schriftlich. Und sich nicht schämen, soviel als möglich zu fragen. Dazu gezielt platzierte schriftliche Informationshilfen. Vor allem aber zeitliche Reserven einplanen.

Und - selbst das lässt sich trainieren - Gelassenheit und eine Prise Humor, selbst wenn es schwer fällt.

Und wenn die Lage immer enger wird? Jetzt müssen die Angehörigen planen, organisieren und absichern helfen: deutlich lesbare Schilder an den Türen zu Schlafzimmer und Toilette; nachts eine Notbeleuchtung, noch besser ein Bewegungsmelder, der das Licht automatisch einschaltet.

Für hilflose Reaktionen außerhalb der Wohnung empfehlen sich die berühmten zahlreichen Zettel oder eingenähten Schilder mit Namen, Adresse, Telefonnummer usw. Das Gleiche erreichen ein präpariertes Armband oder eine Kette mit den wichtigsten Angaben.

Neuerdings gibt es sogar Mobiltelefone mit Bestimmungsmöglichkeit des Standorts und direkter Verbindung zu einer Notrufzentrale. Informationen dazu über die Alzheimer-Gesellschaften (siehe dort auch die Internet-Hinweise zum Thema: Technische Hilfen bei Alzheimer-Krankheit).

Notfalls muss man bestimmte Türen, insbesondere die Haustüre (möglichst unbemerkt) so sichern, dass der Patient sie nicht mehr alleine öffnen und damit das Haus verlassen kann.

Auch kann es nicht schaden, die Nachbarn dezent zu informieren. Glücklicherweise ist gerade die Demenz und insbesondere "die Alzheimer-Krankheit" ein inzwischen so bekanntes Phänomen, dass man sich manche Details sparen kann.

Dabei ist die Bemerkung, dass der Patient weder verrückt noch gefährlich ist, zwar entbehrlich, aber über die gelegentliche und harmlose Verwirrtheits-Zustände sollte man wenigstens die engsten Mitbewohner so ausreichend informieren, dass sie sich im Bedarfsfalle auch zu helfen getrauen. Vage Andeutungen oder gar nichts äußern, später aber vorwurfsvoll reagieren, pflegt die Atmosphäre nur zu trüben - und zwar vor allem zu Lasten des Patienten.

Und wenn der Kranke schließlich aus der Wohnung drängt oder bereits unterwegs ist, so gilt es möglichst flexibel zu bleiben. Sinnvollerweise sollte man ihn nicht sofort zurückzerren, sondern den Weg, den er einschlagen will, erst einmal eine Weile begleiten, um ihn dann nach und nach wieder um- und schließlich nach Hause zurückzulenken. Dabei kann es für alle Beteiligten zweckmäßig sein, diesen Ausflug nicht vorwurfsvoll und schimpfend, sondern als Trainings-Strecke zu nutzen, d. h. auf wichtige Fixpunkte zu verweisen, anhand derer die Rückkehr vielleicht sogar alleine möglich werden könnte.

Leben in der Vergangenheit

Neues aufzunehmen, zu speichern und zu behandeln, wird im Alter immer schwieriger. Dafür pflegt man sich erstaunlich detailliert an frühere Zeiten zu erinnern: Namen, Sachen, Ereignisse usw.

Dasselbe gilt für den Alzheimer-Kranken, wenn auch ggf. in grotesker Form. Denn der erinnert sich nämlich nicht nur an alte Zeiten, er kann auch darin zu leben beginnen, während er die letzten 30 bis 40 Jahre vergessen hat, und damit möglicherweise auch alle Bezugspersonen.

Da natürlich nichts mehr ist, wie es war (selbst in der Wohnung der Eltern, die vielleicht nie verlassen wurde), ist der Betroffene ständig auf der Suche: nach früheren Einrichtungen, Ausblicken, Personen, z. B. Großeltern, Eltern oder Geschwister. Man sucht die alten Ablagen, den früheren Arbeitsplatz (in der Küche, im Hobby-Keller), vielleicht will man sogar an seine alte Arbeitsstelle zurück - kurz: So mancher Alzheimer-Kranke lebt inzwischen in einer anderen Welt, ebenfalls nicht (mehr) in seiner doch scheinbar so vertrauten Umgebung.

Das kann Nachsicht, Geduld und Toleranz auf eine harte Probe stellen. Denn selbst wenn die meisten wissen oder zumindest ahnen, was sich hier krankhaft abspielt, so ist es doch mitunter schwer, diese beiden Welten in Einklang zu bringen. Vor allem weil der Patient seinen Standpunkt nicht aufgibt bzw. treffender: nicht aufzugeben vermag.

Deshalb sollte man diese "ver-rückte" (im wahrsten Sinne des Wortes) Sichtweise akzeptieren lernen. Wer sie unflexibel zu korrigieren versucht, selbst sanft, aber kompromisslos, schafft meist nur Verwirrung. Und vor allem: Ständiges Korrigieren beschämt den Kranken, macht ihm Angst und er verliert das Vertrauen in sich und andere. Was hier gefragt ist, ist nicht Verständnis des Patienten für unsere Welt, der gesunden, sondern Verständnis von uns für die nun eben nicht mehr korrigierbare "Welt" des Kranken.

