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JAHRESZEIT UND SUIZID

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Warum bringen sich die meisten Selbstmörder in der schönsten Jahres­zeit um?

 

Hängt die Suizidhäufigkeit von der Jahreszeit ab? Ja, so die einhellige Mei­nung: vor allem in den düsteren Spätherbst- und Wintermonaten. Nein, so die Experten: Am gefährlichsten ist die schönste Jahreszeit, nämlich später Früh­ling und Sommerbeginn. Wer das nicht glauben kann, muss sich von einer fast 200 Jahre alten lückenlosen Statistik aus aller Welt belehren lassen.

 

Was löst eine solche „paradoxe Lebensmüdigkeit“ aus? Gibt es sozioökonomi­sche, psychosoziale, genetische, biochemische oder sonstige Einflussfakto­ren? Wahrscheinlich kommt vieles zusammen, um einen solch letzten Ent­schluss zu fassen und vor allem konsequent auszuführen. Und wahrscheinlich gibt es auch soziale Ursachen (die bei jedem Betroffenen anders ausfallen) und biologische Ursachen (die man noch nicht kennt).

 

Aber auch eine Erklärung aus psychiatrischer Sicht, die vielleicht nicht ent­scheidend, sehr wohl aber den eigenartigen Zeitpunkt (Schönwetter, schönste Jahreszeit) zumindest miterklären könnte. Nachfolgend deshalb eine kurze Übersicht zu diesem bedrückenden, aber präventiv zumindest teilweise beein­flussbaren Phänomen.

 

Erwähnte Fachbegriffe:

 

Suizid – Selbsttötung – Freitod – Lebensmüdigkeit – Selbstmord – Suizidver­such – Suizidarten – Suizid-Ursachen – Suizid-Motive – Suizid-Alarmzeichen – Suizid-Risiko – Wetter – Klima – Medizinmeteorologie – Biometeorologie – Jahreszeit – jahreszeitliche Suizidhäufung – Suizid-Frühjahrsgipfel – Suizid-Frühsommergipfel – Suizid-Saisonalität – Suizid und Lufttemperatur – Suizid und Sonnenscheindauer – Suizid und Sonnenstrahlung – Suizid und psycho­soziale Aspekte – Suizid und sozioökonomische Aspekte – Neurohormone – Testosteron – Östrogen – Kortisol – L-Tryptophan – Serotonin – Gehirnstoff­wechsel – Melatonin – Depression – Angststörung – Neurose – Schizophrenie – Alkoholismus – Rauschdrogenabhängigkeit – Depressions-Beschwerdebild – Depression und Schönwetter – Depression und paradoxe Wetter-Reaktion – Schwermut und Sonnenschein – Schwermut und Schlechtwetter – Wetterfüh­ligkeit – Wetterabhängigkeit – Föhn – Kaltfront – Warmfront – Schwüle – Lichtmangel – Lichtmangel-Depression – saisonale Depression – Winter-Depression – Herbst-Depression – Psychotherapie – Psychopharmaka – Anti­depressiva – Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) – Suizid-Vorbeu­gung – „Wetter-Suizidprophylaxe“ – u.a.m.

 

Was gibt es schöneres als den „Wonne- Monat“ Mai und den nicht weniger er­freulichen Juni, den späten Frühling und den „jungen“ Sommer, wo alles blüht, die „linden Lüfte wehen“, die Menschen auch in den kälteren Regionen ihre engen (und oft dunklen) Behausungen verlassen können, ins Freie strömen, kurz: „das Leben beginnt wieder“.

 

Da irritiert es umso mehr, wenn man vom Gegenteil hört: Versuch oder gar vollendeter Tod von eigener Hand, also Suizid, Selbstmord. So etwas kann niemand verstehen, ausgerechnet jetzt.

 

Niemand? Menschen, denen es seelisch nicht gut geht, wahrscheinlich eher. Warum, was spielt sich hier ab, innerlich, äußerlich, biochemisch, psycho­sozial?

 

Nachfolgend deshalb eine kurz gefasste Übersicht ohne bündige Erklärung, denn sie gibt es nicht, noch nicht.

 

 

Suizid – Selbstmord – Selbsttötung, was ist das?

 

Der Suizid (vom lateinischen: sua manu caedere = von eigener Hand fallen bzw. gefällt werden), die Selbsttötung, der beschönigende Begriff „Freitod“ (denn mit der Freiheit ist es gerade hier nicht weit her) und das gängige, aber falsche Wort Selbstmord (denn ein Mord im juristischen Sinne liegt nicht vor) ist ein spezifisch menschliches Problem.

 

Nur der Mensch kann seinen eigenen Tod wollen. Selbstzerstörerisches Ver­halten wie bei manchen Tierarten (z. B. Lemminge oder Wale), das nicht mir der Vorstellung des Todes verknüpft ist, gilt nicht als Suizid. Die Selbsttötung findet sich überall und zu jeder Zeit. Sie kam auch in primitiven Gesellschaften vor, durchzieht alle Epochen der Geschichte. Wahrscheinlich gibt es kaum einen Menschen, dem noch nie in irgendeiner Form einmal der Gedanke an ein selbstgewähltes Ende gekommen wäre.

