Start Psychiatrie heute Seelisch Kranke Impressum

SCHWINDEL

Download als PDF-Datei

Organische, seelische und psychosoziale Ursachen

Schwindel gehört nicht nur zu den häufigsten Beschwerden, mit denen sich die Betroffenen ratlos an ihren Arzt wenden, Schwindel ist auch eine der zermürbendsten Beeinträchtigungen generell, die man sich vorstellen kann. Da sich auch jeder in einen selbst ausgelösten Schwindel versetzen kann, lässt sich diese Einschätzung gut nachvollziehen. Was weit weniger bekannt ist, sind aber die Aspekte: Art des Schwindels (Dreh-Schwindel, Schwank-Schwindel, schwindelige Benommenheit u. a.), Dauer des Schwindels (von Sekunden bis „das halbe Leben lang“), durch was Schwindel ausgelöst und verstärkt werden kann und vor allem: welche Formen von Schwindel gibt es (die Experten kennen mehr als ein Dutzend).

Was natürlich besonders irritiert, ist der seelisch bedingte Schwindel, der wahrscheinlich häufiger ausfällt als sämtliche organisch bedingte Schwindel-Formen zusammen. Nachfolgend deshalb eine komprimierte Übersicht über die wichtigsten körperlich begründbaren, vor allem aber seelischen und psychosozialen Schwindel-Ursachen.



Erwähnte Fachbegriffe:

Schwindel – Vertigo – Dreh-Schwindel – Schwank-Schwindel – unsystematischer Schwindel – erwünschtes Schwindelgefühl – unerwünschter Schwindel – Seekrankheit – Reisekrankheit – Höhen-Schwindel – Orientierungs-Störung – Raum-Wahrnehmung – Bewegungs-Wahrnehmung – Gleichgewichtsstörungen – Somatosensoren – Messfühler – Hirnstamm – Kleinhirn – Nystagmus - Augenzittern – benigner peripherer paroxysmaler Lagerungsschwindel (BPPV) – somatoformer phobischer Schwank-Schwindel – phobischer Schwank-Schwindel – zentral-vestibulärer Schwindel – vestibuläre Migräne – Neuritis vestibularis – bilaterale Vestibulopathie – organische Schwindel-Ursachen – Schwindel-Attacken – anhaltender Schwindel – Dauer-Schwindel – Lage-Schwindel – Lagerungs-Schwindel – Benommenheits-Schwindel – posttraumatischer Schwindel – zervikaler Schwindel – Schwindel durch Gehirn-Durchblutungsstörungen – psychovegetatives Allgemein-Syndrom – vegetative Dystonie – vegetative Labilität – Befindlichkeitsstörung – Neurasthenie – Migräne-Schwindel – Epilepsie-Schwindel – Morbus Menière – episodischer Schwindel – fluktuierende Hörminderung – Hörverlust – Tinnitus – Ohrgeräusche – Ohrensausen – Morbus Menière-Persönlichkeitsstruktur – Morbus Menière-Wesensart – Endolymphe – psychogener Schwindel – seelisch bedingter Schwindel – Angststörungen – Angst-Schwindel – generalisierte Angst-Störung – Panikattacken – schwindelige Benommenheit – Phobien – Sozialphobie – spezifische Phobien – unklare Schwindel-Zustände – phobischer Schwank-Schwindel – Depressionen – Schwindel bei Depressionen – Schizophrenien – Schwindel bei schizophrener Psychose – Zoenesthäsien – Schwindel bei Alkoholismus – Schwindel im Alkoholrausch – Schwindel durch Rauschdrogen-Konsum – Schwindel durch Medikamenten-Abhängigkeit – Schwindel durch Psychopharmaka – Schwindel durch Schlafmittel – Schwindel durch Schmerzmittel – Schwindel durch Phasen-Prophylaktika – Schwindel durch Tranquilizer – Schwindel durch Beruhigungsmittel – Schwindel durch Neuroleptika – Schwindel durch Antipsychotika – Schwindel durch Antidepressiva – Konversion – Konversions-Schwindel – Regression – Regressions-Schwindel – Unterscheidung organischer / psychogener Schwindel – Schwindel-Behandlung – Schwindel-Therapie – Schwindel-Konsequenzen – Schwindel-Psychotherapie – Schwindel-Medikamente u.a.m.

Allgemeine Aspekte

Zu den gefürchtetsten Krankheitszeichen gehören zwei ganz unterschiedlich beunruhigende, verunsichernde, beeinträchtigende oder gar quälende Phänomene, nämlich Schmerz und Schwindel. Sie sind auch die häufigsten Klagen in der Praxis des Arztes. Dabei spielen natürlich Intensität, Art und Dauer eine große Rolle. Das meiste ist nur lästig, manches bewegt sich an der Grenze des Ertragbaren, in stärkster Ausprägung ist beides so überwältigend, dass das Opfer innerhalb kurzer Zeit in völlige Hilflosigkeit, Qual und Not gerät.

Dazu fällt einem natürlich vor allem der Schmerz ein. Ihn könnte man je nach Grad der Ausprägung vielleicht gerade noch durchstehen, obwohl er ja im Grunde viel heftiger zuschlagen kann (man denke nur an den „Vernichtungs-Schmerz“ beim Herzinfarkt). Den Schwindel hingegen, selbst wenn er nur leichterer Natur sein sollte, aber auf keinen Fall, schon gar nicht, wenn er stärkere Ausmaße annimmt. Außerdem ist er medizinisch nicht so wirkungsvoll und schnell zu lindern wie ggf. der Schmerz (man denke an die tröstliche Erfahrung von der „befreienden Spritze“ des Arztes).

Wer das nicht glaubt, kann sich leicht selber überzeugen. Denn in einen künstlichen Schwindel kann man sich durch entsprechende Bewegungs-Exzesse rasch selber versetzen, der eine mehr, der andere weniger, aber stets eindrucksvoll behindernd. Ein lehrreicher Vorgeschmack auf das, was ein krankhafter Schwindel mit seinem Opfer anzurichten vermag.

Nachfolgend deshalb eine kurz gefasste Übersicht zu diesem Phänomen aus nervenärztlicher, vor allem aber psychiatrischer und psychologischer Sicht.

Was sich hinter „mir ist schwindelig“ alles verbergen kann

Schwindel und Schmerz haben einiges gemeinsam. Beide sind eine „Wissenschaft für sich“, füllen zahlreiche Fachbücher und sind als wissenschaftliche Publikationen nicht mehr überschaubar – weltweit.

In der Allgemeinheit lautet die geläufigste Antwort auf die Frage: „Was ist Schwindel?“: Es dreht sich alles. Das ist aber nur ein Teil des Schwindel-Phänomens, nämlich der auch so benannte „Dreh-Schwindel“. Doch in Wirklichkeit ist Schwindel natürlich viel umfassender, vielfältiger, auch im Meinungsbild der Allgemeinheit, ja, gerade dort.

Ist der Schwindel in wissenschaftlicher Hinsicht auch keine so genannte Krankheits-Einheit (s. später), so wird seine beeinträchtigende Bedeutungs-Vielfalt erst dann so richtig erkennbar, wenn man die Interpretationen der Betroffenen heranzieht: Da geht es dann nur noch selten um die „Verzerrung der Raumwahrnehmung“, wie es die Experten bezeichnen, sondern um schwer beschreibbare Empfindungen. Sie erstrecken sich von allgemeinem Unwohlsein, Benommenheit, eingeschränkter Bewusstseinshelligkeit bzw. Wachheit über Leere-Gefühle im Kopf (z. B. Blutdruck oder Blutzucker) und Unsicherheit beim Gehen und Greifen (neurologische Erkrankungen) bis zu kognitiven Einbußen im Sinne von Merk- und Konzentrations-Störungen oder gar überwältigenden Gemütsreaktionen wie Angstzustände, Schreckreaktionen bzw. „fassungsloses Entsetzen“.

Die Ärzte allerdings stellen fest, dass gar nicht so wenige Patienten über „Schwindel“ klagen, wenn sie sich nicht trauen, aus einem unbestimmten oder vielleicht nicht einmal so ernsthaftem Bedürfnis heraus um ärztliche Hilfe zu bitten und mit dem doch schwer wiegenden Hinweis auf einen „Schwindel“ meinen, dem Doktor ein ausreichendes Symptom präsentieren zu können, damit er sich um sie kümmert, entsprechende Untersuchungen einleitet und ggf. Therapievorschläge macht.

Das hat nichts mit Simulation oder bewusster Täuschung zu tun, es ist ein durchaus „menschliches“ Hilfsmittel, um seine schwer fassbare innere oder äußere, seelische oder körperliche, oft auch soziale Not in Worte zu fassen und um Unterstützung nachzusuchen. Oder kurz: Schwindel zieht immer. Ein Beweis dafür, wie ernsthaft, lästig oder gar zermürbend bis zerstörerisch dieses Krankheitszeichen eingeschätzt wird – und dann natürlich für den wirklich Betroffenen auch qualvoll ausfallen kann.

Doch völlig negativ ist Schwindel natürlich auch nicht, gibt es doch sogar den erwünschten, gesuchten, gezielt ausgelösten, ja bis zur Grenze des Erträglichen provozierten Schwindel, der dann als lustvolles, weil berauschendes Gefühl erlebt wird.

Das beginnt mit der entsprechenden Reizung des Gleichgewichtsorgans (siehe Kasten) durch bestimmte Beschleunigungs-Bewegungen, z. B. bei gewissen drehenden Tanz-Arten (was nicht nur Kinder machen, sondern auch bei Erwachsenen kultische, ja religiös getönte Bedeutung haben kann); und natürlich im Spiel oder auf dem Karussell, von den modernen technischen Lustbarkeiten bis hin zu gesundheitlichen Bedenken ganz zu schweigen, die auf allen Jahrmärkten inzwischen dominieren und einem meist jugendlichem Publikum „Entsetzensschreie des Entzückens“ entlocken.

Aber auch Alkohol kann mit seinem spezifischen Schwindelgefühl am Schluss zwar sehr lästig werden, in einer erträglichen Vor-Phase aber auch eine durchaus angenehme Distanz zur Realität vermitteln, „irgendwie leicht schwindelig oder dusselig“ („wer wackelt, lacht...“). Das Gleiche und ggf. noch viel schneller und gezielter bringen natürlich auch bestimmte Rauschdrogen zu Stande (nicht nur die modernen, überwiegend chemischen, auch alte, historisch und hier kultisch-religiös eingesetzte Naturprodukte) und eine Reihe von Medikamenten, vor allem Psychopharmaka mit Wirkung auf das zentrale Nervensystem und damit Gemütsleben (s. später).

Bei Letzteren ist natürlich nicht mehr von erwünschtem Schwindel die Rede. Hier handelt es sich um „unerwünschte Begleiterscheinungen“ bzw. direkter ausgedrückt: gefürchtete Nebenwirkungen, die natürlich auch einmal eine Unterbrechung der ansonsten sinnvollen Therapie erzwingen können.

Daneben gibt es jedoch auch den unerwünschten Schwindel auf äußere Reize mit individuell unterschiedlicher Intensität, je nach Empfindlichkeit. Dazu gehören beispielsweise die Seekrankheit und entsprechende Reaktionen in Bus, Auto, seltener Zug, vor allem aber Flugzeug („Turbulenzen, bitte anschnallen“) sowie der Höhenschwindel auf Turm, Berg, Hochhaus u. a.