Und wenn es Schwierigkeiten gibt, dann ist eben Phantasie gefragt. Dann muss man Ausreden suchen, die auch im Alltag Geltung haben ("heute musst Du doch erst später zur Arbeit gehen" oder: "heute ist doch gar kein Arbeitstag, erst morgen wieder"). Das ist nicht lächerlich gemacht, das ist eine sinnvolle Ablenkungs-Strategie, wenngleich aus der Not geboren, die für den Augenblick durchaus hilfreich sein kann. Und danach folgt ja ohnehin wieder das rasche Vergessen.

Wer hier anderer Meinung ist oder gar ein unwürdiges Verhalten unterstellt, der soll eine bessere Lösung vorschlagen (aber nur, wenn er über eigene Erfahrungen verfügt). Überhaupt ist und bleibt es wichtig, den Verwirrten nicht zu blockieren, sondern ab- oder umzulenken. Das erleichtert die Betreuung und trainiert den Patienten.

Das ständige Suchen und die krankhaften Diebstahl-Vorwürfe

"Wer sein Gedächtnis verliert", ist stets auf der Suche nach etwas.

Außerdem gewinnen im höheren Alter - auch ohne Alzheimer-Krankheit - die unmittelbaren Dinge des Lebens eine besondere Bedeutung. Sie sind entweder Besitz, Hilfe, Tradition oder Gewohnheit, sie gehören einfach dazu. Und wenn sie nicht mehr auffindbar sind, dann drohen Ratlosigkeit, Unruhe, Trauer, ja Panik. Dazu gehören Brille, Stock, Geldbeutel, Brieftasche, Schlüssel, Photos, Schriftstücke usw. Ihnen allen kommt ein viel größere Bedeutung zu als bei Gesunden (die sich beim Verlust von Brieftasche, Schlüssel oder Geldbeutel auch nicht gerade wohlfühlen).

Außerdem vergewissern sich die Patienten durch dauerndes "Herumkramen" in ihren Taschen, dass sie noch alles haben. Manchmal aber verlegen sie es (gerade deshalb), finden es nicht wieder, geraten in Aufregung oder - eine weitere und sehr unangenehme Variante -, sie beschuldigen andere, diese Gegenstände entwendet zu haben. Denn sie wissen nicht mehr, dass sie den Gegenstand selber "versteckt" oder verlegt haben, können sich an nichts mehr erinnern und suchen deshalb für all das, was sie zudem noch schrecklich aufregt, eine Erklärung. Und die ist, zu Hause und besonders in einem Heim zwar unangenehm, aber naheliegend: "Man hat mich bestohlen".

Solche "Verwirrtheits-Anklagen" können die Atmosphäre rasch vergiften, manchmal sogar dauerhaft. Denn ein unter "normalen" Bedingungen derart absurder Vorwurf fällt tief, selbst wenn man über die Hintergründe Bescheid weiß. Und wenn man nach dem soundsovielten Male nicht mehr reagiert, dann kann die Situation schon deshalb eskalieren, weil sich der Patient nicht nur bestohlen, sondern auch noch nicht respektiert, ja lächerlich gemacht fühlt. Was muß man tun?

Das Grundbedürfnis jedes Menschen ist ein ausreichender Überblick über seine jeweilige Situation und damit der entscheidende Faktor, und der heißt Sicherheit. Diesem Grundbedürfnis dient die auch im Alltag ständige Suche nach Absicherung. Natürlich ist es leichter, im Vollbesitz seiner Kräfte gelassen zu bleiben, weil man alles mit einem Blick übersieht und damit im Griff hat.

Beim Alzheimer-Kranken ist es anders, geblieben ist das ständige Suchen. Und das kann durchaus eine sinnvolle Beschäftigung sein, denn wenn man findet, was man gesucht hat, ist man zumindest für kurze Zeit wieder zufrieden.

Diesem Trainingseffekt entspricht auch der Rat, die verlegten Gegenstände nicht selbst zu finden und möglichst noch ungehalten auf den Tisch zu knallen, sondern den Patienten finden zu lassen. Das ist leicht zu arrangieren und stärkt sein Selbstvertrauen (ansonsten bestätigt es sein Misstrauen, nämlich erst unter Protest seinen Besitz wieder zurückbekommen zu haben).

Auch soll man niemals mit dem Betroffenen streiten, denn er sieht das alles - krankheitsbedingt - anders als die anderen. Besser, man lenkt ihn ab. Handelt es sich allerdings um wichtige Gegenstände, vor allem Dokumente, dann sollte man sie an einem sicheren Ort aufbewahren. Nicht verändern sollte man dagegen jene Bezugspunkte, auf die der Patient angewiesen ist: Vertrautes bleibe vertraut. Und: Zu Hause bin ich dort, wo ich alles selber öffnen darf, also auch Schubladen, Türen u.a.

Und ein letzter Punkt zum Problem "Diebstahl" sei noch angeführt, worauf besonders die Geronto-Psychiater immer wieder hinweisen: Es ist ein Aspekt, der die gesamte Seelenheilkunde und damit auch die psychischen Störungen der alten Menschen durchzieht, ja besonders dort belastet, wenngleich wohl am wenigsten berücksichtigt: die Scham. Die Betroffenen schämen sich über ihre geistigen Einbußen, ihre seelischen Störungen, ja ihre körperlichen Beeinträchtigungen. Und das ist auch nicht anders bei dem ständigen Verlieren und Verlegen. Die Scham sagt: "Das kann nicht wahr sein, dass ich die Geldbörse verloren habe, und das schon zum x-ten Mal, also wurde sie mir geklaut". Dadurch führt die Beschämung über den psychodynamischen Vorgang der Verleugnung (ich leugne etwas Unangenehmes, wenn auch unbewusst) zum paranoiden (wahnhaften) Erleben (man hat mich bestohlen). Diese wahnhafte Leugnung der Realität ist zwar unangenehm für die anderen, weil besonders hartnäckig und unkorrigierbar, doch hilft es vielleicht darüber hinweg zu wissen, dass sich der Betroffene damit fast schon verzweifelt versucht ein "kompetentes Selbstbild" aufrecht zu erhalten, oder allgemein verständlich: Ich bin wie die anderen, bin wie früher ich selber, es liegt nicht an mir oder gar einer Krankheit, es sind die äußeren Umstände (und dies eben bis hin zum Vorwurf des Diebstahls oder sonstiger Beeinträchtigungen).