 

Allein in der westlichen Welt sollen rund 1.000 Menschen pro Tag Suizid be­gehen. In Deutschland findet alle Dreiviertel-Stunde ein Lebensmüder seine Erlösung (Tendenz derzeit etwas zurückgehend). Dazu schätzt man zwischen 5 bis 10-mal und mehr soviel Suizidversuche.

 

Einzelheiten zu diesem traurigen Kapitel finden sich in dieser Reihe unter der Rubrik Seelisch Kranke unter uns in zwei Kapiteln, nämlich Selbsttötungs­gefahr Teil 1 und 2.

 

     In Teil 1 geht es um Definition, Suizidarten (harte und weiche Methoden), Häufigkeit, Charakteristika von Suizid und Suizidversuch, Altersverteilung, um Mitnahme- oder erweiterten Suizid, um Innen- und Außenfaktoren, d. h. Ursachen (Krankheitsbilder) und Motive (Vereinsamung, Berufs- und Schul­probleme, finanzielle Schwierigkeiten, Schmerzbilder, Strafverfahren, Part­ner- und sonstige zwischenmenschliche Probleme) u. a.

 

     In Teil 2 geht es um Erkennen und Handeln, falsche Vorstellungen und Irrtü­mer, Alarmzeichen (was spricht für ein erhöhtes Suizidrisiko?), konkrete Maßnahmen mit dem rechtzeitigen Erkennen, Vorbeugen und Eingreifen u. a.

 

 

Suizid und Wetter – ein falscher Ansatz?

 

Das Wetter ist in aller Munde, im Guten wie im Schlechten. Auch das Klima spielt eine Rolle, obgleich die meisten Menschen diese beiden Phänomene nicht exakt zu trennen pflegen. In wissenschaftlicher Hinsicht aber sind Wetter und Klima von jeher ein interessantes Forschungsgebiet gewesen, das in der Regel aber nur interdisziplinär gemeistert werden kann. Das heißt, dass zu den eigentlichen Wetter-Spezialisten, den Medizinmeteorologen oder (im erweiter­ten Sinne) den Biometeorologen auch die Experten des jeweiligen Faches mit ihrem Spezialwissen hinzustoßen müssen, um überhaupt den Zugang zu einem Gebiet zu bekommen, das sich als überaus kompliziert erwiesen hat.

 

Im vorliegenden Falle sind das die Psychiater, die den Medizinmeteorologen und Biometeorologen bei der Frage helfen sollten: Ist der Entschluss zu einem Suizid auch von Wetter oder Klima abhängig?

 

Diese Frage hat die Gemüter seit jeher beschäftigt. Die frühesten Unter­suchungen bzw. Publikationen dazu liegen aus dem Jahre 1825 vor. Die Kor­relation ist einfach: Man vergleicht den Todeszeitpunkt mit Wochentag, Monat, Jahreszeit – und hat auf jeden Fall ein Ergebnis. Es gibt keine Irrtümer. Nur die Frage nach dem „Warum?“ bleibt offen, seit ebenfalls fast 200 Jahren (siehe später).

 

 

Suizid und Jahreszeit – eine Übersicht

 

Was die meteorlogische Einteilung der Jahreszeiten anbelangt, so muss man Folgendes wissen: Das Frühjahr erstreckt sich über die Monate März/April/Mai. Der Sommer umfasst Juni/Juli/August. Der Herbst setzt sich aus September, Oktober und November zusammen. Der Winter sind die Monate Dezember, Januar und Februar.

 

Die Ergebnisse sind – wie erwähnt – eindeutig: Es findet sich eine „Evidenz für eine saisonale Asymmetrie“, wie die Fachleute sich ausdrücken, oder auf deutsch: Es wiederholen sich im immer gleichen, in diesem Fall offenbar „töd­lichen Suizid-Monat“ die Suizide, nämlich spätes Frühjahr und Frühsommer oder konkret: Mai (selten auch mal April) und Juni. In einigen Untersuchungen spricht man auch global von Frühjahr, Frühsommer oder Sommerbeginn.

 

Dieser Frühsommer-Gipfel wird auch in aktuellen internationalen Studien und Publikationen bestätigt, natürlich nur für die nördliche Hemisphäre. In der süd­lichen Erdhalbkugel ist es das entsprechende Gegenstück, nämlich der Dezember.

 

Allerdings finden sich in früheren europäischen Untersuchungen auch Hin­weise auf Februar, März, April sowie September, Oktober und November. Noch häufiger aber ist der Hinweis, dass die Selbsttötungen am seltensten im Herbst und Winter zu finden seien.

 

 

Wie erklärt man sich den Frühsommer-Gipfel?

 

Um es gleich vorwegzunehmen: Eine stichhaltige wissenschaftliche Erklärung steht noch aus. Oder noch deutlicher: Auch die Medizinmeteorologen sind weitgehend ratlos. Immerhin gibt es einige interessante Ansätze (Zusammen­fassung bei A. Schuh: Suizidentschluss vom Wetter abhängig? MMW-Fortschr. Med. 25 (2004) 43):

 

So diskutiert man beispielsweise die Überlegung, ob die Suizidhäufigkeit mit dem Tageslicht zusammenhängen könnte. Immerhin sind Mai und Juni die Monate mit der längsten (zumindest theoretischen) Sonnenscheindauer, auf jeden Fall aber mit dem längsten Tageslicht-Angebot. Könnte also die Suizid­rate von der Zahl der Sonnenstunden getriggert (Fachbegriff für ausgelöst) werden?