Alle aber sind in der Regel „normale, weil nachvollziehbare Schwindel- Reaktionen“. Man kann sie in der Regel selber aussuchen, in gewissem Maße steuern, auf jeden Fall gehen sie nach überschaubarer Zeit wieder zurück. Das aber lässt sich vom krankhaften Schwindel leider nicht sagen. Deshalb erst einmal ein kurzer wissenschaftlicher Überblick mit Definition, Häufigkeit, Ursachen u. a.

Schwindel, was ist das?

Wenn man von Schwindel spricht, muss man erst einmal die körperliche (Fachbegriff: organische) Grundlage, also Anatomie und Physiologie des Ohres (konkreter: Innen-Ohrs) erläuten. Nachfolgend im Kasten deshalb eine kurze Schilderung.

Die organische Grundlage des Schwindel-Gefühls

Wenn wir vom Ohr sprechen, dann fällt uns vor allem die Ohrmuschel, der sichtbare, äußere Teil des Ohres ein. Alles andere (und wichtigere!) ist gleich hinter der knöchernen Schädelwand verborgen. Dort liegt beidseits das Innen-Ohr, ein kompliziertes Organ, auf dessen Bedeutung man – wie so oft – erst dann kommt, wenn seine Funktion gestört ist oder ausfällt. Für den Schwindel entscheidend ist das so genannte Labyrinth, das Gleichgewichts-Organ. Es besteht aus je drei Bogengängen. Diese sind mit einer speziell zusammengesetzten Flüssigkeit, der Endolymphe gefüllt. Anatomisch sind sie in den drei Ebenen des Raumes im rechten Winkel zueinander angeordnet. Deshalb unterscheidet man auch einen vorderen, einen hinteren und einen seitlichen Bogengang.

In diese Bogengänge hinein ragen nun so genannte Sinnes-Härchen, feine haarartige Gebilde, die mit dem Gleichgewichts-Nerven verbunden sind. Bei einer Bewegung des Kopfes kommt es dann zu einer Strömung der Endolymphe innerhalb des Bogengangs. Dadurch werden die Sinneshärchen ausgelenkt wie Wasserpflanzen in einem Aquarium, je nach Strömung. Die hierdurch ausgelöste Nerven-Erregung wird zum Gehirn fortgeleitet und führt dort zu einer Dreh-Empfindung.

Einzelheiten zum Thema Schwindel-Empfindung siehe unten.

Das Erste, was man in den dafür zuständigen Werken der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, der Neurologie, Augenheilkunde, Inneren Medizin u. a. liest, ist der Standard-Satz:

Schwindel ist kein einheitliches Krankheitsbild, sondern das unspezifische Symptom (Krankheitszeichen) einer Reihe verschiedener Krankheiten.

Oder etwas ausführlicher: Als Schwindel bezeichnet man den Verlust oder eine Unsicherheit der räumlichen Orientierung bzw. eine als unangenehm empfundene scheinbare Bewegung des Betroffenen und / oder seiner Umgebung.

Oder noch kürzer: Schwindel ist eine unangenehme Verzerrung der Raum- und Bewegungs-Wahrnehmung mit Gleichgewichtstörungen.

Auf jeden Fall wird Schwindel immer dann erlebt, wenn die erwarteten und tatsächlich eingehenden Informationen von Ohr, Auge und Gefühl (oder besser Gespür, ausgelöst durch so genannte Somatosensoren, also Messfühler in Gelenken, Muskeln und Haut) nicht übereinstimmen bzw. gar in Widerspruch zueinander stehen. Dann kommt es – um einmal bildhaft allgemein-verständlich zu werden – in den dafür zuständigen Gehirnteilen, nämlich Hirnstamm und Kleinhirn, zu Aufregung und Verwirrung. Denn die einlaufenden Informationen werden ja ständig mit früheren Bewegungs-Erfahrungen verglichen und verrechnet. Für diese Kontroll- und damit Stabilisierungs-Leistungen stellt das Gehirn – hier wiederum bildhaft gesprochen – umfangreiche Bewegungsmelder und Rechner-Systeme zur Verfügung.

Wenn das alles wie gewohnt läuft, passiert gar nichts, „Gesundheit ist nicht spürbar“. Liegt aber eine Störung dieser Raum-Orientierung vor oder – wie erwähnt – widersprechen sich die eingegangenen Informationen und lassen sich damit nicht mehr sinnvoll zur Deckung bringen, dann schrillen die Alarmglocken, der Betroffene bekommt Schwindel.

Interessant und wegweisend für das spätere Verständnis ist auch die Erkenntnis, dass es Verknüpfungen gibt zwischen den Zentren der Raum-Orientierung im Gehirn und jenen, die für Depressionen und Angst zuständig sind (Fachbegriff: limbisches System). Das erklärt dann auch den engen Zusammenhang zwischen seelischen Störungen und Schwindel-Reaktionen bzw. umgekehrt.

Schwindel aber ist und bleibt erst einmal ein subjektives Erlebnis, dass sich auch nicht so

exakt messen lässt wie andere Körper-Reaktionen. Objektiv lassen sich allenfalls die geklagten Gleichgewichtsstörungen registrieren (was auch durch entsprechende Untersuchungsmethoden fassbar ist). Und natürlich die Folgen bei Aktivierung des Brech-Zentrums (also jener Region im Gehirn, die für Übelkeit oder gar Erbrechen zuständig ist). Außerdem kann der Arzt ggf. einen so genannten Nystagmus feststellen, d. h. unwillkürliche rhythmische Bewegungen des Augapfels, eine Art „Augenzittern“, was dann bei der Suche nach konkreten Hintergründen weiter hilft.

Auf jeden Fall verweist der Schwindel auf eine gestörte Beziehung zwischen Mensch und Raum, Raum als fassbare Umgebung, aber auch als – psychologisch gesehen – „innerer Raum“ im Sinne eines psychosozialen Umfelds mit allen Problemen. Dieser Teil-Aspekt soll später ausführlicher behandelt werden. Deshalb kann das Krankheitszeichen „Schwindel“ dreierlei anzeigen.

1.einen körperlichen Vorgang, d. h. organischer Schwindel
2.ein gemütsmäßiges, gefühlshaftes Erlebnis, d. h. psychogener (seelischer) Schwindel
3.einen zwischenmenschlichen, psychosozialen Einflussfaktor.

Wie häufig ist Schwindel?

Es wurde schon erwähnt: Schwindel führt zu den mit am häufigsten geklagten Beschwerden und gilt nach den Kopfschmerzen als zweithäufigstes Leit-Symptom in der allgemeinärztlichen Praxis. Wie häufig – da gehen die Meinungen wieder auseinander, je nach Untersuchung. Die untere Grenze scheint bei jedem Fünften zu liegen, Frauen deutlich mehr als Männer.

In einer neurologischen Spezial-Ambulanz häufen sich natürlich entsprechende Patienten und dort untergliedert man dann den Schwindel noch in etwa ein Dutzend Unter-Typen mit entsprechenden Fachbegriffen, von denen hier wenigstens einige kurz gestreift werden sollen, einschließlich Häufigkeits-Angaben:

Nämlich benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel (18,8%), somatoformer phobischer Schwankschwindel (16,0%), zentral-vestibulärer Schwindel (13,2%), vestibuläre Migräne (9,1%), Neuritis vestibularis (7,9%), Morbus Menière (7,4%), bilaterale Vestibulopathie (3,6%), psychogener Schwindel ohne phobischen Schwankschwindel (3,5%), Vestibularis-Paroxysmie (2,7%), ungeklärte Ursachen (4,2%) sowie andere Schwindel-Formen (13,1%). Einzelheiten siehe die Spezialliteratur, in diesem Fall F. Thömke, MMW 2(2007)70.

Das muss man sich als Laie natürlich nicht merken, sollte aber doch mit einigem Respekt registrieren, was die Wissenschaft der letzten Jahrzehnte aus dem einfachen Ärgernis „Schwindel“ an differenzierten Ursachen und damit auch Therapiemöglichkeiten herausgefunden hat.

Auf jeden Fall wird eines deutlich: Der Schwindel hat auch seelische bzw. psychosoziale

Ursachen, und das nicht zu selten. Dies soll der Hauptteil der später folgenden Ausführungen sein.

Zuvor aber einige Hinweise über die wichtigsten organischen Schwindel-Formen, denn die müssen

grundsätzlich abgeklärt bzw. ausgeschlossen werden, bevor man sich zur Diagnose „Psychogener Schwindel“ entschließt, nicht zuletzt um auch therapeutisch erfolgreich eingreifen zu können.

Organische Ursachen des Schwindels

Ob organisch (also körperlich bedingt) oder psychisch (seelisch ausgelöst und unterhalten), der Arzt wird erst einmal nach den wichtigsten Unterscheidungs-Kriterien der verschiedenen Schwindel-Syndrome fragen (also jener Leidensbilder, die aus mehr oder weniger zusammenpassenden Krankheitszeichen bestehen). Im Einzelnen:

1.Art des Schwindels: Dreh-Schwindel wie Karussellfahren oder Schwank-Schwindel wie Bootfahren oder Benommenheits-Schwindel.

2.Dauer des Schwindels: Schwindel-Attacke über Sekunden bis Minuten oder gar Stunden wenn nicht Tage bis Wochen bzw. Dauer-Schwindel über Monate und Jahre.

3.Auslösbarkeit und Verstärkungs-Möglichkeiten des Schwindels: durch Ruhe, Gehen, bestimmte Kopflagerung, ja Husten oder Brechen, laute Töne u. a. Aber auch in bestimmten sozialen oder Umgebungs-Situationen.

4.Begleit-Beschwerden: Hör-Störungen und Ohr-Geräusche, Scheinbewegungen der Umwelt, Kopfschmerzen, Gangstörung, Fallneigung usw.

Daneben gibt es noch eine Reihe weiterer Bezeichnungen, teils in Expertenkreisen gebraucht, oft aber auch von den Betroffenen so geschildert. Einzelheiten dazu s. später.

Wichtig ist auch die Erkenntnis, dass sich selbst bei organisch bedingtem Schwindel durch körperliche Ursachen auch seelische und psychosoziale Reaktionen ausbilden können. In einigen Fällen werden daraus regelrechte „psychosomatische“ Krankheiten, wobei also Seelisches und Körperliches in unangenehmer Weise verknüpft sind (z. B. organische Schwindel-Ursachen und soziale Unsicherheit, Angst und depressive Verstimmung als zusätzlich belastende Folgen).

Nachfolgend sollen deshalb vor allem solche organische Schwindel-Formen gestreift werden, die am Schluss zu einem unseligen Mischbild und damit zu einer Vervielfältigung der zu ertragenen Beschwerden führen können. Im Einzelnen:

  • Benigner paraxysmaler Lagerungsschwindel (BPPV)

Diese Art des Schwindels ist die häufigste Schwindelform im höheren Lebensalter, d. h. im 6. und 7. Lebensjahrzehnt. Dabei kommt es zu heftigen Dreh-Schwindelattacken, die bei Änderung der Körperlage oder Kopfposition auftreten. Typisch sind z. B. das (erste) Hinlegen auf die Seite beim Zubettgehen, das Drehen auf die Seite, das Aufsetzen aus dem Liegen, das Zurückbeugen oder Vorn-Überbeugen des Kopfes. Dazu häufig Übelkeit, bisweilen sogar bis zum Erbrechen sowie Schweißausbrüche und nicht selten Angstzustände.

Zu solchen nachvollziehbaren Angst-Reaktionen kommt es vor allem beim erstmaligen Ausbruch der Erkrankung, handelt es sich doch um etwas völlig Neues, Fremdes, vor allem Erschütterndes (wie der Schwindel ja grundsätzlich ist).