Und deshalb ganz wichtig: Sich nie persönlich angegriffen fühlen, wenn man des Diebstahls oder sonstiger ungereimter Anklagen beschuldigt wird. Der Patient macht es nicht in böser Absicht (obgleich dies durchaus manchmal so erscheinen mag). Er ist verwirrt, ratlos, hilflos und verzweifelt. Er hat aus seinem Blickwinkel keine andere Wahl, selbst wenn er furchtsam ahnt, dass er sich mit einem solchen Vorwurf unmöglich macht oder um Sympathie und Unterstützung bringt.

Sexuelles Verhalten

Die Sexualität ist ein komplexes Phänomen im Leben der Menschen, in dem vor allem - auch heute noch - mehr verschwiegen als ausdiskutiert wird. Das geht schon unter Gesunden so, das wird im höheren Lebensalter nicht besser, besonders im Falle einer Alzheimer-Erkrankung. Das kann die Beziehung zweier Menschen völlig auf den Kopf stellen.

Manche Partner empfinden deshalb schon im Vorfeld einer Demenz den Wunsch nach sexuellem Kontakt als unpassend, wenn nicht gar belastend. Viele machen sich deshalb auch Vorwürfe, doch das sollten sie nicht. Es ist schon schwer, den Alltag gemeinsam zu gestalten, noch schwieriger den sexuellen Kontakt. So etwas konnte man nicht lernen, man wurde überrollt und damit überfordert.

Etwas hilfreich ist vielleicht die Erkenntnis, dass in diesem ggf. befremdlichen sexuellen Verlangen auch der Wunsch nach Nähe, Geborgenheit, Beieinander und Angenommen-Sein steckt. Dies kann man auf jeden Fall erfüllen, vielleicht ergibt sich daraus später wieder ein halbwegs normales sexuelles Erleben.

Das pflegt sich dann im fortgeschrittenen Stadium allerdings zu ändern. So kommt es nicht selten zu einer Enthemmung sexueller Wünsche. Das kann sich beispielsweise in einem unangemessen freizügigen oder gar fordernden sexuellen Verhalten äußern, und zwar sowohl dem Partner als auch weiteren Personen gegenüber (sonstige Angehörige, Freunde, Nachbarn, ja sogar Fremde). Hier muss man sich dann mit seinem Arzt besprechen.

Ansonsten gilt: Eine gewisse Distanz und auch getrennte Zimmer können durchaus hilfreich sein. Doch sollte man nicht alle Wünsche brüsk ablehnen, sondern eher - wie auf anderen Gebieten auch - behutsam ablenken. Und vieles kann man dadurch mildern, dass man die Zärtlichkeit in den Vordergrund stellt, also Umarmungen, Streicheln, Massage, Hand-Halten, sanfte Bemerkungen u. a.

Die Sexualität allerdings, das sei nicht verschwiegen, kann durchaus ein belastender Prüfstein in der Partnerschaft mit einem Alzheimer-Kranken werden. Hier muss man ggf. versuchen, Zuwendung und Distanz in einem tragbaren Gleichgewicht zu halten. Und sich gemütsmäßig dadurch stabilisieren, dass man die Sexualität nicht überbewertet, sondern als einen normalen Aspekt des menschlichen Miteinanders betrachtet, der im Rahmen eines hirnorganischen Abbaus seine eigene Ausdrucksform (man muss es nicht gleich Symptome nennen) entwickeln kann.

Und noch auf einen anderen, eher peinlich wirkenden Aspekt weisen vor allem die Geronto-Psychiater, Geronto-Therapeutinnen, Schwestern und Pfleger hin: Im Krankenhaus oder Heim verkennen die Dementen oft andere Menschen als ihre Ehepartner, tauschen bisweilen sogar Zärtlichkeiten aus, manchmal sogar, wenn der eigene Partner zu Besuch ist. Auch dies sollte, wenn es auch nachvollziehbar schwer fällt kein Anlass zu Betroffenheit oder gar Vorwürfen sein. Man muss dieses Verhalten einfach aus der Sicht der Verwirrten zu sehen versuchen.

Niedergeschlagenheit

Traurig, resigniert, niedergeschlagen, das muss noch keine Depression von Krankheitswert, das können alltägliche Verstimmungszustände sein. Die aber vermögen die Lebensqualität durchaus zu beeinträchtigen, können mutlos, ratlos, ja hoffnungslos und hilflos machen. Dies vor allem im höheren Lebensalter und im Rahmen einer Demenz im Besonderen.

Man sagt: Mindestens ein Drittel aller Alzheimer-Patienten leidet unter dieser "Herabstimmung", bis hin zu Lebensüberdruss und Todeswünschen. Das ist im frühen und mittleren Krankheitsstadium besonders ausgeprägt, weil der Betroffene dort die Einbußen am stärksten empfindet.