 

Dazu wurden beispielsweise die Daten von 20 OECD-Ländern (davon 18 in der Nordhemisphäre) über einen Zeitraum von 4 bis 24 Jahren geprüft. Das Ergebnis: Ein bemerkenswert durchgängiges Muster dieser beklemmenden Saisonalität mit einem Suizidgipfel im Mai und Juni für die nördliche Hemi­sphäre und im Dezember für die südliche (was man schon vor bald 100 Jahren feststellt hat).

 

Zusätzlich konnte aber eine interessante Verbindung zwischen der saisonalen Suizidhäufigkeit und der tatsächlichen Sonnenhäufigkeit in den jeweiligen Län­dern festgestellt werden. Die Suizidrate steigt in der nördlichen Hemisphäre mit zunehmender Breite an, der Frühsommer-Gipfel bleibt aber erhalten.

 

Ältere Menschen scheinen dabei ein höheres Risiko für klimatische Einflüsse auf die Suizidrate zu haben, wobei sich auch hier eindeutig die Verbindung mit den Sonnenscheinstunden, d. h. schönem Wetter bestätigt.

 

Auch bei Suizidversuchen zeigt sich dieselbe saisonale Verteilung, wiederum vor allem bei über 65-Jährigen. Zudem bestehen bei älteren Männern klare Verbindungen zur Lufttemperatur. Höhere Temperaturen scheinen eher zu Suizidversuchen zu disponieren. Bei Frauen zeigt sich dieser Effekt über­raschenderweise nicht.

 

 

Was hat die Sonnenscheindauer mit der Suizidalität zu tun?

 

Über die ursächlichen Zusammenhänge mit den Wetter- und Klima-Faktoren, insbesondere der Sonnenstrahlung wird allerdings noch heftig diskutiert. Liegt ein direkter Einfluss vor, und wenn, welcher? Oder ist die Suizidrate indirekt gesteuert, z. B. durch die zu dieser Jahreszeit veränderten sozioökonomischen und psychosozialen Aspekte (Urlaubszeiten, Feiertage, Schul- und Studien­abschlüsse u. a.)?

 

Dieser soziodemographische Aspekt wird unterschiedlich bewertet: Die einen Wissenschaftler können ihn nicht bestätigen und sind der Ansicht, der Früh­sommer entwickele unter gesellschaftlichen Gesichtspunkten im weitesten Sinne keinen Negativ-Einfluss. Andere wollen dies aber so nicht stehen lassen, sie messen äußeren Einflüssen mehr Bedeutung zu, auch wenn hier noch reichlich Forschungsbedarf bestehe, zumindest als belastender Zusatz-Faktor.

 

Nun sind Wetter und Klima ja nur äußere Einflüsse, bedeutsam zwar, wie jeder an sich selber feststellen kann, aber nicht ursächlich angreifend – so meint man auf den ersten Blick. Doch das kann täuschen. Deshalb machen die Wis­senschaftler einen Sprung, und zwar von den exogenen (Außen-)Faktoren auf die „innersten“ Reaktionen. Und die sind physiologischer (im Falle seelischer Veränderungen dann auch psycho-physiologischer) und zuletzt biochemischer Natur. Die Ebenen, auf denen man derzeit diskutiert, sind vor allem so ge­nannte Neuro-Hormone (denn es gibt ja nicht nur Geschlechts-Hormone wie Testosteron und Östrogen, sondern auch eine Vielzahl von Neuro-Hormonen, die beispielsweise seelische Aspekte im Zentralen Nervensystem regulieren).

 

Das Hormon, das in klimatischer Hinsicht als Erstes die Diskussion beherrscht, ist das Melatonin. Einzelheiten siehe Kasten.

 

Melatonin ist ein in der Epiphyse (Hirnanhangsdrüse) und auch im Darm produziertes Hormon, dass in einem zirkadianen (Tag-Nacht-)Rhythmus pro­duziert wird, das sein Maximum jeweils in der biologischen Ruhephase (beim Menschen also in der Nacht) hat. Dieser Takt- oder Zeitgeber wird unter ande­rem durch Lichteinfluss eingehalten, aber auch durch körperliche Aktivität, Nahrungsaufnahme, Stress-Faktoren u. a. Die nächtliche Melatonin-Produktion nimmt ab der Kindheit und vor allem im Alter deutlich ab.

 

Die biologischen Funktionen von Melatonin sind noch immer weitgehend hypothetisch. Das macht auch seine derzeit interessanteste therapeutische Wirkmöglichkeit fraglich, nämlich die „chemisch gesteuerte Schlaffähigkeit“. Relativ gut belegt ist die Wirksamkeit gegen das Jet-lag-Syndrom (also die bekannten Folgen nach einem Flug von Frankfurt nach New York mit entspre­chender Zeitverschiebung, weniger dramatisch zurück). Oder – zahlenmäßig noch bedeutsamer – die Schlaf-Wach-Störungen und ihre seelischen und kör­perlichen Folgen nach Schichtarbeit.