Nun ist die Ursache dieses Schwindels eher harmlos: Ein „Pfropf“ aus kleinen Konkrementen, also körnigen, festen Gebilden, die sich aufgrund einer Erschütterung oder degenerativer Vorgänge in den hinteren Bogengang des Innenohrs verirrt haben (s. Kasten). Bei Lagerung auf die betroffene Seite sinkt dieser Pfropf der Schwerkraft folgend ab und ruft eine Erregung des Innenohrs hervor, die als Schwindel erlebt wird. Schließlich kommt der Pfropf am tiefsten Punkt des Bogengangs zum Liegen und der Schwindel hört auf.

Die Therapie durch den Spezialisten ist einfach (z. B. spezielles Lagerungstraining) und der Erfolg erfreulich. Vor allem müssen die Betroffenen von der Harmlosigkeit der Ursache überzeugt werden (deshalb auch der Begriff „benigne“ = gutartig, zumal das Leiden innerhalb von Wochen oder mindestens Monaten wieder abklingt, auch wenn es nicht selten wiederkommen kann). Auf jeden Fall gilt es ein unglückseliges Vermeidungs-Verhalten, d. h. Rückzug und Isolationsgefahr im Auge zu behalten, was dann zu dem auswachsen kann, was die Experten eine „neurotische Angst-Hierarchie“ nennen, d. h. hier schaukelt sich sinnloserweise eine unglückliche Ketten-Reaktion auf.

  • Neuritis vestibularis

Die Neuritis vestibularis ist durch einen akuten (plötzlichen) Dreh-Schwindel mit meist ausgeprägter Übelkeit und Erbrechen sowie entsprechender Stand- und Gangunsicherheit gekennzeichnet. Ursache ist wahrscheinlich die Entzündung des Vestibular-Nerven (Gehörsnerven) durch Viren. Bei älteren Patienten kann es sich auch um eine Mangeldurchblutung in diesem Bereich handeln.

Die entsprechende Therapie durch die Experten ist in der Regel erfolgreich. Wenn nicht, droht das, was man eine „psychosomatische Reaktion“ nennt. Dies vor allem dann, wenn es jüngere Patienten, z. B. Heranwachsende trifft, die mit heftigen Gemütsregungen reagieren.

  • Posttraumatischer Schwindel

Nach Unfällen mit Kopfverletzung wird häufig von einem so genannten posttraumatischen Schwindel gesprochen, meist ein ungerichteter Schwindel. Das kann – je nach äußeren Umständen, d. h. der gelungenen oder problematischen Bewältigung des Unfalls und der Verarbeitung seiner seelischen, körperlichen und psychosozialen Folgen – zu einem dauerhaften Problem werden, sprich zu einem chronifizierenden posttraumatischen Schwindel. Einzelheiten dazu siehe die Spezialliteratur.

  • Zervikaler Schwindel

Immer häufiger scheinen Störungen bzw. „Blockierungen“ im Halswirbelsäulen-Bereich zu werden und damit auch die Grundlage für entsprechende Schwindel-Reaktionen, „zervikaler Schwindel“ genannt.

Geklagt wird oft über chronischen oder auch anfallsartig auftretenden Nacken-Hinterkopf-Schmerz mit Benommenheit, Schwindel bzw. Gang- und/oder Stand-Unsicherheit.

Auch hier finden sich häufig psychosomatische Zusammenhänge, z. T. über chronische Fehlhaltungen und ständige seelisch bedingte muskuläre Anspannungen der Halswirbelsäulen-Muskulatur; aber auch psychosomatisch bedeutsame Einflüsse, die gerade die Kopf-Hals-(Nacken-) und Schulter-Region im Rahmen des gesamten Körperbildes betreffen. Man denke nur an die sprachlichen Wendungen von „Kopf einziehen“ oder „Nackenschlag“ oder „den Hals bzw. das Genick brechen“ u. a. Der Volksmund wusste seit jeher, wo der wunde Punkt liegt, auch ohne medizinisches oder psychologisches Studium…

  • Schwindel bei Durchblutungsstörungen des Gehirns

Durchblutungsstörungen des Gehirns, fachlich zerebrovaskuläre Insuffizienz genannt, können zum Dauer-Schwindel führen – mit seelischer bzw. psychosozialer / psychosomatischer Verstärkung. Grundlage ist nicht nur die Durchblutungsstörung mit ihren organisch bedingten Folgen, sondern auch eine als zermürbend bis resignierend-deprimierend erlebte Alters-Regression (auf Deutsch: Rückschritt, Niedergang, „nichts geht mehr“, „das war`s denn auch“).

Durch die Konzentration weg von der Außenwelt und hin zum eigenen Inneren, sei es seelisch, psychosozial und vor allem zusätzlich körperlich mit seinen wachsenden Organ-Defiziten und Funktions-Einbußen, durch diese einseitige Blickrichtung kann natürlich das immer mal wieder auftretende organische Schwindel-Gefühl zum Kern-Erleben hochstilisiert werden. Die Körperfunktionen werden nicht nur zum Zentrum der Aufmerksamkeit, sondern – altersbedingt nachvollziehbar – auch zum ständigen Krisen-Bereich („irgendwas gibt es immer“).

Dazu kommt dann noch die ängstliche Erwartungshaltung („wann geht es wieder los?“) und die ab dem Rückbildungsalter typische gesamte Schwäche, Mattigkeit und Unsicherheit. Treten schließlich noch Psychopharmaka mit dämpfender Wirkung hinzu, kann die Schwindel-Problematik zum alles vereinnahmenden Zentral-Problem des Lebens und damit zum dauerhaft beeinträchtigenden Lebens-Gefühl werden.

Hier muss dann auch mehrschichtig eingegriffen werden, nicht zuletzt psychiatrisch / psychotherapeutisch aufklärend und stützend.

  • Psychovegetatives Allgemein-Syndrom

Schließlich ist der Schwindel auch das häufigste, zumindest aber eines der häufigsten Symptome im Rahmen des so genannten psychovegetativen Allgemein-Syndroms, der nervösen Erschöpfung mit vielfältigen Bezeichnungen (z. B. vegetative Dystonie bzw. Labilität, Befindlichkeitsstörung u. a. – siehe die spezifischen Kapitel in dieser Serie).

Dazu gehört auch das, was sich unter dem Fachbegriff „Neurasthenie“ selbst in modernen Klassifikationen halten konnte (z. B. ICD-10 der WHO), wobei aber fast nie über „Schwindel allein“ geklagt wird. Deshalb setzt sich die Neurasthenie auch zusammen aus Spannungskopfschmerz, Schlafstörungen, der Unfähigkeit, sich zu entspannen, aus Reizbarkeit sowie unspezifischen Magen-Darm-Störungen – und psychogenem Schwindel (s. später).

  • Zentral-vestibulärer Schwindel

Zuletzt noch der Hinweis auf eine Sammel-Gruppe ganz unterschiedlicher Ursachen, zentral-vestibulärer Schwindel genannt. Die Schädigung liegt im Hirnstamm und/oder Kleinhirn. Meist handelt es sich um degenerative oder anlage-bedingte Kleinhirn-Erkrankungen. Nicht selten auch die meist alters-bedingten vertebro-basilären Durchblutungsstörungen. Hier werden jene Gefäße, die das Kleinhirn versorgen teils durch Verkalkung, teils durch knöcherne Einengung bei ihrem Lauf durch die Halswirbelsäule und insbesondere durch bestimmte Kopfbewegungen so eingeengt, dass es zu vielfältigen Symptomen kommt, bei denen vor allem der Schwindel irritiert. Ferner die neurologischen Krankheiten Multiple Sklerose sowie Tumoren der hinteren Schädelgrube. Einzelheiten dazu siehe die spezifische Literatur.

  • Weitere organische Schädigungen mit Schwindel-Folgen

Wie zu erwarten gibt es aber noch eine Reihe weiterer organischer Ursachen mit entsprechenden Schwindel-Konsequenzen (s. o.), wozu nicht zuletzt die vestibuläre Migräne gehört (Schwindel als einziges, zumindest aber führendes Symptom einer Migräne).

Interessant auch der Schwindel als Aura (Vorposten-Syndrom, „Vorgefühl“) im Rahmen einer Epilepsie. Meist handelt es sich um ein schwer beschreibbares Erleben („unspezifisches Gefühl im Kopf“), mitunter aber auch konkreter als gerichtetes oder ungerichtetes Drehgefühl bzw. Verlust der Raum-Orientierung. So etwas nennen die Neurologen eine vestibuläre Aura, die häufig mit Körper-Missempfindungen und geistig-seelischen Einschränkungen einhergeht. Einzelheiten dazu siehe die Spezial-Literatur.

  • Anhang: Gleichgewichtsstörungen und Schwindel im höheren Lebensalter

Da der ältere Mensch generell unter einem Rückgang des körperlichen und geistigen Reaktionsvermögens sowie einer Einschränkung verschiedener Sinnesorgane leidet, verwundert es nicht, dass mit zunehmendem Alter immer häufiger über Beeinträchtigungen des Körpergleichgewichts geklagt wird, meist als Unsicherheit, Stand- und Gangstörung sowie Fallneigung. Dabei zählt der Schwindel zu dem am häufigsten geäußerten Symptom bei Patienten über 75 Jahre.

Das wird am ehesten dem Hausarzt geklagt, der nun erst einmal entscheiden muss, welche Missempfindungen der Patient eigentlich als Schwindel bezeichnet, z. B. Dreh-Schwindel, Gleichgewichtsstörungen, Schwarzwerden vor den Augen u. a. Da die meisten seiner Patienten bereits medikamentös behandelt werden, und das noch überwiegend mit mehreren Arzneimitteln, wird er als Erstes an medikamentös bedingten Schwindel denken. Beispiele: Beruhigungsmittel (meist unspezifische Orientierungsstörungen), Arzneimittel gegen Bluthochdruck (z. B. Schwarzwerden vor den Augen durch Blutdrucksenkung), Antikonvulsiva (Betrunkenheits- und Unsicherheitsgefühl bei Epilepsie-Kranken), Antibiotika (Unsicherheit oder gar Seh-Störungen im Sinne von Zittern und Schwanken von Objekten, die man ins Auge gefasst hat) usw. Und man wird taktvoll, aber konsequent nach Alkohol fragen müssen, zumal das Trink-Muster im höheren Lebensalter in einer wachsenden Zahl von Fällen durchaus an Bedeutung zu gewinnen scheint.

Danach muss die Frage geklärt werden: Welche organische Störungen können welche Folgen nach sich ziehen? Im Einzelnen als kurz gefasster Überblick:

  • Schwarzwerden vor den Augen: Sowohl organisch bedingt als auch durch Medikamente ausgelöst kann es beim Wechsel von der liegenden in die aufrechte Körperhaltung, vor allem nach längerer Bettlägerigkeit oder körperlicher Schwäche zu einer vorübergehenden Verminderung der Gehirndurchblutung kommen. Ein solcher Blutdruckabfall führt zum Schwarzwerden vor den Augen (interessanterweise ohne kompensatorisches Ansteigen des Pulses).

Dass die so genannte Hyperventilation, also eine verstärkte Atmung bis hin zum Hecheln zu vergleichbaren Reaktionen führt, wenngleich auf anderem Wege, ist vielen Menschen schon aus früheren Tagen bekannt. Ähnliches gilt für so genannte vaso-vagale Synkopen, bei denen es ebenfalls über einen komplizierten Ablauf letztlich zu Schwarzwerden oder gar Bewusstlosigkeit kommen kann. Hier spielen meist furcht-bezogene Extrem-Situationen eine Rolle. Auch bei Herz-Rhythmus-Störungen bzw. einem verlangsamten Herzschlag drohen vergleichbaren Beeinträchtigungen. Allen gemeinsam ist übrigens ein erfreulicher Aspekt: Sie sind lästig, diese Ursachen mit Schwarzwerden vor den Augen, aber gefährlich sind sie nicht.