Die Gründe sind naheliegend: Fast alles, was das Leben lebenswert macht, insbesondere eine Bestätigung darstellt, beginnt "wegzubrechen": der Erfolg im Beruf, die Anerkennung in der Familie, vielleicht sogar die Familie selber, die kleinen Bestätigungen im Alltag usw. Stattdessen häufen sich Unfähigkeit, Behinderung, Peinlichkeiten, Beeinträchtigungen und Misserfolge.

Ist die Niedergeschlagenheit durch Enttäuschungen oder eine Überforderung ausgelöst, dann ist sie von begrenzter Dauer. Pflegt sie jedoch länger anzuhalten und selbst durch erfreuliche Ereignisse nicht mehr aufhellbar zu sein, dann muss man an eine beginnende Depression denken. Was ist zu tun?

Als erstes muss man sich um Verständnis bemühen, d. h. man halte sich einfach diese deprimierende Entwicklung vor Augen: schwindende geistige und körperliche Kräfte, Rückgang der Kontakte, ständig konfrontiert mit Einbußen, Unfähigkeit und Misserfolgen, d. h. ein Scheitern von morgens bis abends.

Hat die Reaktion darauf noch kein krankhaftes Ausmaß angenommen, kann man noch manches erreichen, in dem man auch kleine Fortschritte registriert und immer wieder die Erfolge herausstreicht und lobend erwähnt, kurz: eine bestätigende Erlebniswelt fördert. Dann ist der Patient auch nicht auf Abwehr und Verleugnung angewiesen, die ja nur dazu da sind, ein im Grunde bereits brüchiges Selbstbild zu stabilisieren.

So ist es günstig, nach bestimmten Enttäuschungen, negativen Ereignissen, bedrückenden Nachrichten, nach Überforderungen oder anderen Gründen einer möglichen Niedergeschlagenheit zu suchen - und diese möglichst zu umgehen. Glücklicherweise ist die gedrückte Stimmung, im Gegensatz zur Depression als Krankheit, ein relativ überschaubares Phänomen, das darüber hinaus auch noch von der augenblicklichen Lage abhängt. Sie pflegt also nicht länger nachzuwirken und ist vor allem durch freudige Ereignisse korrigierbar.

Beginnt die Niedergeschlagenheit aber ernstere Ausmaße anzunehmen, alles zu verdüstern und hält über mehrere Wochen an, dann sollte man unbedingt einen Arzt konsultieren. Altersdepressionen im Allgemeinen und so genannte organische Depressionen, ausgelöst durch eine direkte Belastung des Zentralen Nervensystems, wie es die Alzheimer-Krankheit darstellt, können langwierig, für die Angehörigen mühselig und für den Betroffenen quälend werden. Hier pflegt eine rasche medikamentöse Behandlung (z. B. alters-verträgliche antidepressive Psychopharmaka) das Leidensbild zu mildern und ggf. abzukürzen.

Halluzinationen oder wirklichkeitsfremde Überzeugungen?

Ein Wahn ist die krankhafte Fehlbeurteilung der Wirklichkeit. Halluzinationen sind Sinnestäuschungen oder Trugwahrnehmungen, d. h. man sieht, hört, schmeckt, riecht oder fühlt etwas, das nicht objektivierbar ist.

Wahn und Sinnestäuschungen sind in jedem Lebensalter und durch verschiedene Ursachen möglich (z. B. Schizophrenie, bestimmte Rauschdrogen, Kopfunfälle, Hirntumoren u. a.). Auch im höheren Lebensalter ist das nicht selten.

Handelt es sich jedoch um grenzwertige Phänomene, die auch andere Ursachen haben können, so nennt man sie am besten wirklichkeitsferne Überzeugungen, ein neutraler und durchaus passender Begriff. Um was handelt es sich dabei?

Vor allem die eingeschränkte Fähigkeit, komplizierte Situationen zu überblicken und das herabgesetzte Vermögen, daraus logische Schlussfolgerungen zu ziehen, führen bisweilen zu wirklichkeitsfernen Vermutungen oder Überzeugungen. Das häufigste Beispiel ist die Verdächtigung, bestohlen worden zu sein, selbst von den engsten Angehörigen. Noch unfassbarer ist die ängstliche, ja zornige Überzeugung, die Angehörigen, Nachbarn oder Freunde seien fremde Personen, die sich nur verkleidet hätten, um in die Wohnung einzudringen. Auch die Verwechslung von Personen im Fernsehen mit tatsächlich anwesenden Menschen oder die Befürchtung, es seien Diebe in der Wohnung, sind nicht selten. So etwas macht natürlich Angst und führt zu unkalkulierbaren Reaktionen. Was kann man dagegen tun?

Als erstes muss man es zu verstehen suchen. Dann fallen einem auch Lösungsmöglichkeiten ein. Man wird nachsichtiger, flexibler, vor allem kann man auf eine nachvollziehbare, aber meist nur alles komplizierter machende Taktik verzichten: unnötige Diskussionen, heftige Gegen-Argumente und ständige Überzeugungsversuche. Der Patient behauptet dies alles ja nicht aus Trotz, Bosheit oder aus Freude am Widerspruch, er erlebt es hautnah, beunruhigend, ängstigend, ja quälend. Wer solche Reaktionen als Provokation empfindet oder auch nur durch "logische Gegenbeweise" zu lösen versucht, erschwert alles.