 

Zwar scheint Melatonin bei spontanen Schlafstörungen zu wirken, doch fehlen noch die notwendigen Langzeit-Erkenntnisse. Auch hat sich die frühere An­nahme nicht bestätigt, dass Melatonin antidepressiv (stimmungsaufhellend) wirkt. Ähnliches gilt für die natürlich spektakulären Überlegungen zur Frage: Melatonin als „Jungbrunnen“, wie man früher aus Tierexperimenten zu erwar­ten hoffte – vergeblich.

 

In den USA und anderen Ländern wird Melatonin als Nahrungsmittelzusatz gehandelt. In Deutschland hält man es nicht für so unbedenklich und stuft es deshalb als Arzneimittel ein. Melatonin ist zweifellos ein biologisch hochaktives Hormon, von dem man sich noch allerhand verspricht, aber erst nach ausgie­bigen, langfristigen und wissenschaftlich soliden Untersuchungen am Men­schen.

 

Könnte ein Mangel an Melatonin die Stimmung bis zur Lebensmüdigkeit ver­düstern? Eine Diskussion ist es wert. Doch die Melatoninmangel-Hypothese würde dann allerdings im krassen Widerspruch zu den bekannten Zusammen­hängen zwischen der saisonalen Depression und dem dabei erhöhten Melato­ninspiegel während der dunklen Jahreszeit stehen (siehe Kasten).

 

Noch ungeklärt ist der Einfluss der Hormone Kortisol, L-Tryptophan und be­sonders Serotonin. Vor allem Letzteres ist ja der bekannte Stimmungsfaktor im Gehirnstoffwechsel, der bei entsprechendem Defizit mit Depressionen und Angststörungen einhergehen kann und durch entsprechende antidepressive Psychopharmaka wieder ausgeglichen wird, und zwar mit Erfolg (so genannte Serotonin-Wiederaufnahmehemmer - SSRI). Serotonin, das weiß man schon länger, ist ebenfalls sonnen- und temperaturabhängig. Und Untersuchungen von Suizidopfern nach der Tat ergaben in der Tat niedrige Serotoninspiegel.

 

Damit wird vor allem eines klar: Die Ursache des bisher ungeklärten Phäno­mens „Suizid – Wetter – Klima“ ist auf psychophysiologischer und biochemi­scher Ebene zu suchen. Eine befriedigende Antwort steht aber noch aus.

 

Bleibt die Frage: Ist das alles oder haben vielleicht die Psychiater noch einen weiteren Erklärungs-Beitrag verfügbar, beispielsweise aus der Psychologie des Alltags?

 

 

Wetter, Klima und seelische Krankheit

 

Leider gibt es nur wenige Nervenärzte, Psychiater, Ärzte für Psychotherapeuti­sche Medizin und Klinische Psychologen, die sich mit medizinmeteorologi­schen oder biometeorologischen Fragestellungen beschäftigen. Der Einfluss ist zwar „jeden Tag in Klinik und Praxis zu spüren“ – aber man kommt der Sache ja wissenschaftlich offensichtlich doch nicht näher. Also ist das Enga­gement gering und man darf sich nicht wundern, dass jene wissenschaftlichen und klinischen Disziplinen, die es eigentlich betrifft, offenbar wenig beizutragen haben.

 

Es gibt allerdings eine psychiatrisch-biometeorologische Studie von vor rund 3 Jahrzehnten aus der Psychiatrischen Universitätsklinik Basel und fortgesetzt in der Universitäts-Nervenklinik Freiburg (Volker Faust: Biometeorologie. Der Einfluss von Wetter und Klima auf Gesunde und Kranke. Hippokrates-Verlag, Stuttgart 1976), die zumindest einige interessante Aspekte zum Thema Wetter und psychische Krankheit einschließlich Suizidgefahr besteuern konnte. Ein­zelheiten finden sich in dieser Internet-Serie unter der Rubrik Seelisch Kranke unter uns mit dem Titel: Wetter, Klima und seelische Krankheit (reagieren De­pressive, Neurotiker, Schizophrene, Alkoholiker, Rauschdrogenabhängige u. a. stärker auf Witterungseinflüsse?).

 

Zu den wichtigsten Einflussfaktoren einer Wetterfühligkeit gehören – wie da­mals bestätigt werden konnte – Lebensalter (je älter, desto heftiger, allerdings leiden schon Kinder und Jugendliche unter Wetterfühligkeit), Geschlecht (Frauen in der Regel ausgeprägter und häufiger als Männer) und vor allem die Gesundheitslage. Bei körperlichen Leiden ist dies auch nachvollziehbar, beginnend mit Angina pectoris bis zum Wurzelreizsyndrom („Hexenschuss“).

 

Bei seelischen Störungen kann man sich das zwar nicht mehr so einfach vorstellen, doch das ist ein Irrtum. Psychisch Kranke sind meteorologisch be­sonders hart betroffen, wenngleich nicht alle und auch nicht bei jedem Krank­heitsbild alle gleich intensiv. Auch hier spielen Alter, Geschlecht und die indivi­duelle Reaktion ein wichtige Rolle. Aber auch das jeweilige seelische Leiden. Was heißt das im Einzelnen?