  • Etwas komplizierter wird es bei Gleichgewichtsstörungen, wie sie vor allem im höheren Lebensalter geklagt werden. Dazu gehören beispielsweise der beidseitige Ausfall der Gehörsfunktion (bestimmte Medikamente, besonders bei eingeschränkter Nierenfunktion?) mit Dreh-Schwindel und zunehmender Gangunsicherheit, vor allem im Dunkeln. Das ist schon lästig genug, doch wenn die Betroffenen dann noch durch Scheinbewegungen der Umwelt bei bestimmten Körper- bzw. Kopfbewegungen erschreckt werden, ist das Maß voll. Auch Zuckerkrankheit und Nierenleiden können übrigens – allerdings über ganz andere Abläufe – zu einem ähnlichen Leidensbild beitragen. Noch komplizierter wird es, wenn das Kleinhirn betroffen ist. Dann nimmt die Zahl der beunruhigenden Symptome noch zu (z. B. Bewegungsstörungen, Muskelstarre und Zittern) und verstärkt das ohnehin schon irritierende Schwindelgefühl, diesmal nicht nur bei Kopf-, sondern auch schon Augenbewegungen.

Dieser letzte Punkt ist ohnehin ein Problem für sich. Der so genannte okuläre (Augen-)Schwindel wird – im Gegensatz zu anderen Schwindel-Ursachen – nur bei geöffneten Augen wahrgenommen. Dies findet sich insbesondere nach Verordnung einer neuen Brille, beim Lesen oder bei bestimmten Blickrichtungen.

  • Besonders zermürbend ist der Dreh-Schwindel. Ihn findet man bei dem schon erwähnten benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel (s. o.), aber auch bei so genannten Perilymph-Fisteln. Das ist ein kompliziertes Innenohr-Ereignis, bei dem durch Kopfunfall, aber auch nur Husten oder Niesen bzw. einer beliebigen Kraft-Anstrengung mit Druckerhöhung im Kopf jene Flüssigkeit aus ihrem System austritt (meist durch einen Riss), die der Fortleitung der Schallwellen im Innenohr dient. Die Folge: Dreh-Schwindel, akuter Hörverlust bis zur Ertaubung, Tinnitus. Dreh-Schwindel ist aber auch möglich bei einer Otitis (Entzündung des Ohres oder eines seiner Teile) bzw. des Felsenbeines mit Übergreifen der Infektion auf das Innenohr.

Ein im höheren Lebensalter besonders häufig auftretendes Phänomen sind die Ischämien, die Durchblutungsstörungen. Darauf wurde bereits eingegangen. Ursache sind meist arterosklerotische Veränderungen jener Arterien, die das für das Gleichgewicht bedeutsame Kleinhirn versorgen. Auslösend, zumindest aber verstärkend sind dabei Zuckerkrankheit, zu hohe Blutfettwerte oder ein zurückliegender Herzinfarkt. Noch direkter aber kommt es zu Dreh-Schwindel mit zusätzlicher einseitiger Ertaubung, wenn sich jenes Gefäß verschließt, dass die wichtigsten Organe des Innenohrs versorgen soll, das so genannte Innenohr-Labyrinth. Die dafür zuständigen Experten der HNO-Kunde könnten in diesem Zusammenhang noch eine Reihe weiterer Beeinträchtigungen anführen, wobei es in Extremfällen neben dem Dreh-Schwindel auch zu Übelkeit, Erbrechen, ja, einem kaum beherrschbarem Schluckauf, zu Gesichtslähmungen, Doppelbildern, Schluck- und Sprachstörungen kommen kann – je nach Ausfall der versorgenden Gefäße.

Und schließlich muss man – gerade bei älteren Patienten – auch an Hirntumoren denken, sowohl primär als auch als Tochtergeschwülste. Hier führen aber die modernen bildgebenden Diagnose-Verfahren (z. B. Kernspin-Tomographie des Kopfes) zu raschen und damit zumeist rettenden Erkenntnissen.

Fazit: Schwindel und Gleichgewichtsstörungen im höheren Lebensalter gehen zumeist auf eine Degeneration (also Substanz-Schwund mit Funktionseinbußen) der Sinneszellen im Innenohr zurück. Aber auch die entsprechenden Nervenleitbahnen, ja sogar die dort zwar kleinsten, aber unersetzlichen Muskel-Strukturen und nicht zuletzt die Blutversorgung können im Erkrankungsfall beteiligt sein. Kein Wunder, dass in einem solchen Fall der Hausarzt in der Regel eine ganze Reihe von Experten zu Rate zieht, nämlich nicht nur den HNO-Arzt, sondern auch den Neurologen, Internisten, Augenarzt, Orthopäden usw.

Nun soll es aber ausführlicher um die eher psychosomatisch belastenden Schwindel-Formen gehen, nämlich den Morbus Menière und nicht zuletzt den psychogenen Schwindel.

  • Morbus Menière

Der Morbus (lat.: Krankheit) Menière bzw. die Menière`sche Erkrankung ist charakterisiert durch

  • episodischen Schwindel, meist als anfallsartigen Dreh-Schwindel
  • fluktuierende Hörminderung (mal mehr, mal weniger bis zum Hörverlust)
  • Tinnitus (Ohrgeräusche)

Diese Krankheit ist geradezu exemplarisch dafür geeignet, psychosomatische Zusammenhänge mit Schwindel aufzuzeigen (psychosomatisch: unverarbeitete seelische Störungen äußern sich körperlich, aber ohne organisch fassbaren Befund). Allerdings wird die Diagnose Menière laut Experten-Meinung zu häufig gestellt.

Rein neurologisch kommt es bei typischem Verlauf zunächst zu einem Druck- oder Völlegefühl des betroffenen Ohrs mit Hörminderung und Tinnitus, gefolgt von Dreh-Schwindel und Übelkeit mit oder ohne Erbrechen. Oft ist eine Fallneigung zur Seite des betroffenen Ohres nachweisbar. Als gesichert gilt der Morbus Menière, wenn mindestens zwei Schwindel-Episoden von 20 Minuten Dauer aufgetreten sind sowie wenigstens einmal im Verlauf eine Hörminderung audiometrisch nachgewiesen werden konnte; und wenn ein Tinnitus oder Völle-Gefühl auf dem betreffenden Ohr besteht. Andere Ursachen müssen natürlich zuvor ausgeschlossen werden.

Der Erkrankungsbeginn liegt meist zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr. Anfangs ist nur eine Seite betroffen. Doch die Häufigkeit der Attacken nimmt erst einmal zu, um nach einigen Jahren aber wieder zurückzugehen. Mit zunehmender Dauer erkrankt oft auch die andere Seite. Immerhin gibt der Krankheits-Verlauf zum Optimismus Anlass. Was aber bleibt, ist eine chronische Hörminderung.

Soweit die eher nüchternen Hinweise der Neurologen und HNO-Ärzte. Die Psychiater und psychosomatisch orientierten Psychotherapeuten betonen neben den möglichen neurologischen und HNO-ärztlichen Ursachen (z. B. Hirnhautentzündung, Durchblutungsstörungen, Nikotin- und Alkohol-Missbrauch, ja Tumoren u. a.) vor allem den seelischen Bereich – und der ist nicht ohne:

Vor allem der erste Anfall ist geradezu vernichtend, viele Patienten stehen regelrechte Todesängste aus und geraten in Panik. Denn sie empfinden nicht nur Dreh-Schwindel, sondern erleben gleichzeitig ein starkes Ohrensausen, eine Höreinbuße und heftige vegetative Erscheinungen wie Schweißausbrüche, Übelkeit, Brechreiz, wenn nicht gar eine Kollaps-Neigung. So ist es nicht verwunderlich, wenn manche Betroffene sogar von einem „Vernichtungs-Gefühl“ sprechen.

Der Anfall dauert zwar – wie erwähnt – in der Regel nur einige Minuten. Er kann sich jedoch vor allem in belastenden Lebenssituationen über Jahrzehnte hinweg wiederholen. Solche Auslöser sind hauptsächlich mit Veränderungen am Arbeitsplatz verbunden, z. B. durch Versetzung auf einen ungeliebten Posten, durch Chefwechsel u. a.

Nun sind von derlei Beeinträchtigungen andere Menschen auch nicht sicher. Was spielt also eine Rolle? Zahlreiche Untersuchungen sprechen deshalb von einer ganz spezifischen Persönlichkeitsstruktur mit folgenden Schwerpunkten:

  • überdurchschnittlich intelligente Menschen, mit ausgeprägter Tendenz zur Zurückgezogenheit
  • Perfektionismus in Arbeit und Hobby
  • sehr ernsthaft
  • unfähig zur einer lockeren Unterhaltung
  • starr im Lebensstil
  • übertriebenes Über-Ich

Menière-Patienten leben offenbar ständig unter Zeitdruck und im Zustand einer dauerhaften Überforderung. Auffallend gleichförmig werden auch ihre frühkindlichen Negativ-Erlebnisse geschildert. Dabei stammen sie zwar in der Regel aus wohlgeordneten Familienverhältnissen, aber umgeben von einer kühlen Korrektheit und praktisch niemals mit der notwendigen „Nestwärme“ versehen. Im nachfolgenden Kasten findet sich eine Übersicht über die wichtigsten psychologischen (Fachbegriff: psychodynamischen) Hintergründe, wie sie bei einem Morbus Menière diskutiert werden.

Zur Psychodynamik des Morbus Menière*

- Schwindel-Gefühle als Ausdruck erschwerter Einordnung in die objektive Welt
- Schwindel-Attacken als Zustand größter Ohnmacht und Hilfsbedürftigkeit und zugleich als Möglichkeit intensiver Zuwendung und Beachtung
- Gestörte Entwicklung mit aggressiv-drohendem Vater
- Verinnerlichung aggressiv-sadistischer Impulse
- Unterlegenheitsgefühle mit deutlicher Aggressions-Vermeidung
- Kompensatorisch Ergeiz, hoher Leistungs-Anspruch, Streben nach intellektueller Bestätigung, sozialer Status u. a.

* Auswahl, teils hypothetisch, teils bewiesen. Nach R. Klußmann, 1992

Inwieweit sich dies verallgemeinern lässt, bleibt natürlich fraglich. Immerhin wiederholen sich die entsprechenden Hinweise, und das gibt schon zu denken.

Recht eindeutig ist auch die seelisch-psychosozial vermittelte Auslösung des ersten Anfalls von angepassten, „immer braven“ Mitmenschen mit aber häufig abgewehrter aggressiver Dauer-Spannung, die praktisch nie zum Durchbruch kommen darf. Großes Aufbegehren ist jedenfalls nicht zu erwarten, zumal selbst während der Pubertät die üblichen Generationen-Probleme auszubleiben scheinen. Menière-Patienten sollen im Übrigen auch in der Schule eher Musterschüler ohne Konflikt-Potenzial mit den Lehrern sein.

Dann aber – irgendwann später – der erste Menière-Anfall als tief greifende seelische, körperliche und psychosoziale Erschütterung. Die Anfälle an sich reichen schon aus, um weitere Anfälle auszulösen. Mit anderen Worten: Die Krankheit wird immer stärker selber zum Stress, da der Betroffene nicht mehr sicher sein kann, nicht schon im nächsten Augenblick wieder durch ein derart existenziell erschütterndes Ereignis regelrecht „gefällt“ zu werden.