Natürlich soll man es auch nicht bestätigen, man kann es meist auch gar nicht auf sich beruhen lassen. Aber man kann den Patienten behutsam ablenken, durch sein Verhalten Sicherheit vermitteln, ihm signalisieren, dass er nichts zu befürchten hat, ihn durch Kontrollgänge oder andere gemeinsame Lösungsversuche wieder beruhigen.

Vor allem soll man nicht so unflexibel oder gar unsensibel sein, und alles "genervt" oder gar verbittert infrage zu stellen, was hier an "Ver-rücktheiten" vorgebracht wird. Denn sonst schweigt der Patient vielleicht nur betroffen - und ängstigt sich im geheimen.

Also alles erzählen lassen, was er sieht und fühlt, selbst in erregtem Zustand. Immerhin versucht er sich selber halbwegs zu orientieren und damit seinen Beitrag zur inneren und äußeren Stabilität zu leisten.

Wenn sich diese wirklichkeitsfernen Überzeugungen aber immer intensiver, unkorrigierbarer und folgenschwerer ausbreiten, dann nähern sie sich ernsteren Sinnestäuschungen und wahnhaften Reaktionen und sollten durch eine entsprechende Behandlung aufgelöst werden (antipsychotisch wirksame Psychopharmaka, so genannte Neuroleptika).

Personenverkennung

So genannte Wahnwahrnehmungen und optische Halluzinationen sind eindeutig krankhafte Symptome, wie sie vor allem die Schizophrenie charakterisieren, aber auch wahnhafte Störungen im höheren Lebensalter (Alterspsychose). Die Personenverkennungen im fortgeschrittenen Stadium einer Alzheimer-Krankheit dürften nicht das Gleiche sein, doch gibt es fließende Übergänge.

Zumeist sind die Betroffenen nicht in der Lage, selbst vertraute Gesichter zu erkennen. Die Folgen sind bekannt: Beunruhigung, Irritation, Angst, Missmut, Reizbarkeit, ja Panik und Erregungszustände. Im harmlosesten Falle wird man mit einem falschen Namen angesprochen, für eine andere Person gehalten (meist Mutter, Vater oder Geschwister sowie andere vertraute Personen, ein halbes Jahrhundert zuvor). Die Ursache ist einfach, wenn auch schmerzlich: Wenn ich die letzten 30 bis 40 Jahre vergessen musste, weiß ich eben gar nichts mehr, selbst dass ich Kinder oder Enkel habe.

Für viele Angehörige ist das eine ungewohnte, ja kränkende, wenn nicht gar schmerzliche Erfahrung. Man kann eben nicht in den Patienten hineinschauen, man sieht nur die vertraute Person und die falsche, wenn nicht "unmögliche" Reaktion.

Im Extremfall kann der Patient sogar sein eigenes Spiegelbild nicht mehr erkennen, fürchtet sich davor oder reagiert erregt. Was verlangt das alles von der Umgebung?

Man muss sich fachlich informieren: Es handelt sich um eine Fehl-Reaktion des Zentralen Nervensystems im fortgeschrittenen Krankheitsstadium, das selbst die vertrautesten Objekte und Situationen nicht mehr in sinnvollen und damit beruhigenden Einklang zu bringen vermag.

Die Folgen sind ohnehin immer ähnlich: Die Betroffenen leben in der Vergangenheit, bekommen die Gegenwart nicht mehr in den Griff - und brauchen damit dreierlei: unser Verständnis, unsere Geduld, unsere Hilfe. Deshalb soll man - das sei ständig wiederholt - auch nicht dauernd korrigieren, schon gar nicht ungehalten.

Wenn man also als Angehöriger, Freund oder Nachbar seinen Platz "im Kopf" mit einer anderen Person tauschen musste, vielleicht längst verstorben, aber im Gedächtnisspeicher noch abrufbar, in die Gegenwart übertragen, dann ist das zwar irritierend, aber keine Abwertung. Da kann es sinnvoller sein, man nimmt seine neue Rolle zumindest zeitweise an, wenn sich dadurch der Tagesablauf leichter gestalten lässt. Und wenn dem Patienten irgend etwas unnötige Ängste bereitet (z. B. sein Spiegelbild), dann lässt sich auch das technisch regeln (Spiegel entfernen oder abdecken).

Grundsätzlich korrigieren, das sei immer wieder betont, lässt sich so etwas nicht, vor allem nicht auf Dauer. Man muss damit leben lernen. Notfalls helfen auch hier die erwähnten Neuroleptika etwas weiter.

Körperliche Störungen

Die körperlichen Störungen im höheren Lebensalter sind jener Bereich, auf den man sich am ehesten eingestellt hat. Sonderbarer Weise kommen sie aber zum einen nicht so häufig vor wie erwartet, zum anderen über eine ganz andere Symptom-Schiene. So wird z. B. der Durst kaum gespürt, der Hunger ebenfalls nur unzulänglich, selbst Schmerzen entwickeln oftmals nicht den gleichen Empfindungsgrad wie früher. Das heißt: Ausgerechnet auf körperliche Störungen, die sich sonst im Leben als ernstes in den Vordergrund drängen, muss man besonders achten. Sie werden - im Gegensatz zu früher - seltener und vor allem nicht sofort geklagt. Welches sind die folgenschwersten Gefahrenquellen?