 

Besonders belastet sind Depressive. Aber auch Patienten mit einer neuroti­schen Entwicklung (z. B. Angststörung) stellen sich nicht günstiger. Dagegen scheinen schizophren Erkrankte und Suchtkranke im fortgeschrittenen Stadium weniger beeinträchtigt. Das ist allerdings keine beneidenswerter Robustheit, das kann auch die Folge eines langjährigen Krankheitsbildes sein, das nach und nach selbst die Reaktionsfähigkeit auf natürliche Einflüsse wie Wetter und Klima mindert. Nicht ganz so eindeutig sind Rauschdrogenabhängige und Psychopathen (heute als Persönlichkeitsstörungen bezeichnet) zu beurteilen. Bei der Drogenabhängigkeit muss die zugrunde liegende seelische Störung erfasst, bei den Persönlichkeitsstörungen die jeweilige Form unterschieden werden, die ja ein breites Spektrum einschließt, von der Antisozialen bis zur Zwanghaften Persönlichkeitsstörung.

 

Das ist aber auch nicht entscheidend, wenn man die Ursachen drohender Suizidalität nach statistischer Bedeutung gewichtet. Denn rund zwei Drittel aller Menschen, die Hand an sich legen, leiden unter depressiven Zuständen, also Depressionen als schwermütige Stimmungslage und Krankheitsbild zugleich.

 

Gefährdet sind vor allem biologisch begründbare (früher endogen genannte) Depressive, insbesondere im höheren Lebensalter. Aber auch körperlich aus­gelöste (somatogene) Depressionen sind im Auge zu behalten, wiederum ver­stärkt durch Alter und Dauer des organischen Leidens. Rein phänomeno­logisch (den äußeren Aspekt betreffend) sind insbesondere maskierte Depres­sionsformen (auch larvierte Depressionen genannt) riskant, da die zugrunde liegende Depression hinter den körperlichen Krankheitszeichen oft verkannt, versteckt oder falsch interpretiert wird. Auch die erwähnten neurotischen Entwicklungen sind bei den Depressionen zu berücksichtigen, wenn es sich um die (früher so bezeichneten) neurotischen Depressionen oder depressiven Neurosen handeln sollte.

 

Oder kurz: Rein von der Zahl der Betroffenen her gesehen ist vor allem an Depressionen in jeglicher Verlaufsform zu denken, wenn man eine drohende Selbsttötungs-Gefahr möglichst frühzeitig erkennen und verhindern will.

 

Hier macht sich dann nebenbei auch bezahlt, dass die Forschung immer diffe­renzierter vorgeht, d. h. von äußeren Auslösern bis hinauf (oder herunter) auf die biochemische Ebene mit den erwähnten Neurohormonen, beispielsweise dem Neurotransmitter oder Botenstoff Serotonin (der bei der Depression eine große Rolle spielt und durch entsprechende antidepressive Medikamente überaus erfolgreiche Therapieansätze verspricht).

 

 

Was sagt der Psychiater zum Suizidgipfel in der schönsten Jahreszeit?

 

Um zu verstehen, warum so viele Lebensmüde ausgerechnet die offensichtlich wetter- und klimamäßig schönste Zeit des Jahres bevorzugen, um ihrem Le­ben ein Ende zu setzen, muss man um das Beschwerdebild des Depressiven wissen. Und das setzt sich ganz anders zusammen, als sich die meisten Menschen vorzustellen pflegen. Insbesondere ist es nicht nur Schwermut, sondern eine Vielzahl von seelischen und körperlichen (treffender: psycho­somatisch interpretierbaren) Krankheitszeichen, die letztlich das Quälende die­ses Leidens ausmacht. Dabei zermürben erstaunlicherweise am meisten jene Symptome, die im Alltag am seltensten mit einer Depression in Verbindung gebracht oder gar als Suizid-Auslöser erkannt werden. Einzelheiten siehe Kasten.

 

 

Depressives Beschwerdebild*

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  Freudlosigkeit: unfähig, sich unbekümmert zu freuen oder überhaupt etwas zu empfinden, ja sogar auf eine freundliche Umgebung oder ein erfreuliches Ereignis positiv zu reagieren, auch genussunfähig, überdrüssig, lustlos u. a.

 

  Interesselosigkeit: Einengung des Interessenspektrums, Interessen­schwund, schließlich völlige Verarmung und Gleichgültigkeit auf allen Ge­bieten („fad, leer, öde“).

 

  Traurigkeit: verstimmt (besser: „herabgestimmt“), resigniert, unglücklich, bedrückt, niedergeschlagen, trostlos, ja quälend schwermütig bis hin zu Verzweiflungsausbrüchen und Weinkrämpfen; aber auch unfähig zu trauern bzw. zu weinen („tränenlose Trauer“, „glanzlos-stumpfer Blick des Depressi­ven“). Manchmal liegt auch keine „seelische Schwermut“, sondern eine „leib­liche Traurigkeit“ vor, meist im oder am Leib, in Brust-, Magen- oder Kopf­gegend lokalisiert.

 

  Energielosigkeit: passiv, schwach, kraftlos, leicht und schnell ermüdbar bis erschöpfbar (schon nach kleinen Anstrengungen oder Routinearbeiten), ohne Aktivität, Initiative, Schwung, Antrieb, Spannkraft, Ausdauer, Geduld, schließlich willenlos, welk, matt, ja apathisch, bisweilen regelrecht „verstei­nert“.

 

  Mutlosigkeit: verzagt, ratlos, schwernehmend, leicht irritierbar, pessimis­tisch, negative Sichtweise („schwarze Brille“).