Dabei kann sich auch ein Teufelskreis entwickeln. Denn rein psychologisch (Fachbegriff: psychodynamisch) gesehen kommt es häufig zu einer Verfestigung der schon vorbestehenden Gefühls-Abwehr, wobei sich aber die innere Spannung erhöht – und die Bereitschaft zum nächsten Anfall auch. Die Experten sprechen deshalb von der Entwicklung einer zusätzlichen, klassisch konditionierten psychogenen Schwindel-Komponente.

Dabei ist die eigentliche, ursprünglich rein organische Ursache ein durchaus unangenehmes und nicht zu vernachlässigendes Phänomen. Man vermutet nämlich ein Leck oder gar das Platzen des überdehnten Endolymph-Schlauchs aufgrund vermehrter Produktion oder verminderter Resorption von Endolymphe, einer klaren Flüssigkeit im Innenohr (Einzelheiten siehe die Spezialliteratur). Die überraschenden Folgen sind nachvollziehbar (s. o.) und der erwähnte Teufelskreis fast schon die Regel.

Die Akut-Behandlung obliegt den HNO-Ärzten und Neurologen, mittel- oder langfristig aber ist der psychotherapeutisch orientierte Psychiater oder Psychologe gefordert, nämlich Beratung, Führung und Stützung. Denn der ohnehin persönlichkeits-bedingt beeinträchtigte Menière-Patient fühlt sich mit seiner relativ seltenen, dafür aber umso dramatischer verlaufenden Erkrankung oft bitter allein gelassen, wenn nicht gar unverstanden.

In der beschwerdefreien Zeit hilft die erwähnte stützende Psychotherapie weiter. Zwar gehört der Morbus Menière nicht mehr zu den klassischen Psychotherapie-Indikationen, doch lassen sich Leidensdruck und Anfallsrisiko durch ein entsprechendes psychotherapeutisches Angebot reduzieren (Gleichgewichts-Training, Übungen zur Körperwahrnehmung, bewegungstherapeutische Verfahren, vor allem aber Aufklärung und damit Ent-Dramatisierung des ja überfallartigen Krankheits-Geschehens).

Wenn man die psychosozialen und persönlichkeits-typischen Aspekte noch einmal rekapituliert (s. o.), geht es vor allem um die allmähliche Herauslösung aus einer Lebenssituation, die insbesondere durch die strengen Gewissensanforderungen gekennzeichnet sind, und sei es durch Wechsel von Arbeitsplatz oder gar Beruf (wobei Tätigkeiten im öffentlichen Straßenverkehr oder mit Absturzgefahr u. ä. ohnehin hinterfragt werden müssen).

Neben bestimmten Arzneimitteln wäre schließlich die allerletzte (!) Möglichkeit eine operative Intervention (z. B. Durchtrennung des zuständigen Nerven). Sie wird aber nur ausnahmsweise bei therapeutisch absolut unbeeinflussbaren Krankheitsfällen diskutiert.

Psychogen (seelisch) bedingter Schwindel

Der psychogen bedingte Schwindel, also seelisch, psychosozial und vor allem psychosomatisch, ist – wenn man alle Unterformen zusammenfasst – wahrscheinlich häufiger als sämtliche organisch bedingte Schwindel-Leiden zusammen. Dies vor allem dann, wenn man die stress-, konflikt-, überforderungs- und erschöpfungs-bedingten Auslöser und Ursachen des (Berufs-)Alltags hinzuzieht. Das geht von leichteren Formen (klassisches Beispiel aus dem Faust 1. Teil von J. W. von Goethe: „Mir wird von alledem ganz dumm, als ging mir ein Mühlrad im Kopf herum“) bis zu schweren Beeinträchtigungen in kritischen Lebensabschnitten, in denen dann „das ganze Dasein seinen Boden verliert“, wie es der berühmte Philosoph Prof. Dr. K. Jaspers ausdrückte, der ja ursprünglich als Psychologe tätig war.

Für den psychogenen Schwindel gilt, was auch für die meisten anderen seelisch-bedingten körperlichen Krankheits-Phänomene typisch ist: Sie werden noch unbestimmter, ungenauer, vager, diffuser geschildert (weil auch so empfunden) als ohnehin bei psychischen Störungen fast schon charakteristisch ist. Oder kurz: Das Unbestimmte ist hier das Typische.

Das macht natürlich dem Arzt und Psychologen und zuvor schon den Angehörigen, Freunden, Nachbarn und Arbeitskollegen wenig Freude, ja Verdruss, denn man kann mit diesen Klagen letztlich nichts anfangen. Zudem geschieht dies mitunter recht manieriert (gekünstelt, übersteigert, bisweilen fast wie „geschauspielert“), auf jeden Fall letztlich bzw. auf Dauer nicht ernst zu nehmen.

Dazu kommen die ständig wechselnden Angaben über Art, Schwere, Dauer und zusätzliche Belastungen des Schwindels. Auch erscheinen diese Patienten recht suggestibel, also schnell und ausgeprägt beeinflussbar, und zwar durch alle möglichen und unmöglichen Faktoren: Bemerkungen, Mahnungen, eigene Erfahrungsberichte aus dem näheren und weiteren Umfeld, Erinnerungen, vor allem aber Zeitungs- und insbesondere Zeitschriften-Artikel, Radio- und Fernsehsendungen.

Und dann die Flüchtigkeit der Beschwerden, was sich bei „echten Leiden“ kaum findet, wie die belastete Umgebung missmutig feststellt und auch der Arzt gelegentlich durchblicken lässt. Tatsächlich dauern die meisten dieser Schwindelanfälle nur einige Minuten, maximal Stunden (Ausnahme: siehe später). Schließlich fallen den aufmerksamen Beobachtern, auch wenn sie Laien sind, eine Reihe von zusätzlichen Klagen bzw. Beschwerden auf, manchmal so viele, dass man schon alleine deshalb an der Ernsthaftigkeit dieser „Krankheit“ zu zweifeln beginnt. Denn letztlich weiß jeder von sich selber, dass man zwar nur selten ein einziges Krankheitszeichen hat (also beispielsweise zum Schmerz auch Hautrötung und Bewegungseinschränkung), aber mehr als zwei oder drei für eine Ursache sind dann doch letztlich ungewöhnlich und damit „irgendwie unglaubwürdig“.

Und dann das entscheidende Kriterium: Kein Arzt findet einen krankhaften Befund, weder der HNO-Arzt (z. B. eine Innenohr-Erkrankung), noch der Neurologe (z. B. einen Kleinhirnbrückenwinkel-Tumor, eine Multiple Sklerose u. ä.) oder der Orthopäde (z. B. eine degenerative oder traumatische Veränderung der Halswirbelsäule, d. h. durch Verschleiß oder Unfall) usw.

Da aber auch der reine „Organ-Mediziner“ schließlich eine seelische Ursache in Betracht zu ziehen pflegt, wird aus deren konkreten Fragen dann rasch deutlich, dass der geklagte Schwindel-Anfall oft in einer kritischen Lebenssituation aufzutreten pflegt, teils als einmaliger Auslöser, teils als dauerhafte Belastung. Und dies entweder bewusst und offen in die Ursachen-Diskussion eingebracht, meist aber unbewusst und dann auch (energisch oder gar gekränkt) in Abrede gestellt, abgewehrt, zurückgewiesen.

So bleibt am Schluss der (zumeist ungeliebte) Schritt zum Nervenarzt (Neurologe und Psychiater) bzw. schließlich Psychiater und zuletzt Psychotherapeut (Zusatzausbildung für Psychiater, Psychologen u. a.) oder inzwischen direkt Ärzte für Psychotherapeutische bzw. Psychosomatische Medizin.

Diese sind sich dann zwar der Diagnose „psychogener Schwindel“ sicher, da ja alle anderen Ursachen fachärztlich ausgeschlossen werden konnten (s. o.), dafür müssen sie aber wie ihre Kollegen in der „Körper-Medizin“ ebenfalls eine Reihe von Differenzierungen treffen, d. h. mögliche Differenzial-Diagnosen erörtern (was könnte es sonst noch sein?).

Und hier bieten sich dann beispielsweise allein beim seelisch bedingten Schwindel noch folgende weitere Ursachen an: Angststörungen (früher Angstneurosen oder so genannte Angst-Äquivalente, d. h. „Angst-Entsprechungen“ genannt), Depressionen, eine ganze Reihe von psychosomatisch interpretierbaren Beschwerden (s. o.), ferner psychose-nahe Störungen oder gar psychotische Erkrankungen (z. B. Schizophrenie), Suchtkrankheiten (Rauschdrogen-, Alkohol- oder Medikamenten-Missbrauch), die Vielfalt der so genannten Re­gressionen (eine Art seelischer Rückschritt in frühere Erlebnis- und Verhaltensweisen, meist auf neurotischer Grundlage) und schließlich spezifische psychosoziale Aspekte (Beispiel: „Schwindel als Ausdruck von Unehrlichkeit?“).

Was heißt das im Einzelnen? Nachfolgend deshalb eine komprimierte Übersicht, aus der auf jeden Fall hervorgeht, wie vielschichtig das Phänomen des „psychogenen Schwindels“ ausfallen kann:

  • Angststörungen

Schon 1895 hat der Vater der Psychoanalyse, Prof. Dr. Sigmund Freud, auf die „hervorragende Stellung des Schwindels in der Symptomgruppe der Angstneurosen“ hingewiesen. Dies hat sich bis heute nicht geändert, wohl aber die Klassifikation der Angststörungen. Dabei geht man im Wesentlichen von drei großen Gruppen aus: Angststörungen auf körperlicher Grundlage, Angststörungen durch konkrete seelische Störungen und schließlich die primären Angsterkrankungen.

Angststörungen auf körperlicher Grundlage sind endokrine Angstzustände (z. B. durch eine Überfunktion der Schilddrüse), metabolische Angstzustände (z. B. als Warnsyndrom bei drohender „Unterzuckerung“ beim Diabetes mellitus), Herzangst-Zustände (Herzrhythmusstörungen, Angina pectoris, Herzklappen-Funktionsstörungen, natürlich der Herzinfarkt), epileptische Angstzustände (sowohl während als auch zwischen den Anfällen), schließlich weitere Beeinträchtigungen nach Schädel-Hirn-Unfall, Hirntumor, Hirnhaut- oder Hirn-Entzündung u. a. Bekannt und mit besonders viel Schwindel-Folgen verbunden ist das so genannte Hyperventilations-Syndrom (Hecheln, z. B. in auch nur unbewusst empfundenen Gefahren-Situationen).

Angstzustände auf seelischer Grundlage finden sich vor allem bei schizophrenen Psychosen und schizoaffektiven Störungen (Depression und/oder Manie sowie Schizophrenie zusammen), bei reinen Depressionen, aber auch Suchtkrankheiten (Alkoholismus, Rauschdrogen, Medikamentenabhängigkeit, Mehrfachabhängigkeit) und schließlich bei einer Reihe von hirnorganischen Störungen (Vergiftung, Arteriosklerose, Stoffwechselstörungen u. a.).