Austrocknung

Jeder Körper trocknet aus, wenn er zu wenig Flüssigkeit bekommt. Im höheren Lebensalter ist das noch ausgeprägter, vor allem wegen des labilen Gleichgewichts aller körperlichen Funktionen. Und durch die rasche Dekompensations-Gefahr noch gefährlicher. So geht die Austrocknung nicht nur auf Schwäche oder Gleichgültigkeit, sondern auch auf das alterstypische mangelnde Durstempfinden zurück. Besonders problematisch ist die warme Jahreszeit oder entsprechend schwüle Witterungsbedingungen. Die Folgen sind vor allem seelischer und psychomotorischer Art: unruhig, nervös, fahrig, orientierungsgestört, niedergeschlagen, ängstlich, unspezifisches Unwohlsein usw.

Dabei ist eine Austrocknung leicht zu erkennen: Zum einen bleibt die Hautfalte auf dem Handrücken länger stehen, wenn man sie bei einem ausgetrockneten Menschen loslässt. Hat der Organismus hingegen genug Flüssigkeit, verstreicht sie rasch. Zum anderen lasse man sich die Zunge zeigen: normal rosa, ausgetrocknet aber stark gefurcht und mit weißlichem Belag.

Was kann man tun? Man stelle eine möglichst durchsichtige Karaffe mit Tee oder sonstigen, vom Patienten bevorzugten Getränken auf den Tisch (wobei Kaffee und natürlich auch Alkohol die Austrocknung noch fördern), die etwa 1½ Liter enthält, und verlange, dass sie bis zum späten Nachmittag ausgetrunken ist. Das ist das Mindest-Quantum, das er braucht.

Noch später soll man jedoch zurückhaltend sein, um ihn durch nächtliche Toilettengänge nicht unnötig zu gefährden.

Verstopfung

Der Stuhlgang gewinnt mit dem Alter an Bedeutung. Er wird zu einem Gradmesser der körperlichen Funktionstüchtigkeit. Und damit oft auch zum besorgten Anlass ängstlicher Reaktionen.

Jeder weiß: Stuhlgang kann man regelmäßig oder unregelmäßig, jeden Tag oder alle zwei bis drei Tage haben, das hängt von mancherlei Faktoren ab (individuelle Disposition, Art der Nahrung, ja sogar der Flüssigkeit, körperliche Aktivität = viel gehen und stehen oder sitzen usw.).

Schon in jungen und insbesondere im mittleren Lebensalter spielt der Stuhlgang oft eine große Rolle, vor allem beim weiblichen Geschlecht. Das kann bis zur unkritischen Einnahme von Abführmitteln gehen, die in einer Art Teufelskreis ihr Opfer noch mehr gefährden. Der ältere Mensch aber ist dem noch hilfloser ausgeliefert. Verstopfung, und sei es einfach ein subjektiv empfundener zu seltener Stuhlgang, beeinträchtigt das Wohlbefinden rasch, meint man sich doch durch seine zurückgehaltenen Ausscheidungen zu vergiften (was natürlich nicht stimmt).

Auf jeden Fall wird so mancher unruhig, nervös, missgestimmt, gereizt oder aggressiv, vor allem im höheren Lebensalter, wo sich immer mehr um die engsten Organfunktionen dreht. Wird das Ganze schließlich zum Dauer-Problem, muss man sich an seinen Arzt wenden. Ansonsten helfen die bekannten einfachen Maßnahmen: Viel Ballaststoffe, z. B. Vollkornprodukte, Kleie, Obst und Gemüse; viel Flüssigkeit während des Tages; Bewegung, so viel es geht; Vorsicht mit Abführmitteln, d. h. nie ohne den Arzt und so selten wie möglich.

Am günstigen: ballastreiche Nahrung, ausreichend Flüssigkeit, viel Bewegung.

Schmerzen

"Der Schmerz ist der große Lehrer der Menschheit", lautet das Dichterwort. Dies gilt aber nur für den akuten Schmerz, der vor einer Funktionsstörung warnen soll. Der Dauer-Schmerz ist ein zermürbendes und vor allem sinnloses Leiden, das manchmal in eine regelrechte Schmerzkrankheit (Fachausdruck: algogenes Psychosyndrom mit körperlichen und seelischen bzw. psychosozialen Folgen) münden kann.

Bei der Alzheimer-Krankheit kann aber selbst das sinnvolle Schmerz-Signal seine Funktion verlieren. Manchmal setzt diese Krankheit das Schmerzempfinden herab, so dass die Betroffenen kaum Schmerzen äußern, obgleich sie sie haben müssten (z. B. Sturzfolgen). Zum anderen wird über Schmerzen geklagt, obgleich es keine Schmerzen sind, sondern nur eine Art Missempfindungs-Ersatz für andere Störungen. Beides führt natürlich in die Irre und kann unangenehme bis bedenkliche Konsequenzen haben. Deshalb ist es wichtig zu wissen:

Beim Alzheimer-Patienten sollte man nicht nur auf die sprachlichen Äußerungen von Schmerz achten, sondern auf die gesamte Körpersprache.

Was will der Betreffende mit seiner eingegrenzten Mitteilungsfähigkeit ausdrücken, vor allem nonverbal, wie das in der Fach-Sprache heißt. "Echte" Schmerzzustände sind dabei oft an einer unwillkürlichen Schonhaltungen, an Abwehrbewegungen und sonstigen gestischen und mimischen Reaktionen zu erkennen. Wenn man dem gezielt nachgeht, wird man bald fündig, bis hin zur konkreten Schmerz-Schilderung. So etwas verlangt dann natürlich umgehend den Gang zum Arzt.

