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ZWANGSBEFÜRCHTUNGEN IN UNSERER ZEIT

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Von der Eisenbahnfurcht zur Flugangst

Zwangsbefürchtungen oder Phobien nehmen zu. Früher gab es davon über 200, zum Teil sogar recht sonderbare Angststörungen. Heute fasst man sie nur noch zu einigen wenigen Gruppen zusammen, z. B. Agoraphobie, Sozialphobie und spezifische Phobien. Viele spielen keine Rolle mehr, andere gewinnen zunehmend an Bedeutung, z. B. die Flugangst.

Angst ist ein notwendiger Teil unseres Gefühlslebens. Als Warn- und Alarmsignal hilft die Angst - ähnlich wie der Schmerz - auf Bedrohungen von außen und auf Störungen von innen aufmerksam zu machen. Doch krankhafte Ängste nehmen zu, insbesondere die zwanghaften Befürchtungen, die Phobien. Sie drängen sich dem Betroffenen unerbittlich angesichts bestimmter Situationen, Personen, Objekte, Tiere usw. auf, obgleich sie für andere meist unauffällig, harmlos, selbstverständlich, jedenfalls nicht zu fürchten sind. Das aber macht sie so unangenehm, belastend oder gar quälend.

Einerseits also eine quälende Zwangsbefürchtung, die das Opfer völlig in seinen Bann schlägt. Andererseits die Erkenntnis, dass es sich letztlich um ein harmloses, alltägliches oder zumindest nicht ungewöhnliches Phänomen handelt, dass diese Angst in keiner Weise rechtfertigt. Man weiß es, kann aber nichts dagegen tun.

Phobien unterscheiden sich von gewöhnlichen Angstsymptomen (besser als konkrete Furcht bezeichnet) durch ihre 1. zwingende Übermacht der Befürchtung, 2. völlige, teilweise oder zeitweilige intellektuelle Einsicht in ihre Unbegründetheit und 3. durch den inneren Widerstand dagegen, der von der Effektivität her aber meist vergeblich ist.

Die meisten Angstzustände haben innerseelische Ursachen, phobische Ängste zumindest äußere Auslöse-Bedingungen (allerdings gespeist aus unbewussten Ursachen und Hintergründen). Dabei gibt es zahlreiche Alltags-Befürchtungen, mit zumindest gelegentlich fast zwanghaftem Charakter, die jeder von sich selber kennt. Krankhafte Zwangsbefürchtungen dagegen galten bisher als selten, wurden zumindest nur selten bekannt und vom Betroffenen oft auch nicht einmal als solche erkannt. In letzter Zeit irritieren sie jedoch in erstaunlichem Ausmaße. Außerdem neigen sie dazu, sich auszubreiten und schließen dann auch andere Gemütsstörungen mit ein (z. B. Depressionen).

Obgleich manche dieser mit krankhafter Angst belegten Gegenstände, Situationen, Lebewesen oder Ereignisse durchaus eine gewisse Gefährdung aufweisen können (z. B. Tiere wie Schlangen und Spinnen, Naturereignisse wie Feuer, Gewitter, Erdbeben und Springfluten, Krankheiten usw.), steht diese Angst doch in keinem vernünftigen Verhältnis zur augenblicklichen Bedrohlichkeit. Die meisten Betroffenen sind sich dieser Diskrepanz auch bewusst. Dennoch können sie ihre unangemessene Angst nicht kontrollieren. Sie können nur die Ursachen meiden - und der Teufelskreis beginnt (Rückzugsneigung und Isolationsgefahr).

Angst vor Sünde und Scheintod

Häufigkeit und Inhalt, nämlich Thema oder Gegenstand von Zwangsbefürchtungen wechseln mit den jeweiligen kulturellen, politischen, vor allem aber gesellschaftlichen Bedingungen. So gibt es Zwangsbefürchtungen - man kennt frühere Aufzählungen zwischen 100 und 200 möglichen Phobien - die sich über Generationen hinweg halten: Angst vor weiten Plätzen oder geschlossenen Räumen, Angst vor Tieren (vor allem Hunde, Mäuse, Pferde, Würmer, Schlangen und Spinnen), Angst vor natürlichen Erscheinungen (Gewitter, Blitzschlag, Dunkelheit, Feuer, Wasser, ja Höhenschwindel).