Zu den primären Angsterkrankungen zählte man früher die so genannte Angstneurose und die immer noch so bezeichneten Phobien. Heute differenziert man in ein Generalisiertes Angstsyndrom (die frühere Angstneurose) und die Panikstörung (Panikattacken), in Phobien (Agoraphobie, Sozialphobie, spezifische Phobien) sowie zumindest derzeit noch das Zwangssyndrom (früher Zwangsneurose) und die posttraumatische Belastungsstörung nach entsprechenden Beeinträchtigungen. Im Einzelnen:

- - Bei den generalisierten Angststörungen handelt es sich um allgemeine Angstzustände im Sinne von dauerhaften und vor allem unangemessenen Befürchtungen, Grübeleien oder Sorgen um ein oder mehrere Lebensbereiche, die nicht zu kontrollieren bzw. einzudämmen sind. In dem entsprechenden und vor allem vielfältigen Beschwerdebild spielen gelegentlich auch unbestimmte Schwindel-Zustände eine Rolle.

- - Beim Paniksyndrom müssen mit oder ohne Auslöser (vor allem Letzteres) überfallartige Angstzustände ertragen werden mit Atemenge, Kloß im Hals, Herzrasen, Unwohlsein, Schmerzen in der Brust, Schweißausbrüchen, Übelkeit, weichen Knien oder Beinen, Zittern, allgemeinem Schwächegefühl und einer undefinierbaren Benommenheit mit Schwindel, deshalb meist als „schwindelige Benommenheit“ bezeichnet.

- - Bei den Phobien handelt es sich um zwanghafte Befürchtungen vor bestimmten Situationen, Gegenständen, Tieren, Ereignissen u. a. Dabei unterscheidet man die Agoraphobie, früher nur krankhafte Angst vor weiten Plätzen u. a., inzwischen erweitert auf Säle bzw. Räume wie Kino, Theater, Sportplatz, aber auch enge Räume wie Friseur, PKW, Tunnel, Tiefgaragen, Fahrstühle und schließlich Menschenmengen in jeder Form, vom Supermarkt über die Verkehrsmittel bis zur Warteschlange.

- - Die Sozialphobie ist die Angst vor „dem Anderen schlechthin“, zum einen vor öffentlichem Auftreten, vor Festen, Veranstaltungen, zum anderen aber auch vor alltäglichen Situationen, in denen man von anderen Menschen beobachtet und vor allem bewertet werden könnte.

- - Die spezifischen Phobien sind eine Rest-Kategorie mit übergroßer Angst und entsprechendem Vermeidungsverhalten vor Türmen, Bergen, Gewittern, Dunkelheit, Flugreisen, Tieren, Krankheiten (bzw. schon entsprechenden Untersuchungs-Methoden) u.a.m.

Auch hier spielen in den jeweiligen Beschwerdebildern meist unklare Schwindel-Zustände eine Rolle, am ehesten die schon erwähnte „schwindelige Benommenheit“, nicht so ausgeprägt wie bei den Panikattacken, aber doch erheblich behindernd, verunsichernd, letztlich wohl auch entscheidend für Rückzug und damit Isolationsgefahr. Einzelheiten dazu siehe die entsprechenden Kapitel in dieser Serie.

  • Phobischer Schwank-Schwindel

Eine Sonderform, weil am häufigsten beschrieben bzw. auch wohl am meisten behindernd, ist der phobische Schwank-Schwindel, früher auch „phobischer Attacken-Schwankschwindel“ und heute „somatoformer phobischer Schwank-Schwindel“ genannt. Um was handelt es sich?

Der phobische Schwank-Schwindel ist – wie erwähnt – die wahrscheinlich häufigste Schwindelform des mittleren Lebensalters. Die Betroffenen sind in der Ruhe beschwerdefrei und berichten erst beim Stehen und Gehen über Stand- und Gangunsicherheit und /oder eine Benommenheit, also die schon mehrfach angedeutete „schwindelige Benommenheit“ als belastende Kombination. Der Schwindel entspricht von seiner subjektiven Erlebnis-Qualität her dem gefürchteten Höhen-Schwindel und kann sich derart aufschaukeln, dass am Schluss sogar eine Art Vernichtungs-Angst droht.

Das ist zwar eher selten, dafür findet sich häufiger eine attacken-artig auftretende Fall-Angst (allerdings ohne Stürze) oder einzelne unwillkürliche Körperschwankungen (die aber nur subjektiv empfunden, von Außenstehenden nicht beobachtet bzw. bestätigt werden).

Die Beschwerden treten bevorzugt in Situationen auf, die als Auslöser phobischer Störungen bekannt und gefürchtet sind. Beispiele: Hochhäuser, Restaurants, Konzertsäle, Besprechungen, Empfänge bzw. im Rahmen typischer auslösender und belastender Sinnesreize wie Brücken, leere Räume, Treppen, Straßen, Autofahren, Menschenansammlungen u. a. Das ist noch am ehesten verständlich. Diese überfallartige Fall-Angst ist aber auch spontan möglich, d. h. meist ohne entsprechende Belastungs-Situationen – und damit noch schwerer nachvollziehbar.

Nicht selten steht am Anfang dieser Erkrankung nicht nur eine besondere psychosoziale Belastung, sondern bisweilen auch eine tatsächliche organische Schwindel-Ursache (z. B. Entzündung des entsprechenden „Ohr-Nerven“, des Nervus vestibularis). Auf jeden Fall kommt es im Verlaufe des rein seelischen oder auch organischen Leidens zu einer so genannten Generalisierung auf alle möglichen auslösenden Situationen mit zunehmendem Vermeidungsverhalten, also dem erwähnten Rückzug mit drohender Isolationsgefahr.

Die Untersuchungs-Befunde von HNO-Arzt, Neurologen, Orthopäden u. a. sind unauffällig, vor allem kein Anhalt auf eine Innenohr-Störung. Was dem dann hinzugezogenen Psychiater auffällt, ist ein fast schon charakteristischer Unterschied zu den anderen schwindel-anfälligen Angststörungen wie Agoraphobie oder Panikattacken:

Patienten mit phobischem Schwank-Schwindel klagen nämlich nicht in erster Linie über „Angst“, sondern über „Schwindel“. Und wenn das Gespräch auf die Angst kommt, dann eher im Sinne von Furcht vor diesem schrecklichen Schwindel, also Angst als Reaktion, nicht als eigenständige Angststörung. Deshalb fühlen sie sich auch organisch krank, nicht seelisch.

Allerdings müssen die Experten auch zugeben, dass sich die Agoraphobie und die Panikattacken mitunter schwer vom rein phobischen Schwank-Schwindel abgrenzen lassen und dass wohl auch häufig entsprechende Kombinationen vorliegen. Eines ist aber auf jeden Fall wegweisend, nämlich

  • beim phobischem Schwank-Schwindel wird die Angst nicht spontan mitgeteilt, sondern muss erst oft gezielt erfragt werden
  • während bei einer Panikattacke die Angst im Vordergrund steht und die schwindelige Benommenheit gezielt erfragt werden muss.

Doch dazu kommt es – wenn überhaupt – erst viel später, oft viel zu spät. Denn Patienten mit phobischem Schwank-Schwindel weisen häufig zwanghafte und perfektionistische Persönlichkeitszüge auf, die später durch eine depressive Reaktion noch verstärkt wird. Und gerade solche Charakterzüge lassen es erfahrungsgemäß besonders schwer zu, ein Psychiater oder Psychologen aufzusuchen. Sie fühlen sich körperlich krank und nicht „seelisch labil oder gar gestört“. Und das führt sie zwangsläufig zum entsprechenden „Spezialarzt ihres Symptoms“ und das sind überwiegend HNO-Ärzte, ggf. reine Neurologen (und nicht Nervenärzte mit beiden Ausbildungen).

Da der phobische Schwank-Schwindel aber nicht zum diagnostischen Repertoire der meisten Neurologen oder gar HNO-Ärzte gehört, ist der Zeitraum bis zur zutreffenden Diagnose lang, im Mittel etwa drei Jahre, wie die zuständigen Experten errechnet haben. Und er erfolgt natürlich erst nach vielen Arztbesuchen, überflüssigen apparativen Untersuchungen und der halt doch falschen Einordnung unter ein organisches Schwindel-Syndrom (beispielsweise als „zervikogener Schwindel“ oder als „vertebro-basiläre Durchblutungsstörung“ – mit entsprechend erfolglosen Behandlungsversuchen).

Therapeutisch geht es aber in solchen Fällen erst einmal um Aufklärung und eine verhaltenstherapeutische „De-Sensibilisierung“ in eigener Regie (deshalb auch „Eigen-Desensiblisierung“ genannt). Die Betroffenen müssen sich den Situationen stellen, dürfen nicht aus- und zurückweichen (siehe Rückzug und Isolation), was zuerst unter Anleitung eines Therapeuten und später selbständig möglich ist.

Notfalls kann die Aufklärung zu einer intensiveren Psycho-Edukation ausgebaut werden, also einer regelrechten „Patienten-Weiterbildung in eigener Sache“, die vor allem die seelisch bedingten Mechanismen dieses Leidens erläutert, einschließlich der zugrunde liegenden Persönlichkeitsstruktur (s. o.). Außerdem darf der Patientin die für seine Schwindel auslösenden Situationen nicht meiden, sondern muss sie sogar suchen. Nur so kann er die Überwindung regelrecht trainieren.

Schließlich trägt auch regelmäßige körperliche Aktivität zur Besserung bei, nicht zuletzt über die hirnorganische Schiene (Aktivierung von Botenstoffen?). Hilfreich ist in vielen Fällen auch eine medikamentöse Unterstützung mit so genannten Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI), die den nicht ausreichend verfügbaren Botenstoff Serotonin wieder stärker verfügbar machen. Bei eindeutiger Agoraphobie und noch spektakulärer bei Panikattacken sind solche Medikamente sogar unverzichtbar und mitunter geradezu erstaunlich wirksam, versichern die psychiatrischen Experten.

  • Depressionen

Auch bei Depressionen, gleich welcher Untergruppe, spielen Schwindel-Zustände keine geringe Rolle. Früher unterteilte man in reaktive, neurotische und Erschöpfungs-Depressionen, in endogene und somatogene (körperlich begründbare) Depressionen, das ist inzwischen Geschichte. Man glaubt, es gebe hier zu viele Überschneidungen, um einzelne Depressions-Formen herausheben zu können.

Wie auch immer, die Klage über Schwindel findet sich vor allem bei den früheren neurotischen Depressionen (heute in der Gruppe der so genannten Dysthymien aufgehend) und bei dem, was man eine larvierte oder maskierte Depression nannte (bei der also das seelische Beschwerdebild hinter körperlichen Krankheitszeichen gleichsam versteckt, zumindest aber maskiert wird, vom lat.: larva = Maske).

Hier kann nach Ansicht der Experten die Beschwerde über Schwindel alle anderen Symptome geradezu überdecken, ja sich bis zur eigentlichen depressiven Inhaltsbildung ausprägen. Besonders nach Trennungen und Verlusten in Form der früheren reaktiven Depressionen nach Schicksalsschlag pflegt es zum Auftreten von Schwindel-Phänomenen zu kommen. Dabei kann – wie erwähnt – der depressive Anteil so zurücktreten, dass die Schwermut als solche den Betroffenen nicht einmal bewusst wird.

  • Schizophrene Psychosen

Einzelheiten zu den Schizophrenien siehe die entsprechenden Kapitel in dieser Serie. Dabei wird zwar deutlich, dass diese schwer beeinträchtigten Betroffenen nicht zuletzt unter dem zu leiden haben, was sich die meisten unter einer Schizophrenie vorstellen, vor allem Wahn und Sinnestäuschungen.