Wundliegen

Das Wundliegen gehört zu den größten Problemen im Spätstadium der Alzheimer Demenz. Bettlägerige oder ständig sitzende Patienten belasten die immer gleichen, ohnehin weniger elastischen, widerstandfähigen und vor allem schlechter durchbluteten Körperstellen.

Dafür gibt es inzwischen zahlreiche Linderungsmöglichkeiten, und zwar sowohl medikamentös als auch durch technische Hilfsmittel. Das sind spezielle Kissen oder Wechseldruckmatratzen (die sogar auf Rezept zu erhalten sind). Zuvor aber sollte man dafür sorgen, dass der Patient seine Position möglichst oft ändert, um nicht immer die gleiche Körperstelle zu belasten.

Zahnprobleme

Nirgends wird eine Vernachlässigung so rasch deutlich, ästhetisch wie funktionell, wie im Mund- bzw. Zahnbereich. Dies gilt vor allem für das Endstadium einer Alzheimer-Krankheit.

Deshalb: Regelmäßig Mundhöhle reinigen, Zähne und Prothesen putzen, erfrischende Mundwässer verwenden und Zahnarzt aufsuchen (wobei man sich die Beschwerden zuvor genau schildern lassen sollte, um auf dem Zahnarztstuhl nicht zuviel Zeit zu verlieren oder durch mangelnde Information bzw. Kooperation die Konsultation nutzlos verstreichen zu lassen).

Sehen und Hören

Im Alter lassen alle Sinnesorgane nach. Manche Patienten erblinden oder ertauben sogar. Für Letzteres lässt sich noch am ehesten etwas erreichen, doch überfordert die Technik auch häufig.

Viele alte Menschen haben allein durch ihre geistigen Einbußen mit Einschränkungen des Sehens und Hörens zu rechnen - und damit Probleme, mit ihrer Umwelt in Verbindung zu bleiben. Sie verstehen nicht mehr, was sich abspielt, sie verlieren die Orientierung, sie geraten in Unruhe, Miss-Stimmung, Misstrauen, Angst oder gar Panik. Und über allem liegt eine wachsende Resignation und Niedergeschlagenheit, weil sie sich hilflos oder alleingelassen fühlen. Einzelheiten würden hier zu weit führen, doch achte man auf folgendes:

Wenn der Patient das Fernsehen nicht mehr nutzt oder immer häufiger stolpert bzw. aneckt, muss sich etwas mit seiner Sehkraft verändert haben. Dann umgehend Augenarzt und Optiker einschalten, damit der drohende Rückzug aus Mangel an äußeren Orientierungsmöglichkeiten aufgehalten wird.

Das Gleiche gilt für erste Anzeichen der Schwerhörigkeit: Man muss immer lauter sprechen, immer öfter wiederholen, darf nicht von hinten oder von der Seite, nur noch von vorne ansprechen, weil er immer seltener reagiert usw.

Es gilt baldmöglichst einen HNO-Arzt und Akustiker aufzusuchen, um rechtzeitig ein Hörgerät anzupassen (das ja ebenfalls trainiert werden muss). Das öfter zu hörende Gegenargument, der Patient könne es ja nicht einmal selbst einsetzen und damit nutzen, ist inkonsequent. Er kann vieles nicht, muss zu manchem angeleitet, ja sogar geführt werden, und es erleichtert ihm und allen anderen die Situation trotzdem. So auch ein Hörgerät. Wenn er es nicht selber einsetzen kann (und vielleicht auch noch ständig zu verlieren oder zu verlegen droht), dann ist es eben eine wichtige Aufgabe der Familie oder Pflege im Heim.

Und vor allem ist eines wichtig: Das Hörgerät muss eingesetzt werden, bevor man ein (wichtigeres) Gespräch zu führen versucht. Das ist zwar eine banale Empfehlung, aber nicht ohne Grund.

Medikamente

Und was die in der Regel große Zahl von Medikamenten anbelangt, und von jedem mehrmals am Tag, das können die meisten älteren Menschen, schon gar nicht die Alzheimer-Patienten mehr alleine bewältigen.

Die Folgen sind bekannt: Zuviel vergessen und damit Ausfälle und Wirkungseinbußen. So manches Durcheinander oder zur falschen Zeit, vielleicht sogar Zuviel von dem einen oder anderen mit (schleichender) Vergiftungsgefahr usw.

Deshalb: Eine Liste der verordneten Medikamente führen, immer auf dem neuesten Stand halten, Kopien erstellen, groß, gut lesbar und an mehreren Orten aufbewahren (für die anderen Mitbetreuer, der Patient selber wird davon nicht viel haben).

Bei Bedarf sofort nachkorrigieren, aber nicht, indem man darüber oder hineinschreibt, sondern neue Listen erstellen, damit sie nicht durch ständige Korrekturen immer schwerer lesbar werden). Und vor allem die alten Listen vernichten, um keine Verwechslungen zu provozieren (an was sich der alte Mensch gewöhnt hat, auch an überholte Zettel-Informationen, das wird er nur ungern hergeben).

Pillen-Dosen mit Tages-Einteilungen nutzen. Die Einnahme kontrollieren. Nie die Dosis selber ändern, dafür aber den Arzt über Neben- und Wechselwirkungen informieren (Beipackzettel studieren), um das Wirkungs-Nebenwirkungsverhältnis so optimal wie möglich zu halten.

Die Zahl der Sinnsprüche zum Alter, oder Älterwerden ist kaum mehr überschaubar.