 

  Hilflosigkeit: Überbewertung aller Probleme; Gefühl der Perspektive- und Hoffnungslosigkeit, vor allem Machtlosigkeit, überhaupt etwas zu ändern und damit (selbst-)zerstörerische Lebenseinstellung, fatalistisch, unbeirrbare Suche nach Negativem u. a.

 

  Minderwertigkeitsgefühle: allgemeine Unsicherheit, mangelndes Selbst­wertgefühl, negative Selbsteinschätzung, Kleinheitsgefühle (dabei aber an­dererseits überhöhte Selbstanforderung mit unkritischer Selbstüberschät­zung und damit Gefahr des programmierten Versagens), Entweder-oder-Mentalität, Selbstunsicherheit, Neigung zur Selbstentwertung, Gefühl von Nutzlosigkeit oder Schuld („Ich bin nichts, ich kann nichts, man mag mich nicht und an allem bin ich selber schuld“).

 

  Angstzustände: Gefühl, unerwünscht oder im Wege zu sein, nicht geliebt oder akzeptiert bzw. gar verlassen zu werden, umschriebene Befürchtungen (Phobien) oder unbegründete (motivlose) Ängste bis hin zu Panikattacken.

 

  Empfindlichkeit: sensibel, leicht verletzlich, kränkbar, unzufrieden, vor­wurfsvoll; Gefühl, nicht verstanden zu werden, zu wenig Zuwendung, Für­sorge oder Liebe zu bekommen, stilles Vor-sich-hin-Leiden oder rasch und unvermittelt mit Verzweiflung reagierend.

 

  Reizbarkeit: missmutig, vermehrt irritierbar, scheinbar nur schlecht gelaunt, mürrisch, wenn nicht gar missgünstig, aufbrausend oder gar aggressiv bzw. versteckt oder offen feindselig (z. B. ältere Depressive oder so genannte chronische Depression).

 

  Denkstörungen: verlangsamtes, umständliches, zähflüssiges, mühsames, einfallsarmes Denken, das nur um wenige Themen kreist: Ideenarmut, Haftenbleiben, Merk- und Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit, „Leere im Kopf“, unproduktiv, einsilbig, manchmal bis zum irrtümlichen Eindruck eines dementiellen Abbaus („Geistesschwäche“).

 

  Reaktionsfähigkeit: verlangsamt, sei es Denkweise, sei es Gespräch, sei es körperlich (musizieren, Sport, Reaktionsgeschwindigkeit im Verkehr u. a.).

 

  Entscheidungsunfähigkeit: unschlüssig, wankelmütig, zwiespältig, ent­schlussunfähig, Hin-und-hergerissen-Sein, alles bis zum Ende durchdenken wollen, ziellos-ängstlich abwägen, fruchtlose Diskussionsansätze, die die eigene Entscheidungsunfähigkeit kaschieren sollen u. a.

 

  Grübelneigung: immer die gleichen Denkinhalte bei erschwertem Ge­dankenwechsel, aber auch Sprunghaftigkeit, nicht am Problem bleiben, nichts zu Ende denken können, Gedankenkreisen, Grübelsucht (vor allem nach dem quälenden Früherwachen).

 

  Schuldgefühle: Überbewertung früherer oder aktueller Ereignisse (meist geringfügige oder überhaupt keine Verfehlungen), häufig maßlos überzogen, nicht selten grundlos, schuldhaftes Verarbeiten des krankheitsbedingten Nicht-Könnens oder Versagens, Versündigungsideen, z. T. Selbstanschul­digungen ohne Grund (Partnerschaft, Ehe, Verbote, ja sogar kriminelle Handlungen).

 

  Beziehungsstörungen: Rückgang oder Verlust emotionaler Beziehungen und Gefühle zu den anderen („emotionale Entleertheit“) mit nachlassender Schwingungs- und Erlebnisfähigkeit, dabei ängstliches Registrieren dieser zunehmenden Distanz zur Umwelt, bei jedoch ggf. wachsender Anspruchs­haltung auf viel Zuwendung und Liebe, z. T. in jammerig-vorwurfsvollem Ton.

 

  Innere Leere: Absterben aller Gefühle, Gefühl der Gefühllosigkeit, alles wie leer, benommen, dumpf, ausgebrannt, körperlich traurig, „tot“.

 

 * Symptome im Rahmen des psychischen Erscheinungsbildes einer Depression, die in der Regel am meisten quälen, auch wenn sie der Patient nur selten selber anführt (muss gezielt erfragt wer­den) und sich in seinen Klagen eher auf das depressiv bedingte körperliche (psychosomatische) Beschwerdebild einengt. Weitere Einzelheiten siehe die verschiedenen Depressions-Kapitel in die­ser Internet-Serie.