Doch hier hat sich in den letzten Jahrzehnten einiges gewandelt (Fachbegriff: „Gestaltwandel der Schizophrenien“, vor allem durch den Einfluss wirkungsvoller antipsychotischer Medikamente, der Neuroleptika). Allerdings finden sich noch immer Patienten mit dem, was die Experten Zoenästhesien nennen, eigenartige qualitative Leibgefühle. Sie kamen früher bei fast jedem Schizophrenen vor (auch wenn man es in der Regel gezielt erfragen musste) und waren in Einzelfällen so ausgeprägt, dass man daraus sogar einen zoenästhetischen Unter-Typ der schizophrenen Psychose bildete.

Auf jeden Fall sind diese Leibgefühls-Störungen von fast unübersehbarer Mannigfaltigkeit, einem raschen Wechsel unterworfen und oftmals überfallartig auftretend. Sie sind so eigenartig, fremdartig und bizarr, dass sie vom Betroffenen kaum zu beschreiben sind. Alles in diesem krankhaften Rahmen Mögliche aufzuzählen, würde diesen Beitrag sprengen.

Eine Form, die besonders unangenehm ist, sind die so genannten „vestibulären Sensationen“, also Anfälle von Dreh-Schwindel und dem damit verbundenen Gefühl der Gang-Unsicherheit und der Empfindung, wie auf Wellen oder Kork zu laufen. Das führt nicht nur zu einer körperlichen Missbefindlichkeit, sondern auch zur abnormen Erschöpfbarkeit, von den seelischen Beeinträchtigungen und psychosozialen Konsequenzen ganz zu schweigen.

Zoenästhesien im Sinne von Schwindel u. ä. belasten vor allem schizophrene Psychosen, können aber auch bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen sowie schizoaffektiven Psychosen (Schizophrenie, Depression und/oder Manie zugleich – s. u.) geklagt werden. Mitunter finden sich auch entsprechende Hinweise im Rahmen schizoider bzw. schizotypischer Persönlichkeitsstörungen, insbesondere während entsprechender Entfremdungsgefühle bzw. Depersonalisations-Phänomene („alles so sonderbar um mich herum“ bzw. „ich bin nicht mehr ich“).

Die Behandlung besteht in der Gabe hoch potenter Neuroleptika, die inzwischen derart fortentwickelt werden konnten, dass ihre gefürchteten (extrapyramidal-motorischen) Nebenwirkungen weitgehend zurücktreten, was sie dann durch verbesserte Einnahme-Zuverlässigkeit noch erfolgreicher macht.

  • Rauschdrogen-Konsum, Alkohol-Missbrauch und Medikamenten-Sucht

Eine Schwindel-Provokation mit leichterer Ursachen-Suche sind die Intoxikationen (Vergiftungen) durch Missbrauch und Abhängigkeit von Rauschdrogen, Alkohol und entsprechenden Medikamenten.

- Beim Alkohol ist es klar; hier ist die Schwindel-Beeinträchtigung (Rausch-Folgen) individuell abhängig von der Dosis, aber auch später ggf. im Alkohol-Entzug.

- Bei den Rauschdrogen sind es vor allem die Halluzinogene wie Haschisch / Marihuana, LSD, STP u. a., ferner Kokain sowie die Opiate. Auch bei den schwer kalkulierbaren Designer-Drogen kann es dosis-abhängig zu Schwindel kommen.

- Bei den Medikamenten sind es insbesondere die psychotropen, also auf das Zentrale Nervensystem und damit Gemütsleben wirkenden Pharmaka, deshalb auch Psychopharmaka genannt. Ähnliches gilt allerdings auch im erweiterten Sinne für Schlaf- und Schmerzmittel sowie die so genannten Phasenprophylaktika (gegen die Rückfallgefahr von manisch-depressiven Zuständen).

Das wohl häufigste Schwindel-Risiko geht von Beruhigungsmitteln (Tranquilizern) aus, wobei aber auch niederpotente (sedierende) Neuroleptika (Antipsychotika) und einige Antidepressiva mit dämpfender Wirkung nicht unterschätzt werden dürfen.

In allen Fällen aber ist – wie gesagt – die Diagnose relativ leicht zu stellen (sofern der Patient die Einnahme obiger Substanzen zugibt) und die Therapie über Absetzen (Alkohol und Rauschdrogen) bzw. Dosis-Anpassung (verordnete Medikamente) rasch und wirkungsvoll einzuleiten.

  • Weitere funktionelle Aspekte

Neben den erwähnten Ursachen und Auslösern gibt es noch eine Reihe von neurosen-psychologischen Aspekten (wie dies früher genannt wurde) bzw. funktionellen Phänomenen, bei denen im Rahmen der psychosomatischen Störungen (wenn unverarbeitete seelische Probleme sich körperlich äußern) psychodynamische Erklärungen weiterhelfen.

Dazu gehören beispielsweise Konversion und Regression. Um was handelt es sich?

  • Unter Konversion versteht man unter psychoanalytischer Sichtweise entsprechend der Bedeutung des Wortes (lat.: convertere = umwenden) jenen Vorgang, bei dem seelische bzw. psychosoziale Konflikte in körperliche Symptome umgesetzt (konvertiert) werden und damit in symbolischer Form zum Ausdruck kommen. Das entlastet natürlich auch die Seele, um es einmal schlicht auszudrücken. Psychodynamisch gesehen sind es Wunschvorstellungen, Fantasien und Erinnerungen, die aber nicht zum Bewusstsein vorgelassen werden (innerseelische Zensur), sondern durch Verdrängung in das so genannte Unbewusste abgedrängt werden. Dort können sie sich aber – „körperlich umgewandelt“ – wieder bemerkbar machen. Dann nennt man sie Konversions-Symptome (was bis zur Konversions-Hysterie gehen kann).

Im Rahmen eines solchen Konversions-Vorgangs in die Körpersprache können Schwindel-Phänomene symbolisch auch an verdrängte Erlebnisse erinnern. Schwindel wird dann – so die Experten – zum verschlüsselten Ausdruck unbewusster, meist erotischer bis sexueller Erfahrungen. Dies deutlich, d. h. bewusst zu machen und damit zu neutralisieren, damit keine Umsetzung in einen körperlichen Schwindel mehr nötig ist, bleibt die Aufgabe des in der Regel psychoanalytisch arbeitenden Psychotherapeuten (siehe die entsprechenden Kapitel in dieser Serie, z. B. Neurosen einst und heute).

  • Unter Regression versteht man entsprechend der Bedeutung des Wortes (lat.: regredi = zurückgehen) ein Zurückschreiten von einer höheren Entwicklungsstufe in eine frühere, ältere, niedrigere, so die ursprüngliche Interpretation. Das kann nun rein biologisch, aber auch psychologisch verstanden werden. In der Psychoanalyse ist es das Wiederauftreten von entwicklungsmäßig früheren Verhaltensweisen, gleichsam die Umkehr von einem einmal erreichten Entwicklungsstand auf einen früheren.

Entwicklungs-psychologisch verweisen die Experten deshalb auf die Zeit, in der das Kleinkind vom Gehalten- und Getragen-Werden durch die Mutter zum selbstbestimmten aufrechten Gang und Laufen angeregt wurde. Diese Phase hat natürlich frühkindliche Gefühls-Regungen entwickelt und beim Erwachsenen wieder aufgewühlt, wie sie beispielsweise im positiven Angst-, aber auch Lust-Erleben auf der Achterbahn bzw. vergleichbaren Vergnügungs-Gefährten nach-inszeniert werden können. Eine solche sausende Fahrt, möglicherweise noch mit Überschlagung, Dreh-, Fall- und Steig-Aktionen kann nur dann genossen werden, wenn man auf die Stabilität solcher Gefährte vertraut. Oder, wie es die Experten nennen: „Die Grenz-Erfahrung wird gerade deswegen lustvoll erlebt, weil es hält“. Müsste man mit einem Crash rechnen, wäre das Vergnügen schon viel eingeschränkter…

Entsprechend treten Angst und damit – ins Körperliche übertragen – angst-geleiteter Schwindel dann auf, wenn die innere Sicherheit und Geborgenheit vermittelnde Vorstellung bedroht ist, wenn man tatsächlich den Grund unter den Füßen verliert, wie auch immer Grund und Verlust im jeweiligen Fall zusammenhängen.

So steht manchmal hinter dem körperlichen Phänomen „Schwindel“ ein persönliches Geheimnis, dessen Auflösung einerseits gewünscht und gleichzeitig befürchtet wird. Deshalb wird die Schilderung des Schwindels vom erfahrenen Therapeuten auch als Signal empfunden, dass sich hier jemand selbst beschwindelt, selbst etwas vormacht, letztlich unehrlich zu sich (und den anderen?) ist, um etwas zu verbergen, dessen Offenlegung so manche schmerzliche, peinliche oder entlarvende Hintergründe aufdecken würde.

Wie unterscheidet man den organischen vom psychogenen Schwindel?

Wie unterscheidet man nun den organischen vom psychogenen Schwindel? Als Erstes wird man grundsätzlich eine mögliche organische, d. h. körperliche Ursache abzuklären versuchen. Das Problem besteht nicht zuletzt darin, dass man es sich bei seelischer Auffälligkeit in puncto körperlicher Untersuchung zu leicht machen kann und – umgekehrt – bei körperlicher Krankheit zu wenig an eine zusätzliche seelische Labilität oder psychosoziale Belastung denkt. Wer beides zu ertragen hat, hat es ja noch schwerer. Dadurch wird nämlich das jeweilige lehrbuch-mäßige bzw. psychiatrische oder neurosen-psychologische Krankheitsbild mehrschichtig, schlicht gesprochen: „verkompliziert“, verliert auf jeden Fall an gewohnter diagnostischer Schärfe (für den jeweiligen Experten) und gerät damit ungewollt in die riskante Ecke der Simulation.

Was gibt es deshalb für Unterscheidungsmöglichkeiten?

Der psychogene (auch funktionell genannte) Dreh-Schwindel wird meist als Dreh-Bewegung „im Kopf“ geschildert. Patienten mit einer organischen Ursache des Dreh-Schwindels hingegen lokalisieren die Dreh-Bewegungen außerhalb des Kopfes, etwa im Sinne einer Schein-Bewegung.

Die funktionellen (s. o.) Schwindel-Störungen äußern sich vornehmlich in Beschwerden, die eine Bewegung oder Unsicherheit des ganzen Körpers zum Inhalt haben. Diese „totale Ausbreitung“ fehlt in der Regel beim organisch bedingten Schwindel. Der wird konkreter, d. h. örtlich umschriebener, gezielter lokalisiert geschildert.

Beim psychogenen Schwindel in seiner reinsten Form fehlen vegetative Begleiterscheinungen wie Erbrechen, Schwitzen oder Blässe. Das wiederum kann beim organischen Schwindel in Einzelfällen sogar im Vordergrund stehen.

Ein Dauer-Schwindel über Monate oder Jahre spricht eher für eine psychogene Ursache, es sei denn, man findet gleichzeitig eine stichhaltige Störung im Bereich von Ohr, Auge oder Zentralem Nervensystem.

Schließlich gibt es noch technische Möglichkeiten, vor allem die so genannte „Frenzel-Brille“, schon vor einem halben Jahrhundert von einem deutschen HNO-Arzt entwickelt. Man nennt sie auch Nystagmus-Brille, versehen mit kleinen Glühbirnen beidseits am Brillenrand, um den erwähnten Nystagmus, also unwillkürliche rhythmische Augenbewegungen zu prüfen, was in einer Vielzahl von Variationsmöglichkeiten gegeben ist und dem Experten signalisiert:

Wird während der Untersuchung unter der Frenzel-Brille ein eindeutiger Dreh-Schwindel beklagt, ohne dass ein so genannter Spontan-Nystagmus zu beobachten ist, gilt der Schwindel als seelisch bedingt.