Nachfolgend vier ausgewählte Aphorismen, die jeder für sich nutzen kann - je nach Einstellung:

  • Ich altere wohl, doch täglich lerne ich etwas dazu.
    (Solon, um 640 bis 561v.Chr., Gesetzgeber, Dichter, Athen)
  • Alle wollen es werden, keiner will es sein: alt.
    (Cato der Ältere, 234-149 v.Chr., römischer Politiker)
  • Keine Kunst ist's alt zu werden. Es ist eine Kunst, es zu ertragen.
    (Johann Wolfgang von Goethe, 1749-1832, Jurist, Minister, Dichter)
  • Altwerden ist in! Die tollsten Leute tun es!
    (Liz Carpenter, Opinionleader der amerikanischen Seniorenbewegungen)

LITERATUR

Früher ein wenig diskutiertes, ja verschämt übergangenes Thema, heute - unter dem Druck der Entwicklung - im Begriff eines der wichtigsten medizini­schen und psychologischen Fachbereiche zu werden. Deshalb auch ein fast unübersehbares Angebot an spezialisierten Fach- und fundierten allgemein verständlichen Sachbüchern. Einzelheiten dazu siehe auch das Internet-Kapitel über die Alzheimer-Krankheit in www.psychosoziale-gesundheit.net.

Grundlage vorliegender Ausführungen sind die beiden Broschüren:

Das Wichtigste über die Alzheimer-Krankheit und andere Demenzformen. Ein kompakter Ratgeber. 20. aktualisierte Auflage. Berlin, 2011. Kostenlos, auch als Download aus dem Internet: www.Deutsche Alzheimer.de. Deutsche Alzheimer-Gesellschaft e.V., Friedrichstr. 236, 10969 Berlin, Telefon: 030/2593795-0.

Dort auch laufend aktualisierte Telefon- und Telefaxnummern und Internet-Hinweise sowie die Adressen von Selbsthilfegruppen und regionalen Alzhei­mer-Gesellschaften.

Alzheimer-Krankheit: „Sie sind nicht allein.“. Information und Tipps für Angehö­rige durch die Deutsche Alzheimer-Gesellschaft e.V., Friedrichstr. 236, 10969 Berlin, Telefon: 030/2593795-0. www.deutsche-alzheimer.de

Die Alzheimer-Krankheit. Wissenswertes und Tipps für Interessierte, Betrof­fene und Angehörige. Alzheimer-Hilfe. Eine Initiative von Eisai und Pfizer. Postfach, 60599 Frankfurt, Telefon: 0180/3366633. www.alois.de

Weiterführende Literatur

Adler, G.: Nicht-medikamentöse Hilfen für Menschen mit Demenz. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2011

Beyreuther, K. u. Mitarb.: Demenzen. Thieme-Verlag, Stuttgart-New York 2002

Ehrhardt, T.,A. Plattner: Verhaltenstherapie bei Morbus Alzheimer. Hogrefe-Verlag für Psychologie, Göttingen-Bern 1999

Ellis, A.: Klinisch-theoretische Grundlagen der Rational-Emotiven-Thera­pie. PsychologieVerlagsUnion, Weinheim 1979

Freund, H.: Geriatrisches Assessment und Testverfahren. Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 2010

Kanfer, F. u. Mitarb.: Selbstmanagement-Therapie: Ein Lehrbuch für die klinische Praxis. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 2006

Maerker, A. E.: Alterspsychotherapie und klinische Gerontopsychologie. Springer-Verlag, Berlin 2002

Mötzing, G.: Beschäftigung mit alten Menschen. Urban & Fischer-Verlag bei Elsevier, München 2005

Müller, I. u. Mitarb.: Die häusliche Betreuung demenz-kranker Menschen und ihre Auswirkungen auf pflegende Angehörige. Eine Literaturübersicht. Österreichische Krankenpflegezeitschrift 3 (2008) 8

Pinquart, M., S. Sörensen: Interventionseffekte auf Pflegende Dementer und andere informelle Helfer. Eine Metaanalyse. Zeitschrift für Gerontopsychologie und -psychiatrie 15 (2002) 85

Reimer, C.: Psychotherapie alter Menschen. Springer-Verlag, Berlin-Heidel­berg-New York 2007 (?)

Supprian, T.: Frühdiagnostik von Demenzerkrankung. Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 2011

Stechl, E.: Subjektive Wahrnehmung und Bewältigung der Demenz im Frühstadium. Dr. Köster, Berlin 2007

Stechl, E. u. Mitarb.: Demenz – mit dem Vergessen leben. Mabuse-Verlag, Frankfurt 2009

Stöhr, U.: Seniorenspielbuch: Reaktivierung Dementer in Pflege und Betreuung. Springer-Verlag, Wien-New York 2007

Wallesch, C.-W., H. Fürstl (Hrsg.): Demenzen. Thieme-Verlag, Stuttgart-New York 2005

Weyerer, S.: Altersdemenz. Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Heft 28. Robert Koch-Institut, Berlin 2005

Weyerer, S., H. Bickel: Epidemiologie psychischer Erkrankungen im höheren Lebensalter. Grundriss Gerontologie, Band 14. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2007

Wolter, D. K.: Sucht im Alter – Altern und Sucht. Kohlhammer-Verlag, Stutt­gart 2011

Unter Mitarbeit der Gerontotherapeutin Brigitte Restle und Dr. Jochen Tenter, Chefarzt der Abteilung Gerontopsychiatrie am ZfP Die Weissenau, Ravens­burg.

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
Beachten Sie deshalb bitte auch unseren Haftungsausschluss (s. Impressum).