 

Darunter sind vor allem die Symptome Freudlosigkeit, Interesselosigkeit, Ener­gielosigkeit, Antriebslosigkeit, Mutlosigkeit, Hilflosigkeit (wegen der immer glei­chen Endsilbe wird die Depression auch als -losigkeits-Syndrom bezeichnet) zu verstehen, ergänzt durch Niedergeschlagenheit, Merk- und Konzentrations­störungen bis hin zur gefürchteten „Leere im Kopf“, durch Minderwertigkeits­gefühle, Angstzustände, Entscheidungsunfähigkeit, das ständige Problem-Grübeln, insbesondere während des qualvollen nächtlichen Wachliegens u. a. Oder kurz, auf den bekannten Satz der Trostlosigkeit reduziert: „Ich bin nichts, ich kann nichts, man mag mich nicht – und an allem bin ich selber schuld“. Tiefer kann man stimmungsmäßig nicht fallen. Man ist am Ende, im wahrsten Sinne des Wortes, zu nichts mehr fähig, ohne jegliche Hoffnung, gleichsam „lebend tot“.

 

Ein solch schrecklicher Zustand braucht bekanntlich viel Kraft, Ausdauer und die Fähigkeit, sich nicht anstecken zu lassen – was das nähere und sogar weitere Umfeld anbelangt. Es gilt zuzuhören, bedingungsfrei zu akzeptieren, ein freundlich-zugewandtes Annehmen und vorbehaltloses Verständnis zu mobilisieren und damit ein ständiges Arbeiten am Aufbau des total am Boden liegenden Lebensgefühls – und sei es in den kleinstmöglichen Schritten.

 

Darüber hinaus empfindet der Depressive seinen trostlosen Zustand gerade dann noch halbwegs erträglich(er), wenn sein Umfeld ebenfalls eher „herunter­gebremst“ wirkt. Es ist ja auch bekannt, dass Depressive die schönen Seiten des Lebens nicht nur nicht sehen, geschweige denn genießen können (Vogel­gezwitscher, flotte Musik, Blumenpracht, Kinderlachen, Humor, gute Stim­mung, heitere Atmosphäre) – das alles tut sogar weh, peinigt, quält, wird auf jeden Fall vermieden oder resigniert, hoffnungslos, gelegentlich auch miss­gestimmt bis reizbar umgangen oder zurückgewiesen.

 

Dafür entlasten offensichtlich negative Phänomene in jeder Form den zu Freude und Genuss unfähigen Patienten (obgleich er im gesunden Zustand eine durchaus genussfähige Frohnatur sein kann). Beispiele: traurige Gesamt­stimmung, schwermütige, zumindest aber getragene Melodien, nostalgische Texte und – jetzt wird auch klar, warum die Statistik so eigenartige Ergebnisse liefert (s. o.) – den alles „Leben vereisenden“ Winter eher als den pulsierenden Sommer oder gar das gefühls-intensive Frühjahr.

 

Und das Gleiche gilt für das Wetter: Schönwetter setzt Depressiven nämlich besonders zu. Diese – allerdings nur scheinbar paradoxe – Reaktion auf Schönwetterlagen ist eine alte Erkenntnis.

 

Bei strahlendem Sonnenschein fühlt sich der Depressive nämlich bedrückter, bei trüben Wetter empfindet er etwas Erleichterung. Warum? Das hat tatsäch­lich weniger medizinmeteorologische, das hat mehr psychologische Gründe: Ein Depressiver, der von Schwermut und Freudlosigkeit gedrückt zu nichts mehr fähig ist, fühlt sich natürlich noch trostloser, wenn bei Schönwetter alles „jubilierend ins Freie strömt – und man bleibt alleine zurück, melancholisch, unfähig zum Genuss und wahrscheinlich nie mehr gesund werdend“ (Zitat eines Betroffenen, wobei Letzteres natürlich nicht stimmt).

 

Bei schlechtem Wetter hingegen, wo „alle die Flügel hängen lassen“, fühlt sich der Depressive halbwegs unter seinesgleichen. Dann ist man nicht mehr ganz so alleine mit seiner „grauenhaften“ Stimmung und unüberwindbaren Antriebs­losigkeit, mit seiner Ratlosigkeit, ja Hilflosigkeit, den Minderwertigkeitsgefühlen und tausend seelisch-körperlichen Beeinträchtigungen, die man am Schluss in seiner Not nicht einmal mehr zuordnen kann („alles gleich furchtbar“).

 

So gesehen lässt sich aus psychiatrischer bzw. psychologischer Sicht eine seit fast 2 Jahrhunderten nachweisbare statistische Erkenntnis zumindest teilweise erklären – einschließlich präventiver Möglichkeiten. Und die heißen: Vorsicht bei Schönwetterlage. Wer hier mit den Maßstäben des Gesunden misst („das muss doch auch Dir Freude bereiten“), begeht einen Fehler, einen unter Um­ständen tödlichen Fehler.

 

 

Depressive auch am wetterfühligsten?

 

Darüber hinaus halten sich mehr als die Hälfte aller Depressiven für wetter­fühlig und klagen an entsprechenden Tagen vor oder während Wetterfronten-Wechsel verstärkt über eine Vielzahl von Symptomen, die sie ohnehin schon im Rahmen ihres seelischen Beschwerdebildes haben, nur jetzt noch ver­stärkter, noch zermürbender. Beispiele: vegetative Beschwerden (Schweiß­ausbrüche, Appetitlosigkeit), dazu vermehrt Angstzustände, kognitive Einbu­ßen (insbesondere Vergesslichkeit) und eine verstärkte Niedergeschlagenheit und Antriebslosigkeit (bei manchmal innerlich durchaus angespannter Unruhe und Getriebenheit).