Viele Phobien aber sind verschwunden. Über einige kann man heute nur noch schmunzeln. Dazu gehören beispielsweise die Siderodromophobie, die krankhafte Angst vor der Eisenbahn, die Taphophobie, die Angst durch Scheintod lebendig begraben zu werden oder gar die Peccatophobie, die Angst, eine Sünde zu begehen...

Allerdings sollte man sich deshalb nicht sicher wähnen. Genauso schwer verständlich sind im Grunde die Agoraphobie, die Angst und damit das Vermeiden von Situationen, in denen es besonders unangenehm und gefährlich sein könnte, einen Angstanfall zu bekommen (Kaufhäuser, Supermärkte, Warteschlangen, Verkehrsmittel, Friseur, aber auch Kino, Sportplatz u. a.). Oder die soziale Phobie, die dauerhafte und unangemessene Furcht vor anderen Menschen oder konkret: Die unbegründete Angst, sich lächerlich zu machen, zu versagen oder durch ungeschicktes Verhalten gedemütigt zu werden. Ganz zu schweigen von den spezifischen Phobien, die gerade in unserer Zeit besonders häufig zu werden drohen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Flugangst (siehe Kasten).

Flugangst

Eine der "modernen" Phobien ist die Flugangst. Statistisch gesehen muss ein Passagier 130 Jahre lang rund um die Uhr im Flugzeug unterwegs sein, bis ihm im Flugzeug etwas zustößt.

Allerdings sind solche Statistiken wenig dazu angetan, Menschen ihre Angst vor dem Fliegen zu nehmen. Und die Zahl der Betroffenen nimmt zu. Es trifft Frauen wie Männer gleichermaßen, unabhängig von sozialer Schicht, Beruf usw. Am häufigsten belastet es die sogenannten "besten Jahre", nämlich die 25- bis 45-jährigen.

Das Beschwerdebild scheint dezent, ist aber zermürbend: Zittern, Mundtrockenheit, Schwitzen, Schwindel, weiche Knie oder Beine, Harndrang, Übelkeit, Erbrechen usw. Mancher Passagier neigt in seiner Flugangst sogar zu verbaler Aggressivität, wenn nicht gar Tätlichkeit.

Befragt nach den möglichen Ursachen, geben viele das sogenannte "Beifahrer-Syndrom" an. Es macht ihnen zu schaffen, dass sie die Kontrolle an den Piloten abgeben müssen, nicht weil sie gerne selber steuern würden, sondern weil sie sich damit noch hilfloser ausgeliefert fühlen. Dass die Flugangst für die Fluggesellschaften zur wirtschaftlichen Einbuße zu werden droht, geht schon aus den speziellen Seminaren hervor, die beispielsweise auch die Lufthansa anbietet. Sie dauern zwei Tage und enden mit einem Flug in Begleitung eines Psychologen. Bisher haben sich schon Tausende von Flug-Ängstlichen mit beachtlichem Erfolg an solchen Seminaren beteiligt (ÄP 94 (1998) 9).

Was kann man tun?

Die Therapie der Phobien im Allgemeinen und z. B. der Flugangst im Speziellen erstreckt sich von einer - durchaus für sich allein schon erstaunlich erfolgreichen - Pharmakotherapie (meist bestimmte Antidepressiva), über die Psychotherapie (in der Regel verhaltenstherapeutisch, aber auch tiefenpsychologisch oder gesprächspsychotherapeutisch orientiert), bis zu Korrekturen in der Lebensführung und der meist lächerlich gemachten, aber zur Grundbehandlung gehörenden körperlichen Aktivität (z. B. täglicher Gesundmarsch bei Tageslicht: führt Angst ab).

Im Falle der Flugangst sind es vor allem auch Entspannungsverfahren (z. B. Progressive Muskelrelaxation) oder kognitive (geistige) Bewältigungs-Strategien wie Gedankenstop, Selbstbewältigungs-Training u. a.

Man kann also über die alten Phobien lächeln, muss aber aufpassen, dass man nicht heimlich, still und leise das Opfer einer "modernen" Zwangsbefürchtung wird (Prof. Dr. med. Volker Faust).

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
Beachten Sie deshalb bitte auch unseren Haftungsausschluss (s. Impressum).