Therapeutische Schlussfolgerung

Auf einzelne Aspekte wurde bereits hingewiesen. Eines aber soll noch einmal wiederholt werden: Denn gerade beim Schwindel ist der Patient (und letztlich auch der behandelnde Arzt) auf eine stabile und tragfähige Arzt-Patient-Be­ziehung angewiesen. Nur dadurch kann ein adäquates Krankheits-Verständnis erarbeitet werden, was ja bei psychogenen Krankheits-Entwicklungen besonders wichtig ist (Verstärkung oder gar Simulation bzw. echter Leidensdruck?).

  • Bedeutsam ist deshalb die so genannte Ent-Ängstigung des Patienten, denn Angst hat er eventuell schon zuvor als Ursache und bekommt sie später noch mehr durch ein Krankheits-Phänomen, das jeden, aber auch wirklich jeden verunsichern und verschrecken dürfte. „Schwindel macht den stärksten Mann hilflos.“

Deshalb muss vor allem nach den psychosomatisch gefärbten bzw. psychosozial bedeutsamen Hintergründen hinter der jeweiligen Lebens-Situation gefahndet, d. h. gezielt gefragt werden, selbst wenn es sich um ein organisches Leiden handeln könnte.

So etwas ent-ängstigt nicht nur, es kann auch Wut, Zorn, ja Feindseligkeit (gegen wen, gegen was?) auf der einen Seite und Ratlosigkeit, Hilflosigkeit, ja Fatalismus auf der anderen neutralisieren helfen. Schwindel macht ja hilflos, total hilflos, das muss angesprochen und gemeinsam geändert werden – auch und vor allem bei seelischen Ursachen.

Schließlich ist gerade beim Schwindel darauf zu achten, dass sich hier in der ahnungslosen und un-informierten Allgemeinheit keine falschen Verdächtigungen einschleichen, möglichst noch unausgesprochen, heimlich, dann umso folgenreicher. Was heißt das?

Wer unter Schwindel leidet, der schwankt auch, stürzt vielleicht sogar. Ob man will oder nicht, man denkt zuerst (oder zumindest sehr rasch) an einen Betrunkenen. Natürlich könnte es auch etwas anderes sein, aber was häufig ist, ist häufig, und was selten ist, ist selten. Und da verändern Alkoholisierte rein zahlenmäßig sofort das Verständnis-Verhältnis zu Lasten der nicht-intoxikierten Opfer („vielleicht doch ein Gläschen zuviel…?“). Kurz: Es drohen Verdächtigungen, nach und nach Stigmatisierung, wenn nicht gar Diskriminierung – wieder vor allem unausgesprochen und dafür umso verhängnisvoller um sich greifend.

Die Konsequenzen sind bekannt: Die Betroffenen meiden die Öffentlichkeit, engen ihren Aktionsradius immer mehr ein, bleiben schließlich ganz zu Hause.

Darüber hinaus sind Schwindel-Patienten ja auch noch abhängig von anderen, zumindest ihren nahen Angehörigen. Wer sich nicht sicher und vor allem absehbar sicher bewegen kann, neigt deshalb nach und nach zu sozialem Rückzug und isoliert sich damit, wie mehrfach angesprochen.

  • Psychotherapeutisch hat sich deshalb vor allem neben der notwendigen Aufklärung die Verhaltenstherapie bewährt, besonders wenn bestimmte Angststörungen beteiligt sind. Auch gehört dazu die schon besprochene De-Konditionierung von Vermeidensverhalten oder kurz und auf Deutsch: jetzt erst recht.

Im Übrigen setzen erfahrene Psychotherapeuten, ob Arzt oder Psychologe, die in der eigenen Praxis bzw. am jeweiligen(!) Patienten bewährten Therapie-Methoden ein, d. h. je nach Krankheit und Schicksal variierbar. Dies gilt nicht zuletzt für den psychogenen Schwindel und die dahinter liegenden Konfliktsituationen mit ihren seelischen und psychosozialen Konsequenzen.

Bei komplexeren und insbesondere lebensgeschichtlich verwurzelten Störungen und Krisen, wie es die Experten nennen, ist allerdings auch ein psychoanalytischer Zugang sinnvoll und erfolgsversprechend. Dabei sind jedoch einige Voraussetzungen zu beachten, deren Erörterung hier jedoch zu weit führen würde.

  • Bei der medikamentösen Behandlung denkt man zuerst an die so genannten Antivertiginosa, also bestimmte Arzneimittel gegen Schwindel, z. B. bestimmte Antihistaminika, wie sie auch gegen Allergien eingesetzt werden. Ferner an durchblutungsfördernde Medikamente bzw. im Gehirn zentral angreifende Pharmaka einschließlich bestimmter Psychopharmaka.

Diese Entscheidung trifft der Arzt, in schwierigen Fällen ein interdisziplinäres Facharzt-Kollegium von HNO-Arzt, Neurologe und Psychiater. Letzterer ist vor allem dann gefordert, wenn Depressionen, Angststörung (= bestimmte Antidepressiva) oder psychotische Dekompensationen (= Neuroleptika) zu behandeln sind.

Tranquilizer, also Beruhigungsmittel, meist vom Typ der so genannten Benzodiazepine, die vor allem in der akuten (!) Angstbehandlung durchaus erfolgreich sein können (deshalb auch Anxiolytika, also Angstlöser genannt), werden bei mittel- oder gar längerfristigen Therapie hingegen kritisch gesehen. Das hat nicht nur etwas mit der drohenden Abhängigkeit zu tun (Benzodiazepine machen seelisch und körperlich abhängig, manchmal sogar in Form einer schwer erkennbaren Niedrig-Dosis-Abhängigkeit), es ist auch psychodynamisch bedeutsam. Denn hier kann das Medikament eine Art pharmakologische Sicherheit vorgaukeln, die einerseits erwünscht ist, andererseits aber den Betroffenen in einer trügerischen Sicherheit hält, denn Angst bzw. angst-bedingter Schwindel hat ja auch eine Signalwirkung, will uns etwas sagen.

Das mag auf den ersten Blick etwas überzogen wirken, doch sieht es jeder bei dem Parallel-Beispiel mit dem Schmerz ein: Wer keinen Schmerz empfinden kann (auch das gibt es, das sind bestimmte Ausfallserscheinungen im Nervensystem, was die Schmerzleitung anbelangt), der ist in Gefahr. Es warnt ja nichts und niemand.

Genauso ist es mit der Furcht bestellt, die vor Gefahren in der Außenwelt warnt; und der krankhaften Angst, die auf Probleme in der seelischen Innen-Welt hinweist. Und da dies manchmal nicht über die Angst-Schiene an sich läuft, sondern über bestimmte psychosomatische Beschwerden (man erinnere sich: seelische Störungen äußern sich körperlich), kann auch der Schwindel ein wichtiger Hinweis sein, auf was (endlich!) zu achten ist. Und wenn nicht, aus welchem Grund auch immer, dann verlöscht diese „rote Warn-Lampe namens Schwindel“ solange nicht, bis schließlich wirklich etwas zur Korrektur geschieht.

Glücklicherweise sind Diagnose und Therapie aber heute so fortentwickelt, dass die Betroffenen nicht mehr (so lange) auf eine Linderung oder gar Genesung warten müssen, wie das früher schicksalhaft unumgänglich war. Allerdings: Der Patient darf nicht nur still vor sich hin leiden, er soll, er muss die dafür zuständigen ärztlichen und später ggf. psychologischen Spezialisten aufsuchen und deren Möglichkeiten nutzen.

Literatur

Aufgrund der krankheits- und damit zahlenmäßigen Bedeutsamkeit des Themas umfangreiche deutsch- und vor allem englisch-sprachige Fachliteratur, besonders in den Fachzeitschriften, aber auch (Lehr-)Büchern, vereinzelt auch allgemein-verständlich. Nachfolgend lediglich eine begrenzte Auswahl:

Grundlage vorliegender Ausführungen sind

Lampachter, U.: Schwindel. In St. Ahrens, W. Schneider (Hrsg.): Lehrbuch der Psychotherapie und Psychosomatischen Medizin. Schattauer Verlag, Stuttgart-New York 2002

Sopko, J.: HNO-Heilkunde. Unterkapitel: Der Schwindel. In: Th. v. Uexkuell u. Mitarb. (Hrsg.): Psychosomatische Medizin. Verlag Urban & Fischer, München-Jena 2003

Thömke, F.: Was bringt Ihre Patienten aus dem Gleichgewicht? Schwindel-ABC für den Hausarzt. MMW-Fortschr. Med. Sonderheft 2 (2007) 70

Weiterführende Literaturhinweise:

Berghaus, A.: HNO-Erkrankungen. In: H. C. Deter (Hrsg.) Angewandte Psychosomatik. Thieme-Verlag, Stuttgart-New York 1997

Brandt, T.: Schwindel. In: K. Kunze (Hrsg.): Lehrbuch der Neurologie. Thieme-Verlag, Stuttgart-New York 1992

Brandt, T.: Schwindel. In: T. Brandt u. Mitarb. (Hrsg.): Therapie und Verlauf neurologischer Erkrankungen. Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 2007

Deter, H. C. (Hrsg.): Angewandte Psychosomatik. Thieme-Verlag, Stuttgart-New York 1997

Faust, V. (Hrsg.): Psychiatrie. Ein Lehrbuch für Klinik, Praxis und Beratung. Gustav-Fischer-Verlag, Stuttgart-Jena-New York 1995

Faust, V.: Medikament und Psyche. Wiss.Verlags.Ges., Stuttgart 1995

Faust, V.: Seelische Störungen heute. Verlag C. H. Beck, München 2007

Faust, V., H. Baumhauer: Psychopharmaka. ecomed-Verlag, Landsberg 1990

Fröscher, W. (Hrsg.): Neurologie. Verlag Walter de Gruyter, Berlin-New York 1991

Geschwinde, Th.: Rauschdrogen. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 2003

Hillert A., E. Schmitz (Hrsg.): Psychosomatische Erkrankungen bei Lehrerinnen und Lehrern. Schattauer-Verlag, Stuttgart-New York 2004

Hoffmann, S.O., G. Hochapfel: Neurosenlehre, Psychotherapeutische und Psychosomatische Medizin. Schattauer Verlag, Stuttgart-New York 1995

Huber, G.: Psychiatrie. Schattauer-Verlag, Stuttgart-New York 2005

Klußmann, R.: Psychosomatische Medizin. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 2002

>Lexikon der Krankheiten und Untersuchungen. Thieme-Verlag, Stuttgart-New York 2006

Margraf, J., S. Schneider: Panik. Angstanfälle und ihre Behandlung. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 1990

Mumenthaler, M.: Der neurologische Patient und der Schwindel. In: K. Karbowski (Hrsg.): Der Schwindel aus interdisziplinärer Sicht. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 1981

Richter, H.E, D. Beckmann: Herzneurose. Thieme-Verlag, Stuttgart-New York 1973

Soyka, M.: Alkoholabhängigkeit. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 1999

Stoll, W. (Hrsg.): Differentialdiagnose Schwindel. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 1998

Stoll, W. u. Mitarb. (Hrsg.): Schwindel und Gleichgewichtsstörungen. Thieme-Verlag, Stuttgart-New York 1998

Stoll, W. (Hrsg.): Vestibuläre Erkrankungen. Thieme-Verlag, Stuttgart-New York 2001

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
Beachten Sie deshalb bitte auch unseren Haftungsausschluss (s. Impressum).