 

Wetterfühlige Depressive gehören dazu noch zu jenen Patienten, die eine ausgeprägte Vorfühligkeit entwickeln und damit zeitlich noch ausgedehnter zu leiden haben als viele andere Betroffene.

 

Außerdem scheint es, als würde der Depressive unter praktisch allen Witte­rungseinflüssen leiden, gleichsam unter der geballten Wucht sämtlicher Wet­terstörungen, ob in Richtung Wärme (vor allem Föhn) oder Kälte. Besonders schlecht scheint er das schwüle Sommerwetter (also heiß und feucht) zu ver­tragen, nicht zuletzt bei den früher so genannten endogenen, also biologisch begründbaren Depressionen.

 

 

Lichtmangeldepression – ein neues Leiden in unseren Breiten?

 

Wie aber ist der Widerspruch zu erklären: Zum einen soll es Schönwetter sein, dass den Depressiven in noch tiefere Schwermut stürzt, vielleicht sogar zu ei­nem letzten verhängnisvollen Schritt veranlasst. Zum anderen hört man immer häufiger von einer Lichtmangel-Depression, wegen ihrer jahrezeitlichen Häu­fung auch Winter-Depression, in Fachkreisen saisonal abhängige Depression genannt. Einzelheiten dazu wiederum in den entsprechenden Beiträgen dieser Internet-Serie (Winterdepression bzw. Wetter, Klima und seelische Krankheit).

 

Eines aber scheint sich dabei aufzudrängen: Die Winter- (und sogar Herbst-)Depression ist ein interessantes Phänomen, dem man vor allem psycho­physiologisch bzw. biochemisch auf der Spur ist. Hier wird intensiv geforscht (und auch behandelt, z. B. mit entsprechenden Lichtgeräten). Die neurochemi­schen Erklärungen wirken nachvollziehbar und in absehbarer Zeit wohl auch therapeutisch nutzbar und hilfreich.

 

Auch handelt es sich hier um eine mildere Form der Depression, die – statis­tisch bewiesen – auch keine ernstere Suizid­gefahr nach sich zieht. Das ist ja die erwähnte Erkenntnis, die schon vor fast 200 Jahren gewonnen wurde: Im Winter, auch wenn es eine lange trübe Jah­reszeit ist, sind Suizide und Suizid­versuche seltener. Allerdings gibt es auch hier Ausnahmen, nämlich wenn nach einem langen sonnenarmen Winter oder in tiefen Tälern ohne fast halb­jährliche Sonneneinstrahlung durch die tiefste­hende Sonne am Ende dieser „trostlosen Zeit“ gehäuft Suizide zu verzeichnen sind, ein offenbar sowohl bio­chemisch (Serotonin?) als auch psychologisch erklärbares Phänomen.

 

 

Schlussfolgerung

 

Das Problem des Frühsommer-Suizidgipfels ist jedoch noch nicht biochemisch gelöst. Psychologisch aber ist die (Teil-)Erklärung der Psychiater durchaus plausibel: Ein seelisch, körperlich und psychosozial „auf den Nullpunkt ge­bremster“ Depressiver mag in der Tat langsam verzweifeln, wenn alles um ihn herum genießt, was ihm nicht nur verwehrt ist, sondern auch noch eine schwer erklärbare Pein verursacht. Hier ist eine Kurzschlusshandlung denkbar, viel­leicht sogar nachvollziehbar. „Das Fass ist natürlich schon eine Weile rand­voll“, ein letzter Tropfen bringt es dann zum Überlaufen. Schaut man nur auf den Tropfen, wirkt es reichlich unverständlich. Bezieht man allerdings die Gesamt-Konstellation in seine Überlegungen ein, wirkt es schon nicht mehr so absurd.

 

Hier sind es dann auch wieder die Psychiater, die sich mit einer abschließen­den Mahnung melden. Mag das von ihnen beigetragene Erklärungsmuster nicht sonderlich imposant erscheinen, zu vernachlässigen ist es nicht. Denn der Arzt gibt sich ja nicht nur mit einer wissenschaftlichen Erkenntnis zufrieden, er will das Ergebnis auch gleich therapeutisch umgesetzt sehen. Und hier vor allem prophylaktisch, vorbeugend. Oder kurz: Vorsicht bei Schönwetter, die bisher vielleicht latente Lebensmüdigkeit eines depressiven Menschen könnte in einen verhängnisvollen Entschluss münden.

 

Denn, wie lauten die zwei Kernsätze: Selbstmörder ist man lange, bevor man Selbstmord begeht. Oder noch eindrücklicher: Selbstmord, das ist die Abwe­senheit der anderen.

 

Und in diesem Fall: Gerade bei Schönwetter niemand allein zurücklassen, dem es offensichtlich nicht gut geht. Auch wenn er nicht mit will (natürlich will er nicht mit, er kann es nicht, steht es nicht durch, er will allein bleiben...), man muss ein Auge auf ihn haben. Ein schweres Los, nebenbei nicht nur für den Betroffenen, auch für seine Angehörigen und Freunde.

 

Aber immerhin auch ein hoffentlich rechtzeitiger statistischer Hinweis der Me­dizinmeteorologen mit konkreter praktischer Schlussfolgerung der Psychiater – um Entsetzliches zu verhüten.

 

 

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
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